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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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der Julirevolution in Berlin gemacht hat; diese Schilderung hat den Vorzug,
eine zusammenhängende zu sein und aus mehr als den sonst üblichen aufge¬
lesenen Brocken zu bestehen.

Bei Allem, was von Preußens auswärtiger Politik aus den Jah¬
ren 1826 bis 1830 erzählt wird, stehen die Klagen über die Abhängigkeit
von Rußland im Vordergrunde. Während nach Alexander von Humboldt's
Mittheilung (V. 284) weder am russischen Hofe noch bei den Behörden
eine günstige Stimmung für Preußen zu finden ist, überbietet man sich in
Berlin an Bezeugungen der Ergebenheit. "Graf Nesselrode (sagteHumboldt
zu Varnhagen) scherzt über unsere Politik, an eine Begünstigung in Handels¬
sachen ist nicht zu denken, Graf Cancnn hat Abneigung gegen uns. der Kai¬
ser kennt unser hiesiges Wesen zu genau, um es sehr in Rechnung zu stellen."
Daß das russische Cabinet mit Frankreich Verbindungen angeknüpft habe,
wollte auch der Gesandte v. Schöler wissen. Davon etwas in den Depeschen
zu sagen, hatte dieser Diplomat übrigens nicht gewagt, "denn es sei kein Ge¬
heimniß in Berlin, um das der russische Hof nicht sogleich durch den preußi¬
schen selbst wüßte". Nichtsdestoweniger bleibt Preußens Ergebenheit unver¬
änderlich dieselbe. Bei Hofe ahmt man mit Ostentation das Petersburger Cere-
moniell nach, von den Prinzen heißt es, sie zeigten mit Vorliebe russische
Manieren und der Kronprinz gilt für den Hauptvertreter von Rußlands
orientalischer Politik. Preußens diplomatische Vertreter werden förmlich an¬
gewiesen, sich in wichtigen Fällen stets mit den russischen College" ins Ver¬
nehmen zu setzen. Noch größer ist die Gefälligkeit der Polizei und dessen
was mit ihr zusammenhängt. "Unsere Censur hat eine besondere Vorschrift
für Alles, was Rußland betrifft. Ein Buchhändler wollte die Ankündigung
einer Schrift über russische Dampfbäder in die Zeitung rücken; der Censor
Geh. Regierungsrath Grano wies die Anzeige zurück, bis erst das Buch vor¬
gelegt sei, damit man wisse, was drin stehe. Blos des Worts "russisch"
wegen." -- In der Berliner Bevölkerung ist der Haß gegen Oestreich und
den Fürsten Metternich aber so groß, daß Alles, was gegen die Wiener Politik
geschieht, dankbaren Boden findet. Varnhagen selbst nimmt in Sachen des
türkisch-griechischen Krieges für die Griechen und für Rußland Partei. Die
Collecten zu Gunsten der Griechen, welche nach manmchfachen Hemmnissen
zu Stande kommen und sich von Berlin aus rasch über die preußischen Pro¬
vinzen verbreiten, sind Gegenstand seiner lebhaftesten Freude, sowol wegen
der Griechen, als wegen des Aergers. den sie in Wien hervorrufen werden.
"Heute (29. Mai 1826) steht in der Zeitung unter den bei Hufeland ein¬
gegangenen Beiträgen für die Griechen einer von 1200 Friedrichsd'or von
einem Ungenannten; das kann nur der König sein! Unmittelbar daraufsteht
die Fürstin Liegnitz mit 10 Friedrichsd'or. Jenes wird den Fürsten Metter-


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der Julirevolution in Berlin gemacht hat; diese Schilderung hat den Vorzug,
eine zusammenhängende zu sein und aus mehr als den sonst üblichen aufge¬
lesenen Brocken zu bestehen.

Bei Allem, was von Preußens auswärtiger Politik aus den Jah¬
ren 1826 bis 1830 erzählt wird, stehen die Klagen über die Abhängigkeit
von Rußland im Vordergrunde. Während nach Alexander von Humboldt's
Mittheilung (V. 284) weder am russischen Hofe noch bei den Behörden
eine günstige Stimmung für Preußen zu finden ist, überbietet man sich in
Berlin an Bezeugungen der Ergebenheit. „Graf Nesselrode (sagteHumboldt
zu Varnhagen) scherzt über unsere Politik, an eine Begünstigung in Handels¬
sachen ist nicht zu denken, Graf Cancnn hat Abneigung gegen uns. der Kai¬
ser kennt unser hiesiges Wesen zu genau, um es sehr in Rechnung zu stellen."
Daß das russische Cabinet mit Frankreich Verbindungen angeknüpft habe,
wollte auch der Gesandte v. Schöler wissen. Davon etwas in den Depeschen
zu sagen, hatte dieser Diplomat übrigens nicht gewagt, „denn es sei kein Ge¬
heimniß in Berlin, um das der russische Hof nicht sogleich durch den preußi¬
schen selbst wüßte". Nichtsdestoweniger bleibt Preußens Ergebenheit unver¬
änderlich dieselbe. Bei Hofe ahmt man mit Ostentation das Petersburger Cere-
moniell nach, von den Prinzen heißt es, sie zeigten mit Vorliebe russische
Manieren und der Kronprinz gilt für den Hauptvertreter von Rußlands
orientalischer Politik. Preußens diplomatische Vertreter werden förmlich an¬
gewiesen, sich in wichtigen Fällen stets mit den russischen College» ins Ver¬
nehmen zu setzen. Noch größer ist die Gefälligkeit der Polizei und dessen
was mit ihr zusammenhängt. „Unsere Censur hat eine besondere Vorschrift
für Alles, was Rußland betrifft. Ein Buchhändler wollte die Ankündigung
einer Schrift über russische Dampfbäder in die Zeitung rücken; der Censor
Geh. Regierungsrath Grano wies die Anzeige zurück, bis erst das Buch vor¬
gelegt sei, damit man wisse, was drin stehe. Blos des Worts „russisch"
wegen." — In der Berliner Bevölkerung ist der Haß gegen Oestreich und
den Fürsten Metternich aber so groß, daß Alles, was gegen die Wiener Politik
geschieht, dankbaren Boden findet. Varnhagen selbst nimmt in Sachen des
türkisch-griechischen Krieges für die Griechen und für Rußland Partei. Die
Collecten zu Gunsten der Griechen, welche nach manmchfachen Hemmnissen
zu Stande kommen und sich von Berlin aus rasch über die preußischen Pro¬
vinzen verbreiten, sind Gegenstand seiner lebhaftesten Freude, sowol wegen
der Griechen, als wegen des Aergers. den sie in Wien hervorrufen werden.
„Heute (29. Mai 1826) steht in der Zeitung unter den bei Hufeland ein¬
gegangenen Beiträgen für die Griechen einer von 1200 Friedrichsd'or von
einem Ungenannten; das kann nur der König sein! Unmittelbar daraufsteht
die Fürstin Liegnitz mit 10 Friedrichsd'or. Jenes wird den Fürsten Metter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/83>, abgerufen am 24.07.2024.