Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.keit in dichterische Gebilde umgewandelt, nicht selten zu Nebelgestalten ver¬ Trotz der Erfolge der Frau von Staöl und Chateaubriands, der in den In der Reise in den Orient bezeichnet Lamartine als die Grundstim¬ keit in dichterische Gebilde umgewandelt, nicht selten zu Nebelgestalten ver¬ Trotz der Erfolge der Frau von Staöl und Chateaubriands, der in den In der Reise in den Orient bezeichnet Lamartine als die Grundstim¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121410"/> <p xml:id="ID_567" prev="#ID_566"> keit in dichterische Gebilde umgewandelt, nicht selten zu Nebelgestalten ver¬<lb/> flüchtigt.</p><lb/> <p xml:id="ID_568"> Trotz der Erfolge der Frau von Staöl und Chateaubriands, der in den<lb/> herrschenden Kreisen ebenso als Dichter wie als begeisterter Roycilist gefeiert<lb/> wurde, behauptete die Classicität doch in den ersten Jahren der Restauration<lb/> noch ihren ererbten Platz. Sie blickte mit Hochmuth auf die ersten Re¬<lb/> gungen des Romanticismus herab, ohne die Kraft in sich zu fühlen, den<lb/> jugendlichen Vorkämpfern der neuen Richtung ebenbürtige Jünger Boileaus<lb/> entgegenzustellen. Da erschienen 1820 Lamartine's Nöäit>g.t>ion3, die um so<lb/> mehr Aufsehen erregten, als Lamartine, obwohl von der immer mächtiger<lb/> fluthenden neuen Strömung getragen, doch äußerlich zu keiner Schule hielt,<lb/> sondern durchaus selbständig und eigenartig auftrat, indem er die höch¬<lb/> sten Gegenstände des menschlichen Denkens und Empfindens in den Kreis<lb/> seiner dichterischen Betrachtungen erhob und sich zu dem Anspruch verstieg,<lb/> umwälzend und neugestaltend in das ganze geistige Leben der Nation ein¬<lb/> zugreifen und den Skepticismus des 18. Jahrhunderts durch die Fluch einer<lb/> volltönenden, mit dem Zauber eines die Sinne umstrickenden Wohllauts<lb/> und einer schimmernden, bilder- und wortreichen Darstellung ausgerüsteten<lb/> Poesie, wegzuschwemmen. Und in der That war die Wirkung, die Lamar¬<lb/> tine's erste Dichtungen auf die Zeitgenossen, und zwar keineswegs blos auf<lb/> erclusive Kreise, sondern ganz allgemein ausübte, eine außerordentliche,<lb/> und man kann wohl behaupten, daß der Beifall, den sein Erstlingswerk<lb/> fand, beträchtlich über den Werth desselben hinausging. Die äußerlich noch<lb/> herrschende, innerlich bereits abgestorbene classische Richtung konnte nicht<lb/> mehr das ästhetische und das geistig-sittliche Bedürfniß der an sich selbst<lb/> und an der Welt irre gewordenen Nation befriedigen. Man sehnte sich<lb/> nach einer Quelle der Verjüngung, nach einem Trank der Erfrischung.<lb/> Wer es nun wie Lamartine verstand, Vorstellungen und Ideen, die in der<lb/> gebildeten Gesellschaft lange Zeit geächtet gewesen waren und für Fana¬<lb/> tismus und Aberglauben galten, in eine schöne und bestechende Form<lb/> einzukleiden, konnte des Erfolges sicher sein. Man fühlte sich in anmuthig¬<lb/> ster Weise ästhetisch angeregt, und konnte den Ideen, die in so schöner<lb/> Form auftraten, das Bürgerrecht in den Salons nicht versagen, zumal da<lb/> man sich recht gut in eine gewisse Begeisterung für des Dichters Ideale hin¬<lb/> einlesen konnte, ohne sich deshalb zu einer geistlichen und sittlichen Ein- und<lb/> Umkehr gezwungen zu sehen und geradezu mit den alten Vorstellungen zu<lb/> brechen.</p><lb/> <p xml:id="ID_569" next="#ID_570"> In der Reise in den Orient bezeichnet Lamartine als die Grundstim¬<lb/> mung seiner Seele die Begeisterung für die Natur und für ihren Schöpfer.<lb/> Er selbst knüpft diese doppelte Begeisterung an die Eindrücke, die er in der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0189]
keit in dichterische Gebilde umgewandelt, nicht selten zu Nebelgestalten ver¬
flüchtigt.
Trotz der Erfolge der Frau von Staöl und Chateaubriands, der in den
herrschenden Kreisen ebenso als Dichter wie als begeisterter Roycilist gefeiert
wurde, behauptete die Classicität doch in den ersten Jahren der Restauration
noch ihren ererbten Platz. Sie blickte mit Hochmuth auf die ersten Re¬
gungen des Romanticismus herab, ohne die Kraft in sich zu fühlen, den
jugendlichen Vorkämpfern der neuen Richtung ebenbürtige Jünger Boileaus
entgegenzustellen. Da erschienen 1820 Lamartine's Nöäit>g.t>ion3, die um so
mehr Aufsehen erregten, als Lamartine, obwohl von der immer mächtiger
fluthenden neuen Strömung getragen, doch äußerlich zu keiner Schule hielt,
sondern durchaus selbständig und eigenartig auftrat, indem er die höch¬
sten Gegenstände des menschlichen Denkens und Empfindens in den Kreis
seiner dichterischen Betrachtungen erhob und sich zu dem Anspruch verstieg,
umwälzend und neugestaltend in das ganze geistige Leben der Nation ein¬
zugreifen und den Skepticismus des 18. Jahrhunderts durch die Fluch einer
volltönenden, mit dem Zauber eines die Sinne umstrickenden Wohllauts
und einer schimmernden, bilder- und wortreichen Darstellung ausgerüsteten
Poesie, wegzuschwemmen. Und in der That war die Wirkung, die Lamar¬
tine's erste Dichtungen auf die Zeitgenossen, und zwar keineswegs blos auf
erclusive Kreise, sondern ganz allgemein ausübte, eine außerordentliche,
und man kann wohl behaupten, daß der Beifall, den sein Erstlingswerk
fand, beträchtlich über den Werth desselben hinausging. Die äußerlich noch
herrschende, innerlich bereits abgestorbene classische Richtung konnte nicht
mehr das ästhetische und das geistig-sittliche Bedürfniß der an sich selbst
und an der Welt irre gewordenen Nation befriedigen. Man sehnte sich
nach einer Quelle der Verjüngung, nach einem Trank der Erfrischung.
Wer es nun wie Lamartine verstand, Vorstellungen und Ideen, die in der
gebildeten Gesellschaft lange Zeit geächtet gewesen waren und für Fana¬
tismus und Aberglauben galten, in eine schöne und bestechende Form
einzukleiden, konnte des Erfolges sicher sein. Man fühlte sich in anmuthig¬
ster Weise ästhetisch angeregt, und konnte den Ideen, die in so schöner
Form auftraten, das Bürgerrecht in den Salons nicht versagen, zumal da
man sich recht gut in eine gewisse Begeisterung für des Dichters Ideale hin¬
einlesen konnte, ohne sich deshalb zu einer geistlichen und sittlichen Ein- und
Umkehr gezwungen zu sehen und geradezu mit den alten Vorstellungen zu
brechen.
In der Reise in den Orient bezeichnet Lamartine als die Grundstim¬
mung seiner Seele die Begeisterung für die Natur und für ihren Schöpfer.
Er selbst knüpft diese doppelte Begeisterung an die Eindrücke, die er in der
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