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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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die Unterstützung Englands in demselben Maaße schwächer wurde, in welchem
die Prätensionen Oestreichs wieder stiegen. Anfang Juli verhehlte Aber-
cromby einer vertrauten Persönlichkeit Karl Alberts nicht, daß sich die Tage
für Italien verschlimmert hätten, und rieth dem König an, ernstlich die In¬
teressen seiner Krone zu Rathe zu ziehen und auf einen ehrenvollen Frieden
mit Oestreich bedacht zu sein. Karl Albert antwortete in einem eigenhändi¬
gen Schreiben vom 7. Juli, daß, wenn es sich um eine Verhandlung auf
Grundlage der Annexion von Parma, Modena und der Lombardei bis zur
Etsch handle, er nicht anstehen werde, dies als Grundlage eines Friedens an¬
zunehmen; es seien triftige Gründe vorhanden, um auch das subalpinische
Parlament und die Nation zu überzeugen, daß es ersprießlich und weise sei,
einen Frieden anzunehmen, der immer noch ehrenvoll und ruhmreich sei in
Anbetracht des großen Mißverhältnisses der Kräfte von Oestreich und Sar¬
dinien. Das war nicht im Sinn der bisherigen Politik Paretos, es klang
auch nicht so hochherzig wie die bisherigen Erklärungen und Proclamationen.
Aber es war in Ansehung der gewaltigen Schwierigkeiten practisch gedacht
und der Fehler war nur, daß es jetzt zu spät war. Oestreich war bereits
entschlossen, auf solcher Grundlage nicht mehr zu verhandeln. Die Schlacht
von Custoza und der Waffenstillstand (9. August) machten es vollends zum
Herrn der Lage.

Als im Herbst 1848 die Verhandlungen wegen einer Conföderation
wieder aufgenommen wurden, geschah es unter wesentlich veränderten Umständen.
Durch den Gang des Krieges hatte Piemont sein Prestige in Italien selbst
verloren, Alles verschwor sich zu Tadel und Mißgunst. Je deutlicher das
Ziel der piemontesischen Politik hervorgetreten war, nämlich einen großen
dominirenden Nationalstaat in Italien aufzurichten, um so enger schaarte sich
nun Alles zusammen, was sich durch diesen Plan in seinen Interessen beein¬
trächtigt glaubte, und "Conföderation" wurde jetzt die Losung aller piemont-
feindlichen Mächte und Parteien. Insbesondere erfreute sich dieses Project
der Protection der französischen Republik, über deren italienische Politik im
Jahre 1848 die Geschichte bereits ihr Urtheil gefällt hat. Venedig war von
Bastide längst aufgegeben, auch wenn es noch immer mit zweideutigen Ver¬
sprechungen hingehalten wurde. Aber auch die Vereinigung der Lombardei
mit Piemont fand an ihm einen hartnäckigen Gegner: nicht ein subalpinisches
Reich, schrieb er seinen Agenten vor, nicht die Einheit Italiens, sondern eine
Föderation unabhängiger, möglichst gleich starker Staaten sei das Ziel der
französischen Politik. Die Angst vor dem Ehrgeiz Karl Alberts und vor
einem furchtbaren subalpinischen Staat von 11 oder 12 Mill. Einwohnern
kam in wahrhaft kläglicher Weise zu Tag. Dagegen begünstigte man Tos-
cana, das fortwährend an der Idee der Conföderation festhielt und gleich-


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die Unterstützung Englands in demselben Maaße schwächer wurde, in welchem
die Prätensionen Oestreichs wieder stiegen. Anfang Juli verhehlte Aber-
cromby einer vertrauten Persönlichkeit Karl Alberts nicht, daß sich die Tage
für Italien verschlimmert hätten, und rieth dem König an, ernstlich die In¬
teressen seiner Krone zu Rathe zu ziehen und auf einen ehrenvollen Frieden
mit Oestreich bedacht zu sein. Karl Albert antwortete in einem eigenhändi¬
gen Schreiben vom 7. Juli, daß, wenn es sich um eine Verhandlung auf
Grundlage der Annexion von Parma, Modena und der Lombardei bis zur
Etsch handle, er nicht anstehen werde, dies als Grundlage eines Friedens an¬
zunehmen; es seien triftige Gründe vorhanden, um auch das subalpinische
Parlament und die Nation zu überzeugen, daß es ersprießlich und weise sei,
einen Frieden anzunehmen, der immer noch ehrenvoll und ruhmreich sei in
Anbetracht des großen Mißverhältnisses der Kräfte von Oestreich und Sar¬
dinien. Das war nicht im Sinn der bisherigen Politik Paretos, es klang
auch nicht so hochherzig wie die bisherigen Erklärungen und Proclamationen.
Aber es war in Ansehung der gewaltigen Schwierigkeiten practisch gedacht
und der Fehler war nur, daß es jetzt zu spät war. Oestreich war bereits
entschlossen, auf solcher Grundlage nicht mehr zu verhandeln. Die Schlacht
von Custoza und der Waffenstillstand (9. August) machten es vollends zum
Herrn der Lage.

Als im Herbst 1848 die Verhandlungen wegen einer Conföderation
wieder aufgenommen wurden, geschah es unter wesentlich veränderten Umständen.
Durch den Gang des Krieges hatte Piemont sein Prestige in Italien selbst
verloren, Alles verschwor sich zu Tadel und Mißgunst. Je deutlicher das
Ziel der piemontesischen Politik hervorgetreten war, nämlich einen großen
dominirenden Nationalstaat in Italien aufzurichten, um so enger schaarte sich
nun Alles zusammen, was sich durch diesen Plan in seinen Interessen beein¬
trächtigt glaubte, und „Conföderation" wurde jetzt die Losung aller piemont-
feindlichen Mächte und Parteien. Insbesondere erfreute sich dieses Project
der Protection der französischen Republik, über deren italienische Politik im
Jahre 1848 die Geschichte bereits ihr Urtheil gefällt hat. Venedig war von
Bastide längst aufgegeben, auch wenn es noch immer mit zweideutigen Ver¬
sprechungen hingehalten wurde. Aber auch die Vereinigung der Lombardei
mit Piemont fand an ihm einen hartnäckigen Gegner: nicht ein subalpinisches
Reich, schrieb er seinen Agenten vor, nicht die Einheit Italiens, sondern eine
Föderation unabhängiger, möglichst gleich starker Staaten sei das Ziel der
französischen Politik. Die Angst vor dem Ehrgeiz Karl Alberts und vor
einem furchtbaren subalpinischen Staat von 11 oder 12 Mill. Einwohnern
kam in wahrhaft kläglicher Weise zu Tag. Dagegen begünstigte man Tos-
cana, das fortwährend an der Idee der Conföderation festhielt und gleich-


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[0299] die Unterstützung Englands in demselben Maaße schwächer wurde, in welchem die Prätensionen Oestreichs wieder stiegen. Anfang Juli verhehlte Aber- cromby einer vertrauten Persönlichkeit Karl Alberts nicht, daß sich die Tage für Italien verschlimmert hätten, und rieth dem König an, ernstlich die In¬ teressen seiner Krone zu Rathe zu ziehen und auf einen ehrenvollen Frieden mit Oestreich bedacht zu sein. Karl Albert antwortete in einem eigenhändi¬ gen Schreiben vom 7. Juli, daß, wenn es sich um eine Verhandlung auf Grundlage der Annexion von Parma, Modena und der Lombardei bis zur Etsch handle, er nicht anstehen werde, dies als Grundlage eines Friedens an¬ zunehmen; es seien triftige Gründe vorhanden, um auch das subalpinische Parlament und die Nation zu überzeugen, daß es ersprießlich und weise sei, einen Frieden anzunehmen, der immer noch ehrenvoll und ruhmreich sei in Anbetracht des großen Mißverhältnisses der Kräfte von Oestreich und Sar¬ dinien. Das war nicht im Sinn der bisherigen Politik Paretos, es klang auch nicht so hochherzig wie die bisherigen Erklärungen und Proclamationen. Aber es war in Ansehung der gewaltigen Schwierigkeiten practisch gedacht und der Fehler war nur, daß es jetzt zu spät war. Oestreich war bereits entschlossen, auf solcher Grundlage nicht mehr zu verhandeln. Die Schlacht von Custoza und der Waffenstillstand (9. August) machten es vollends zum Herrn der Lage. Als im Herbst 1848 die Verhandlungen wegen einer Conföderation wieder aufgenommen wurden, geschah es unter wesentlich veränderten Umständen. Durch den Gang des Krieges hatte Piemont sein Prestige in Italien selbst verloren, Alles verschwor sich zu Tadel und Mißgunst. Je deutlicher das Ziel der piemontesischen Politik hervorgetreten war, nämlich einen großen dominirenden Nationalstaat in Italien aufzurichten, um so enger schaarte sich nun Alles zusammen, was sich durch diesen Plan in seinen Interessen beein¬ trächtigt glaubte, und „Conföderation" wurde jetzt die Losung aller piemont- feindlichen Mächte und Parteien. Insbesondere erfreute sich dieses Project der Protection der französischen Republik, über deren italienische Politik im Jahre 1848 die Geschichte bereits ihr Urtheil gefällt hat. Venedig war von Bastide längst aufgegeben, auch wenn es noch immer mit zweideutigen Ver¬ sprechungen hingehalten wurde. Aber auch die Vereinigung der Lombardei mit Piemont fand an ihm einen hartnäckigen Gegner: nicht ein subalpinisches Reich, schrieb er seinen Agenten vor, nicht die Einheit Italiens, sondern eine Föderation unabhängiger, möglichst gleich starker Staaten sei das Ziel der französischen Politik. Die Angst vor dem Ehrgeiz Karl Alberts und vor einem furchtbaren subalpinischen Staat von 11 oder 12 Mill. Einwohnern kam in wahrhaft kläglicher Weise zu Tag. Dagegen begünstigte man Tos- cana, das fortwährend an der Idee der Conföderation festhielt und gleich- 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/299>, abgerufen am 23.07.2024.