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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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nicht vor Augen hat, nur schwer ein richtiges Urtheil bildet. Nach Dingen,
die fern abliegen, zu fragen und mühsame Quellenstudien über dieselben zu
treiben, ist überdies nicht Jedermanns Ding. So ist es gekommen, daß
unsere coloniale Frage nur sehr langsam gefördert und erst neuerdings
in den Vordergrund gestellt worden ist. 1

Wenn von Hollands ostindischen Besitzungen die Rede ist, so versteht
man darunter eigentlich immer nur die Insel Java, da die anderen -- die
sogenannten Außenbesttzungen -- durchaus nicht in die Wagschale fallen.
Die Gewürz-Inseln: Amboina, Banda u. s. w. sind durch die Politik der
ostindischen Compagnie längst so tief gesunken, daß ihr früher viel begehrter
Besitz zu einer Last geworden ist, und daß alle Mittel zur Hebung ihres
Zustandes bis jetzt gescheitert sind. Die Besitzungen -- Colonien kann man
sie nicht nennen -- auf Borneo, Sumatra und den übrigen größeren Inseln
haben außer dem nördlichen Theil von Celebes ebenfalls keine Bedeutung.
Auch ist die Verwaltung derselben von der Java's völlig getrennt und
verschieden. --

Wie steht es nun mit Java? Nach dem bis jetzt geltenden "Cultursystem"
muß die Bevölkerung von Java der Regierung eine jährliche Steuer, die "Land¬
rente" zahlen, die sich von einem Fünftel bis zur Hälfte der ersten Ernte der
cultivirten Ländereien beläuft. Die zweite Ernte ist frei. Nach orientalischem
Begriff ist der Staat der Eigenthümer des Grund und Bodens und der
Bauer, der denselben bearbeitet, hat nur ein gewisses Besitz-oder Gebrauchs¬
recht; die "Landrente" kann als Pachtzins angesehen werden, nur daß das
Besitzrecht des Inhabers unantastbar ist, so lange der Bauer seinen Ver¬
pflichtungen dem Staat gegenüber Genüge leistet. Diese Abgabe, die in
Natura oder in Geld geleistet werden kann, wäre an und für sich nicht unzu¬
lässig, wenn sie nur gleichmäßiger vertheilt und geordnet wäre. Der Grund¬
besitz ist in Indien ein gemeinschaftlicher; jedes Dessa (Dorf) vertheilt jähr¬
lich die ihm zustehenden Ländereien unter seine Einwohner. Früher wurde
meistens in größeren Zeiträumen vertheilt, aber das "Cultursystem" machte
eine jährliche Vertheilung nöthig. Der Dessa-Häuptling sorgt für die Ein¬
treibung der Steuer; er wird von den Bewohnern gewählt und vertritt die
Interessen des Dessa gegenüber der Regierung, -- Daß ein so geordneter
Communal-Grundbesitz nicht fördernd auf den Landbau wirken kann, ver¬
steht sich von selbst. -- Die Bevölkerung Java's ist ferner verpflichtet, den fünf¬
ten Theil des cultivirten Landes mit den Produkten zu bepflanzen, welche für
den europäischen Markt verlangt werden, hauptsächlich Kaffee und Zucker,
da andere Artikel, wie Indigo u. s. w. als Verlust bringend nicht mehr ver¬
langt werden.

Anlangend den Zuckerbau verpflichtet unsere Regierung die Bevölkerung


nicht vor Augen hat, nur schwer ein richtiges Urtheil bildet. Nach Dingen,
die fern abliegen, zu fragen und mühsame Quellenstudien über dieselben zu
treiben, ist überdies nicht Jedermanns Ding. So ist es gekommen, daß
unsere coloniale Frage nur sehr langsam gefördert und erst neuerdings
in den Vordergrund gestellt worden ist. 1

Wenn von Hollands ostindischen Besitzungen die Rede ist, so versteht
man darunter eigentlich immer nur die Insel Java, da die anderen — die
sogenannten Außenbesttzungen — durchaus nicht in die Wagschale fallen.
Die Gewürz-Inseln: Amboina, Banda u. s. w. sind durch die Politik der
ostindischen Compagnie längst so tief gesunken, daß ihr früher viel begehrter
Besitz zu einer Last geworden ist, und daß alle Mittel zur Hebung ihres
Zustandes bis jetzt gescheitert sind. Die Besitzungen — Colonien kann man
sie nicht nennen — auf Borneo, Sumatra und den übrigen größeren Inseln
haben außer dem nördlichen Theil von Celebes ebenfalls keine Bedeutung.
Auch ist die Verwaltung derselben von der Java's völlig getrennt und
verschieden. —

Wie steht es nun mit Java? Nach dem bis jetzt geltenden „Cultursystem"
muß die Bevölkerung von Java der Regierung eine jährliche Steuer, die „Land¬
rente" zahlen, die sich von einem Fünftel bis zur Hälfte der ersten Ernte der
cultivirten Ländereien beläuft. Die zweite Ernte ist frei. Nach orientalischem
Begriff ist der Staat der Eigenthümer des Grund und Bodens und der
Bauer, der denselben bearbeitet, hat nur ein gewisses Besitz-oder Gebrauchs¬
recht; die „Landrente" kann als Pachtzins angesehen werden, nur daß das
Besitzrecht des Inhabers unantastbar ist, so lange der Bauer seinen Ver¬
pflichtungen dem Staat gegenüber Genüge leistet. Diese Abgabe, die in
Natura oder in Geld geleistet werden kann, wäre an und für sich nicht unzu¬
lässig, wenn sie nur gleichmäßiger vertheilt und geordnet wäre. Der Grund¬
besitz ist in Indien ein gemeinschaftlicher; jedes Dessa (Dorf) vertheilt jähr¬
lich die ihm zustehenden Ländereien unter seine Einwohner. Früher wurde
meistens in größeren Zeiträumen vertheilt, aber das „Cultursystem" machte
eine jährliche Vertheilung nöthig. Der Dessa-Häuptling sorgt für die Ein¬
treibung der Steuer; er wird von den Bewohnern gewählt und vertritt die
Interessen des Dessa gegenüber der Regierung, — Daß ein so geordneter
Communal-Grundbesitz nicht fördernd auf den Landbau wirken kann, ver¬
steht sich von selbst. — Die Bevölkerung Java's ist ferner verpflichtet, den fünf¬
ten Theil des cultivirten Landes mit den Produkten zu bepflanzen, welche für
den europäischen Markt verlangt werden, hauptsächlich Kaffee und Zucker,
da andere Artikel, wie Indigo u. s. w. als Verlust bringend nicht mehr ver¬
langt werden.

Anlangend den Zuckerbau verpflichtet unsere Regierung die Bevölkerung


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[0108] nicht vor Augen hat, nur schwer ein richtiges Urtheil bildet. Nach Dingen, die fern abliegen, zu fragen und mühsame Quellenstudien über dieselben zu treiben, ist überdies nicht Jedermanns Ding. So ist es gekommen, daß unsere coloniale Frage nur sehr langsam gefördert und erst neuerdings in den Vordergrund gestellt worden ist. 1 Wenn von Hollands ostindischen Besitzungen die Rede ist, so versteht man darunter eigentlich immer nur die Insel Java, da die anderen — die sogenannten Außenbesttzungen — durchaus nicht in die Wagschale fallen. Die Gewürz-Inseln: Amboina, Banda u. s. w. sind durch die Politik der ostindischen Compagnie längst so tief gesunken, daß ihr früher viel begehrter Besitz zu einer Last geworden ist, und daß alle Mittel zur Hebung ihres Zustandes bis jetzt gescheitert sind. Die Besitzungen — Colonien kann man sie nicht nennen — auf Borneo, Sumatra und den übrigen größeren Inseln haben außer dem nördlichen Theil von Celebes ebenfalls keine Bedeutung. Auch ist die Verwaltung derselben von der Java's völlig getrennt und verschieden. — Wie steht es nun mit Java? Nach dem bis jetzt geltenden „Cultursystem" muß die Bevölkerung von Java der Regierung eine jährliche Steuer, die „Land¬ rente" zahlen, die sich von einem Fünftel bis zur Hälfte der ersten Ernte der cultivirten Ländereien beläuft. Die zweite Ernte ist frei. Nach orientalischem Begriff ist der Staat der Eigenthümer des Grund und Bodens und der Bauer, der denselben bearbeitet, hat nur ein gewisses Besitz-oder Gebrauchs¬ recht; die „Landrente" kann als Pachtzins angesehen werden, nur daß das Besitzrecht des Inhabers unantastbar ist, so lange der Bauer seinen Ver¬ pflichtungen dem Staat gegenüber Genüge leistet. Diese Abgabe, die in Natura oder in Geld geleistet werden kann, wäre an und für sich nicht unzu¬ lässig, wenn sie nur gleichmäßiger vertheilt und geordnet wäre. Der Grund¬ besitz ist in Indien ein gemeinschaftlicher; jedes Dessa (Dorf) vertheilt jähr¬ lich die ihm zustehenden Ländereien unter seine Einwohner. Früher wurde meistens in größeren Zeiträumen vertheilt, aber das „Cultursystem" machte eine jährliche Vertheilung nöthig. Der Dessa-Häuptling sorgt für die Ein¬ treibung der Steuer; er wird von den Bewohnern gewählt und vertritt die Interessen des Dessa gegenüber der Regierung, — Daß ein so geordneter Communal-Grundbesitz nicht fördernd auf den Landbau wirken kann, ver¬ steht sich von selbst. — Die Bevölkerung Java's ist ferner verpflichtet, den fünf¬ ten Theil des cultivirten Landes mit den Produkten zu bepflanzen, welche für den europäischen Markt verlangt werden, hauptsächlich Kaffee und Zucker, da andere Artikel, wie Indigo u. s. w. als Verlust bringend nicht mehr ver¬ langt werden. Anlangend den Zuckerbau verpflichtet unsere Regierung die Bevölkerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/108>, abgerufen am 02.10.2024.