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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Thatsachen wird gewiß auch hier sich stärker erweisen, als die Logik rein
theoretisch -dialectischer Entwickelung.

In der Gewerbeordnung liegt bereits ein Beispiel hierfür vor, wo sich
ein gleichartiger Vorgang und zwar ohne Sang und Klang, ohne daß die
leidige Competenzfrage auch nur von irgend einer Seite aufzuwerfen versucht
worden wäre, vollzogen hat. §. 21 derselben und die damit zusammenhängen¬
den Paragraphen regeln für die Concessionsertheilungen resp. Verweige¬
rungen u. s. w. nicht bloß das Verfahren, sie stellen auch Grundsätze darüber
auf, wie die zur Entscheidung berufenen Behörden organisirt sein müssen; in
einer oder der anderen Instanz wenigstens muß die Entscheidung durch eine
collegiale Behörde erfolgen. Damit ist unmittelbar auch die Organisation
der Verwaltungsbehörden wenigstens für diese Materie unter die Einwirkung
der Bundesgesetzgebung und die Controle der Bundesverwaltung gestellt wor¬
den. Ja es wäre dies ausweislich der Verhandlungen des Reichstages wohl
noch in viel eingreifenderer Weise geschehen, wenn man nicht hätte vermeiden
wollen, bei dieser vereinzelten Gelegenheit und für einen so speciellen Gegen¬
stand zu tief in die bestehenden Organisationen der einzelnen Bundesstaaten
einzugreifen. Aber die Competenz des Bundes zu einem solchen Eingriff zu
bestreiten, siel Niemandem ein -- umgekehrt aus den Kreisen der conserva-
tiven Partei, welche doch sonst einer Ausdehnung der Bundcscompetenz das
Wort zu reden nicht gewohnt ist, war sogar der Antrag gestellt worden, die
Behörden für diesen Gegenstand im Sinne des seit Mvernemvnt zu organi-
siren, nämlich die betreffenden Collegien mindestens zum Theil aus Mitglie¬
dern der Communalverwaltungen resp, der Kreisstände bestehen zu lassen.

Was hier im Kleinen geschehen ist, wird sich beider Proceßgesetzgebung,
bei der die Organisationsfrage noch eine ganz andere Rolle spielt, gewiß auch
-- im Großen -- vollziehen. Man kann und wird nicht die bedeutungs¬
vollsten Fortschritte und Segnungen, welche das junge aufblühende Bundcs-
staatswesen der Nation zu bringen befähigt und berufen ist, an kleinlichen
formellen Bedenken wollen scheitern lassen. Hat doch Graf Bismarck selbst
bei der Berathung der, Bundesverfassung, wie wir uns erinnern speciell
gerade bei der Debatte über die Competenzfragen -- daraufhingewiesen, daß
mit denselben die deutsche Geschichte nicht abgeschlossen sei. Und wie sehr
hat bereits die kurze Frist des Bestandes dieser Verfassung dieses Wort be¬
stätigt; wie rüstig hat die norddeutsche Bundesgesetzgebung an der einheit¬
lichen und" freiheitlichen Entwickelung unserer Nation gearbeitet! Nach wie
manchen Richtungen sind bereits Competenzbedenken, gegen welche vom
Standpunkte des formellen Rechts kaum clous vorzubringen war, über¬
wunden worden! Wir erinnern hier nur an die Errichtung eines obersten
Bundeshandelsgerichts. Nach wie manchen Richtungen lassen sich noch an-


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Thatsachen wird gewiß auch hier sich stärker erweisen, als die Logik rein
theoretisch -dialectischer Entwickelung.

In der Gewerbeordnung liegt bereits ein Beispiel hierfür vor, wo sich
ein gleichartiger Vorgang und zwar ohne Sang und Klang, ohne daß die
leidige Competenzfrage auch nur von irgend einer Seite aufzuwerfen versucht
worden wäre, vollzogen hat. §. 21 derselben und die damit zusammenhängen¬
den Paragraphen regeln für die Concessionsertheilungen resp. Verweige¬
rungen u. s. w. nicht bloß das Verfahren, sie stellen auch Grundsätze darüber
auf, wie die zur Entscheidung berufenen Behörden organisirt sein müssen; in
einer oder der anderen Instanz wenigstens muß die Entscheidung durch eine
collegiale Behörde erfolgen. Damit ist unmittelbar auch die Organisation
der Verwaltungsbehörden wenigstens für diese Materie unter die Einwirkung
der Bundesgesetzgebung und die Controle der Bundesverwaltung gestellt wor¬
den. Ja es wäre dies ausweislich der Verhandlungen des Reichstages wohl
noch in viel eingreifenderer Weise geschehen, wenn man nicht hätte vermeiden
wollen, bei dieser vereinzelten Gelegenheit und für einen so speciellen Gegen¬
stand zu tief in die bestehenden Organisationen der einzelnen Bundesstaaten
einzugreifen. Aber die Competenz des Bundes zu einem solchen Eingriff zu
bestreiten, siel Niemandem ein — umgekehrt aus den Kreisen der conserva-
tiven Partei, welche doch sonst einer Ausdehnung der Bundcscompetenz das
Wort zu reden nicht gewohnt ist, war sogar der Antrag gestellt worden, die
Behörden für diesen Gegenstand im Sinne des seit Mvernemvnt zu organi-
siren, nämlich die betreffenden Collegien mindestens zum Theil aus Mitglie¬
dern der Communalverwaltungen resp, der Kreisstände bestehen zu lassen.

Was hier im Kleinen geschehen ist, wird sich beider Proceßgesetzgebung,
bei der die Organisationsfrage noch eine ganz andere Rolle spielt, gewiß auch
— im Großen — vollziehen. Man kann und wird nicht die bedeutungs¬
vollsten Fortschritte und Segnungen, welche das junge aufblühende Bundcs-
staatswesen der Nation zu bringen befähigt und berufen ist, an kleinlichen
formellen Bedenken wollen scheitern lassen. Hat doch Graf Bismarck selbst
bei der Berathung der, Bundesverfassung, wie wir uns erinnern speciell
gerade bei der Debatte über die Competenzfragen — daraufhingewiesen, daß
mit denselben die deutsche Geschichte nicht abgeschlossen sei. Und wie sehr
hat bereits die kurze Frist des Bestandes dieser Verfassung dieses Wort be¬
stätigt; wie rüstig hat die norddeutsche Bundesgesetzgebung an der einheit¬
lichen und» freiheitlichen Entwickelung unserer Nation gearbeitet! Nach wie
manchen Richtungen sind bereits Competenzbedenken, gegen welche vom
Standpunkte des formellen Rechts kaum clous vorzubringen war, über¬
wunden worden! Wir erinnern hier nur an die Errichtung eines obersten
Bundeshandelsgerichts. Nach wie manchen Richtungen lassen sich noch an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/307>, abgerufen am 26.08.2024.