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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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seine Ansichten mit dem Feuer der Begeisterung und der Kraft wohlbegründeter
Ueberzeugung darlegt. Nachdem die verfassungsmäßigen Organe des Reichs und
die bestehenden Institutionen, Reichstag, Kreisordnung, Kurfürsten- und Fürsten¬
verein, Erbverbrüderungen, Nechtshöfe einer vernichtenden Kritik unterworfen
worden sind und ihre Untauglichkeit zur Sicherung des Reichs gegen das Aus¬
land, wie zur Garantie der einzelnen Stände gegen die despotischen Gelüste des
Wiener Hofes nachgewiesen ist, kommt der Graf zu dem Schluß, daß allein eine
Verbindung Brandenburgs zunächst, mit den norddeutschen Ständen, die sich
nach und nach auch über Süddeutschland ausdehnen könne, den Staaten
hinreichenden Schutz zu gewähren vermöge. Waldeck faßt zunächst die pro¬
testantischen Stände ins Auge. Aber in dem Wesen seines Entwurfes, der
auf ein rein politisches Bündniß abzielte, lag durchaus Nichts, was den Zu¬
tritt katholischer Fürsten unmöglich gemacht hätte, wie denn auch Kur-Köln
zu denjenigen Ständen gehörte, die in erster Linie für den Bund in Aussicht
genommen wurden. Von einem solchen Bündniß erwartet Waldeck nicht
bloß augenblickliche Hilfe, sondern er hofft auch (und diese Hoffnung beruht
besonders auf der notorischen Schlaffheit und Unentschlossenheit Sachsens),
"daß der Kurfürst unzweifelhaft für das Haupt der anderen Bundesgenossen
erkannt, erklärt und beständig gemacht werde" -- ein Postulat, das um so
kühner war, da ja auch das mächtige Schweden für Pommern, Bremen und
Verden an dem Bunde Theil nehmen sollte.

Vor Allem kam es darauf an, die braunschweigischen Höfe zu gewinnen,
deren Bündniß der Kurfürst schon früher gesucht hatte, die ihm aber durch
ihren Eintritt in den Hildesheimer Bund entfremdet waren. In der That
zeigen sich die Braunschweiger, unter dem huschen Eindruck der eben voll¬
zogenen brandenburgischen Schwenkung in der Reichspolitik, nicht abgeneigt,
in nähere Beziehungen zu dem Kurfürsten zu treten und namentlich für seine
Aufnahme in den Hildesheimer Bund zu wirken, um dadurch Schwedens ge¬
fährliches Uebergewicht zu neutralisiren. Gleichzeitig wurde Kur-Köln durch
die Sendung von Hilfstruppen gegen den Lothringer in dem Grade für die
brandenburgische Politik gewonnen, daß jeder Gefahr, die aus einem Bünd¬
niß Kölns mit den Niederlanden hervorgehen konnte, die Spitze abgebrochen
war; daher denn auch der Kurfürst dies Bündniß, welches ihm den Weg
zur Verständigung mit den Staaten eröffnen sollte, eifrig beförderte. Die
unerwartete und in ihren Motiven noch nicht völlig aufgeklärte Gefangen¬
nehmung des Lothringers durch die Spanier war insofern für Branden¬
burg nicht erwünscht, als mit der Beseitigung einer der dringendsten Ge¬
fahren der Eifer seiner neuen Verbündeten etwas abgekühlt wurde. Nichts¬
destoweniger blieben die Verhältnisse so drohend, daß die weiteren Verhand¬
lungen ihren guten Fortgang hatten und günstige Ergebnisse versprachen.


seine Ansichten mit dem Feuer der Begeisterung und der Kraft wohlbegründeter
Ueberzeugung darlegt. Nachdem die verfassungsmäßigen Organe des Reichs und
die bestehenden Institutionen, Reichstag, Kreisordnung, Kurfürsten- und Fürsten¬
verein, Erbverbrüderungen, Nechtshöfe einer vernichtenden Kritik unterworfen
worden sind und ihre Untauglichkeit zur Sicherung des Reichs gegen das Aus¬
land, wie zur Garantie der einzelnen Stände gegen die despotischen Gelüste des
Wiener Hofes nachgewiesen ist, kommt der Graf zu dem Schluß, daß allein eine
Verbindung Brandenburgs zunächst, mit den norddeutschen Ständen, die sich
nach und nach auch über Süddeutschland ausdehnen könne, den Staaten
hinreichenden Schutz zu gewähren vermöge. Waldeck faßt zunächst die pro¬
testantischen Stände ins Auge. Aber in dem Wesen seines Entwurfes, der
auf ein rein politisches Bündniß abzielte, lag durchaus Nichts, was den Zu¬
tritt katholischer Fürsten unmöglich gemacht hätte, wie denn auch Kur-Köln
zu denjenigen Ständen gehörte, die in erster Linie für den Bund in Aussicht
genommen wurden. Von einem solchen Bündniß erwartet Waldeck nicht
bloß augenblickliche Hilfe, sondern er hofft auch (und diese Hoffnung beruht
besonders auf der notorischen Schlaffheit und Unentschlossenheit Sachsens),
„daß der Kurfürst unzweifelhaft für das Haupt der anderen Bundesgenossen
erkannt, erklärt und beständig gemacht werde" — ein Postulat, das um so
kühner war, da ja auch das mächtige Schweden für Pommern, Bremen und
Verden an dem Bunde Theil nehmen sollte.

Vor Allem kam es darauf an, die braunschweigischen Höfe zu gewinnen,
deren Bündniß der Kurfürst schon früher gesucht hatte, die ihm aber durch
ihren Eintritt in den Hildesheimer Bund entfremdet waren. In der That
zeigen sich die Braunschweiger, unter dem huschen Eindruck der eben voll¬
zogenen brandenburgischen Schwenkung in der Reichspolitik, nicht abgeneigt,
in nähere Beziehungen zu dem Kurfürsten zu treten und namentlich für seine
Aufnahme in den Hildesheimer Bund zu wirken, um dadurch Schwedens ge¬
fährliches Uebergewicht zu neutralisiren. Gleichzeitig wurde Kur-Köln durch
die Sendung von Hilfstruppen gegen den Lothringer in dem Grade für die
brandenburgische Politik gewonnen, daß jeder Gefahr, die aus einem Bünd¬
niß Kölns mit den Niederlanden hervorgehen konnte, die Spitze abgebrochen
war; daher denn auch der Kurfürst dies Bündniß, welches ihm den Weg
zur Verständigung mit den Staaten eröffnen sollte, eifrig beförderte. Die
unerwartete und in ihren Motiven noch nicht völlig aufgeklärte Gefangen¬
nehmung des Lothringers durch die Spanier war insofern für Branden¬
burg nicht erwünscht, als mit der Beseitigung einer der dringendsten Ge¬
fahren der Eifer seiner neuen Verbündeten etwas abgekühlt wurde. Nichts¬
destoweniger blieben die Verhältnisse so drohend, daß die weiteren Verhand¬
lungen ihren guten Fortgang hatten und günstige Ergebnisse versprachen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/340>, abgerufen am 22.07.2024.