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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Daß diese Bedingung nothwendig erschien, wird erklärlich, sobald man
einen Blick auf die bisherige Lage der unter lebenslänglicher Vormundschaft
von Beamten stehenden Bauern wirft. Wie deren Verhältnisse einmal sind,
konnte man die Bauern aus der administrativen Bevormundung nicht ent¬
lassen, ohne den ganzen Verwaltungsmechanismus von Grund aus zu refor-
miren. Da Bevormundete nicht zu Verwaltern der Gemeinde taugten, mußte
man also, um diese zu schaffen, die Curatel aufheben und sich damit zur Re¬
organisation der gesammten Domanialverwaltung verstehen. Dann lag es
nahe, gleich einen Schritt weiter zu gehen und die Bauern nicht nur zur
freien Bewirtschaftung ihrer Hufen zuzulassen, sondern sie dies auch auf
eigenen Gewinn und Verlust thun zu lassen, d. h. sie zu erblichen Besitzern
derselben zu machen, zumal man dadurch zugleich den oben entwickelten
weitergehenden Plan förderte. Und so entschloß man sich, die Vererbpachtung
und die Organisation der Landgemeinden in das Verhältniß gegenseitiger
Ergänzung zu setzen, sodaß die Durchführung der einen nicht ohne vorgängige
Durchführung der andern Maßregel möglich war.

In diesem Sinn und um dieser Consequenzen willen ist die Einführung
der Erbpacht eine Maßregel von unleugbar politischer Bedeutung, ein wirk¬
licher Fortschritt für unser gesäumtes öffentliches Leben. Und da nur die
Gemeinden zur rechten Blüthe gelangen können, deren Mitglieder so gestellt
sind, daß der Einzelne eine Stütze des Ganzen zu bilden vermag, müssen wir
die Forderung stellen, daß den Bauern solche Bedingungen für die Vererb¬
pachtung gestellt werden, unter denen sie dazu gelangen können, auf eigenen
Füßen zu stehen. Was die ursprünglichen Vererbpachtungsbedingungen hieran
fehlen ließen, ist ihnen in manchen Stücken nachträglich zu Theil geworden
und das Fehlende wird der Bauernstand sich noch zu erringen wissen, theils
durch energische Vorstellungen abzuändern, theils durch fleißige Ausnutzung
der ihnen bereits gebotenen Vortheile.

Die Erbpächter als Mitglieder freier, selbständiger Dorfgemeinden be¬
grüßen wir als eine willkommene Erscheinung -- aus diesen Gemeiden sehen
wir den in das Programm der Regierung ausgenommenen unabhängigen,
kräftigen Bauernstand hervorgehen. Wird ihnen aber durch dieses Programm
zugleich die undankbare Aufgabe zugewiesen, den L-G.-G.-E-V. aufrecht zu
erhalten und dessen Lücken zu ergänzen, so ist diese Freude keine reine, so er¬
scheint die ganze Sache in wesentlich verändertem Licht. Wir glauben indessen,
daß noch ehe der Bauernstand genugsam gekräftigt ist, um von Ritter- und
und Landschaft als ebenbürtig oder doch gleichberechtigt anerkannt zu werden,
Ritter- und Landschaft längst unter den Trümmern des landesgrundgesetz-
lichen Verfassungsbaues begraben sein werden. Der Bundesrath hat es frei¬
lich abgelehnt, den Ständen den Todesstoß zu geben und die letzte Hand


Grenzboten III. 18to, 4

Daß diese Bedingung nothwendig erschien, wird erklärlich, sobald man
einen Blick auf die bisherige Lage der unter lebenslänglicher Vormundschaft
von Beamten stehenden Bauern wirft. Wie deren Verhältnisse einmal sind,
konnte man die Bauern aus der administrativen Bevormundung nicht ent¬
lassen, ohne den ganzen Verwaltungsmechanismus von Grund aus zu refor-
miren. Da Bevormundete nicht zu Verwaltern der Gemeinde taugten, mußte
man also, um diese zu schaffen, die Curatel aufheben und sich damit zur Re¬
organisation der gesammten Domanialverwaltung verstehen. Dann lag es
nahe, gleich einen Schritt weiter zu gehen und die Bauern nicht nur zur
freien Bewirtschaftung ihrer Hufen zuzulassen, sondern sie dies auch auf
eigenen Gewinn und Verlust thun zu lassen, d. h. sie zu erblichen Besitzern
derselben zu machen, zumal man dadurch zugleich den oben entwickelten
weitergehenden Plan förderte. Und so entschloß man sich, die Vererbpachtung
und die Organisation der Landgemeinden in das Verhältniß gegenseitiger
Ergänzung zu setzen, sodaß die Durchführung der einen nicht ohne vorgängige
Durchführung der andern Maßregel möglich war.

In diesem Sinn und um dieser Consequenzen willen ist die Einführung
der Erbpacht eine Maßregel von unleugbar politischer Bedeutung, ein wirk¬
licher Fortschritt für unser gesäumtes öffentliches Leben. Und da nur die
Gemeinden zur rechten Blüthe gelangen können, deren Mitglieder so gestellt
sind, daß der Einzelne eine Stütze des Ganzen zu bilden vermag, müssen wir
die Forderung stellen, daß den Bauern solche Bedingungen für die Vererb¬
pachtung gestellt werden, unter denen sie dazu gelangen können, auf eigenen
Füßen zu stehen. Was die ursprünglichen Vererbpachtungsbedingungen hieran
fehlen ließen, ist ihnen in manchen Stücken nachträglich zu Theil geworden
und das Fehlende wird der Bauernstand sich noch zu erringen wissen, theils
durch energische Vorstellungen abzuändern, theils durch fleißige Ausnutzung
der ihnen bereits gebotenen Vortheile.

Die Erbpächter als Mitglieder freier, selbständiger Dorfgemeinden be¬
grüßen wir als eine willkommene Erscheinung — aus diesen Gemeiden sehen
wir den in das Programm der Regierung ausgenommenen unabhängigen,
kräftigen Bauernstand hervorgehen. Wird ihnen aber durch dieses Programm
zugleich die undankbare Aufgabe zugewiesen, den L-G.-G.-E-V. aufrecht zu
erhalten und dessen Lücken zu ergänzen, so ist diese Freude keine reine, so er¬
scheint die ganze Sache in wesentlich verändertem Licht. Wir glauben indessen,
daß noch ehe der Bauernstand genugsam gekräftigt ist, um von Ritter- und
und Landschaft als ebenbürtig oder doch gleichberechtigt anerkannt zu werden,
Ritter- und Landschaft längst unter den Trümmern des landesgrundgesetz-
lichen Verfassungsbaues begraben sein werden. Der Bundesrath hat es frei¬
lich abgelehnt, den Ständen den Todesstoß zu geben und die letzte Hand


Grenzboten III. 18to, 4
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[0033] Daß diese Bedingung nothwendig erschien, wird erklärlich, sobald man einen Blick auf die bisherige Lage der unter lebenslänglicher Vormundschaft von Beamten stehenden Bauern wirft. Wie deren Verhältnisse einmal sind, konnte man die Bauern aus der administrativen Bevormundung nicht ent¬ lassen, ohne den ganzen Verwaltungsmechanismus von Grund aus zu refor- miren. Da Bevormundete nicht zu Verwaltern der Gemeinde taugten, mußte man also, um diese zu schaffen, die Curatel aufheben und sich damit zur Re¬ organisation der gesammten Domanialverwaltung verstehen. Dann lag es nahe, gleich einen Schritt weiter zu gehen und die Bauern nicht nur zur freien Bewirtschaftung ihrer Hufen zuzulassen, sondern sie dies auch auf eigenen Gewinn und Verlust thun zu lassen, d. h. sie zu erblichen Besitzern derselben zu machen, zumal man dadurch zugleich den oben entwickelten weitergehenden Plan förderte. Und so entschloß man sich, die Vererbpachtung und die Organisation der Landgemeinden in das Verhältniß gegenseitiger Ergänzung zu setzen, sodaß die Durchführung der einen nicht ohne vorgängige Durchführung der andern Maßregel möglich war. In diesem Sinn und um dieser Consequenzen willen ist die Einführung der Erbpacht eine Maßregel von unleugbar politischer Bedeutung, ein wirk¬ licher Fortschritt für unser gesäumtes öffentliches Leben. Und da nur die Gemeinden zur rechten Blüthe gelangen können, deren Mitglieder so gestellt sind, daß der Einzelne eine Stütze des Ganzen zu bilden vermag, müssen wir die Forderung stellen, daß den Bauern solche Bedingungen für die Vererb¬ pachtung gestellt werden, unter denen sie dazu gelangen können, auf eigenen Füßen zu stehen. Was die ursprünglichen Vererbpachtungsbedingungen hieran fehlen ließen, ist ihnen in manchen Stücken nachträglich zu Theil geworden und das Fehlende wird der Bauernstand sich noch zu erringen wissen, theils durch energische Vorstellungen abzuändern, theils durch fleißige Ausnutzung der ihnen bereits gebotenen Vortheile. Die Erbpächter als Mitglieder freier, selbständiger Dorfgemeinden be¬ grüßen wir als eine willkommene Erscheinung — aus diesen Gemeiden sehen wir den in das Programm der Regierung ausgenommenen unabhängigen, kräftigen Bauernstand hervorgehen. Wird ihnen aber durch dieses Programm zugleich die undankbare Aufgabe zugewiesen, den L-G.-G.-E-V. aufrecht zu erhalten und dessen Lücken zu ergänzen, so ist diese Freude keine reine, so er¬ scheint die ganze Sache in wesentlich verändertem Licht. Wir glauben indessen, daß noch ehe der Bauernstand genugsam gekräftigt ist, um von Ritter- und und Landschaft als ebenbürtig oder doch gleichberechtigt anerkannt zu werden, Ritter- und Landschaft längst unter den Trümmern des landesgrundgesetz- lichen Verfassungsbaues begraben sein werden. Der Bundesrath hat es frei¬ lich abgelehnt, den Ständen den Todesstoß zu geben und die letzte Hand Grenzboten III. 18to, 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/33>, abgerufen am 25.08.2024.