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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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noch viel mehr aus übertriebener, edler Seelen unwürdiger Angst den Rath
geben, daß man sich zu Zugeständnissen bequemen müsse. Diese Leute be¬
denken nicht, daß unsere Zukunft, unser Ruhm, unser Wohlergehen, ja sogar
unsere Selbständigkeit abhängen von der Festigkeit, mit welcher die Ein¬
flüsterungen der Liberalen zurückgewiesen werden, was auch immer die Maske
sei, unter der sie sich zu ihrer Rechtfertigung einführen mögen." Es war
der letzte Rath, den er seinem König ertheilte. Das Entlassungsgesuch, das
in diesen Tagen der Marchese Villamarina als Polizeiminister einreichte,
wegen eines sein Departement betreffenden Vorfalls, war für den König
Veranlassung, auch dem Grafen Solaro trotz seines Widerstrebens die Ent¬
lassung aufzunöthigen. Eine Reise in den Provinzen hatte kurz zuvor Karl
Albert von dem wahren Geist der Bevölkerung unterrichtet; das Beispiel
von Rom und Florenz mußte schließlich alle Bedenken überwinden, Karl
Albert durfte sich nicht von den anderen Höfen überholen lassen; zudem trieb
ihn die englische Diplomatie vorwärts, welche in diesen Tagen an allen
Höfen ebenso zu freiwilligen Reformen rieth, wie sie dann im Februar und
März 1848 eindringlich vor dem Bruch mit Oestreich warnte. An Solaro's
Stelle übernahm der Gras Marzano das Auswärtige. Es erfolgten die ersten
noch sehr bescheidenen Reformen, die Feste, die ersten Schritte einer freien
Presse. An eine Verfassung dachte Karl Albert, überdies durch das geheime
Versprechen von 1829 an Oestreich gebunden, noch lange nicht. Als ihn der
Großherzog von Toscana um Mittheilung bat, wie weit er in den politischen
Reformen zu gehen gedenke, erwiderte Karl Albert in einem Brief vom
2. Januar, daß er keineswegs jene constitutionelle Regierungen nachzuahmen
gedenke, "wo die Freiheit nur eine Fiction ist und die Staatsverwaltung
sich auf die Corruption stützt." Ein freisinniges Gemeindegesetz und eine
Abstufung von Wahlkörpern, von der Gemeindeverwaltung aufsteigend bis zu
einem Staatsrath, schien ihm hinreichend, um seinem Volk alle die Freiheit
zu geben, die er mit der Erhaltung der monarchischen Grundlagen sür ver¬
träglich hielt. Als freilich kurz darauf der König von Neapel eine Verfassung
ertheilte, war diese Linie nicht mehr einzuhalten. Lord Palmerston drängte
jetzt auch in Turin lebhast zur Ertheilung der Constitution, wozu sich der
König nach langen Ministerberathungen und nach Ueberwindung schwerer
Gewissensbedenken entschloß, vierzehn Tage vor dem Ausbruch der Pariser
Februarrevolution.

War es so dem englischen Einflüsse gelungen, durch politische Reformen
einem Bruch zwischen den Fürsten und Völkern in Italien vorzubeugen, so
gelang es ihm nicht ebenso, den Bruch zwischen Piemont und dem Wiener
Cabinet abzuwenden. Auf allen Seiten suchte Lord Palmerston zu vermit¬
teln, um den Frieden aufrecht zu halten. In Turin rieth er zur Freund-


noch viel mehr aus übertriebener, edler Seelen unwürdiger Angst den Rath
geben, daß man sich zu Zugeständnissen bequemen müsse. Diese Leute be¬
denken nicht, daß unsere Zukunft, unser Ruhm, unser Wohlergehen, ja sogar
unsere Selbständigkeit abhängen von der Festigkeit, mit welcher die Ein¬
flüsterungen der Liberalen zurückgewiesen werden, was auch immer die Maske
sei, unter der sie sich zu ihrer Rechtfertigung einführen mögen." Es war
der letzte Rath, den er seinem König ertheilte. Das Entlassungsgesuch, das
in diesen Tagen der Marchese Villamarina als Polizeiminister einreichte,
wegen eines sein Departement betreffenden Vorfalls, war für den König
Veranlassung, auch dem Grafen Solaro trotz seines Widerstrebens die Ent¬
lassung aufzunöthigen. Eine Reise in den Provinzen hatte kurz zuvor Karl
Albert von dem wahren Geist der Bevölkerung unterrichtet; das Beispiel
von Rom und Florenz mußte schließlich alle Bedenken überwinden, Karl
Albert durfte sich nicht von den anderen Höfen überholen lassen; zudem trieb
ihn die englische Diplomatie vorwärts, welche in diesen Tagen an allen
Höfen ebenso zu freiwilligen Reformen rieth, wie sie dann im Februar und
März 1848 eindringlich vor dem Bruch mit Oestreich warnte. An Solaro's
Stelle übernahm der Gras Marzano das Auswärtige. Es erfolgten die ersten
noch sehr bescheidenen Reformen, die Feste, die ersten Schritte einer freien
Presse. An eine Verfassung dachte Karl Albert, überdies durch das geheime
Versprechen von 1829 an Oestreich gebunden, noch lange nicht. Als ihn der
Großherzog von Toscana um Mittheilung bat, wie weit er in den politischen
Reformen zu gehen gedenke, erwiderte Karl Albert in einem Brief vom
2. Januar, daß er keineswegs jene constitutionelle Regierungen nachzuahmen
gedenke, „wo die Freiheit nur eine Fiction ist und die Staatsverwaltung
sich auf die Corruption stützt." Ein freisinniges Gemeindegesetz und eine
Abstufung von Wahlkörpern, von der Gemeindeverwaltung aufsteigend bis zu
einem Staatsrath, schien ihm hinreichend, um seinem Volk alle die Freiheit
zu geben, die er mit der Erhaltung der monarchischen Grundlagen sür ver¬
träglich hielt. Als freilich kurz darauf der König von Neapel eine Verfassung
ertheilte, war diese Linie nicht mehr einzuhalten. Lord Palmerston drängte
jetzt auch in Turin lebhast zur Ertheilung der Constitution, wozu sich der
König nach langen Ministerberathungen und nach Ueberwindung schwerer
Gewissensbedenken entschloß, vierzehn Tage vor dem Ausbruch der Pariser
Februarrevolution.

War es so dem englischen Einflüsse gelungen, durch politische Reformen
einem Bruch zwischen den Fürsten und Völkern in Italien vorzubeugen, so
gelang es ihm nicht ebenso, den Bruch zwischen Piemont und dem Wiener
Cabinet abzuwenden. Auf allen Seiten suchte Lord Palmerston zu vermit¬
teln, um den Frieden aufrecht zu halten. In Turin rieth er zur Freund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/292>, abgerufen am 22.07.2024.