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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Gesellschaft, der Club der Veneder (k. vevsw) zuerst in die Bahn trat, wissen
wir nicht. Da der altitalische Volksstamm dieses Namens, welcher unter
Galliern im Norden der Pomündung wohnte, nach sagenhafter Ueberlieferung
mit dem Ahnherrn des Julischen Kaiserhauses aus Troja eingewandert war,
und da Virgilius, der große Hofdichter des Julischen Geschlechts, diese Stamm¬
verwandtschaft hervorhebt, so ist nicht unwahrscheinlich, daß der Clubname
unter Cäsar oder Augustus in Aufnahme gekommen ist, und daß nicht die
Farbe, welche der Club führte, der Faction zuerst ihre Namen gegeben hat,
sondern daß die Farbenbezeichnung, venotus color. erst durch die Rennbahn
in die lateinische Sprache eingeführt wurde. Die Farbe war die des blau¬
grünen Meeres, aus welchem einst Venus, die Ahnfrau des Kaiserhauses, auf¬
getaucht war. Eine Nuance der Farbe, die lauchgrüne, kam mit dem vier¬
ten Club, taetio piÄsina, unter den Claudischen Kaisern auf, und dieser Club
wurde durch kaiserliche Gunst schnell der angesehenste. Wir wissen nicht, ob
irgend welche Opposition des Claudischen Hofes gegen Julische und republi¬
kanische Erinnerungen mitgewirkt hat. Daß aber solche stille Gunst und
Abneigung auch in der Rennbahn während des ersten Jahrhunderts der
Kaiserzeit eine Rolle gespielt hat, ist unzweifelhaft. Kaiser Galba, der gegen die
Claudier heraufkam, begünstigte wieder die meergrünen Veneder, ebenso Vitellius,
der sich auf die Anhänger des Galba stützen wollte. Unter den späteren Kai¬
sern wurden die ursprünglichen Hausbeziehungen der Clubs gleichgültig, aber
die maßlose und leidenschaftliche Parteinahme des Publicums und der Kaiser
für eine und die andere Farbe war doch nicht ohne politischen Hintergrund.

Es ist wahr, die Factionen der Rennbahn trieben keine Politik, die Clubs
selbst bestanden aus Pferdezüchtern und hart gesottenen Speculanten, die sich
in ihrem wohlverstandenen Interesse auf der Rennbahn Concurrenz machten,
außerdem gegen das Publicum und die Festgeber zusammen zu halten wußten.
Aber die gesammte Bevölkerung der Städte, welche den Sport nicht gewerb-
mäßig trieb, vom Kaiser bis zum obdachlosen Straßenbuben, war in Par¬
teien getheilt, schlechte Kaiser brachten siegreiche Wagenlenker feindlicher
Factionen um, und der kleine Mann beroch ängstlich den Mist der Renn¬
pferde, um daraus zu folgern, ob die Nenner seiner Partei das richtige Futter
erhalten hatten. Mehr als' einmal entbrannte in Rom und Constantinopel
durch die Excesse des Circus ein Aufruhr, welcher dem kaiserlichen Thron
furchtbare Gefahr drohte. Die Rennbahn war der Ort, wo das Volk sich
am meisten als Masse fühlte gegenüber seinen Gewaltigerm, und wo es sich
die Freiheit herausnahm, durch Zuruf, Beifall und Spottreden auch die höchsten
Machthaber zu kritisiren; dort wagte es, durch Acclamationen wahres oder
officielles Wohlgefallen auszudrücken, aber auch Forderungen zu stellen, welche
mit der Rennbahn nichts zu thun hatten, die Verurtheilung von Verbrechern,


Gesellschaft, der Club der Veneder (k. vevsw) zuerst in die Bahn trat, wissen
wir nicht. Da der altitalische Volksstamm dieses Namens, welcher unter
Galliern im Norden der Pomündung wohnte, nach sagenhafter Ueberlieferung
mit dem Ahnherrn des Julischen Kaiserhauses aus Troja eingewandert war,
und da Virgilius, der große Hofdichter des Julischen Geschlechts, diese Stamm¬
verwandtschaft hervorhebt, so ist nicht unwahrscheinlich, daß der Clubname
unter Cäsar oder Augustus in Aufnahme gekommen ist, und daß nicht die
Farbe, welche der Club führte, der Faction zuerst ihre Namen gegeben hat,
sondern daß die Farbenbezeichnung, venotus color. erst durch die Rennbahn
in die lateinische Sprache eingeführt wurde. Die Farbe war die des blau¬
grünen Meeres, aus welchem einst Venus, die Ahnfrau des Kaiserhauses, auf¬
getaucht war. Eine Nuance der Farbe, die lauchgrüne, kam mit dem vier¬
ten Club, taetio piÄsina, unter den Claudischen Kaisern auf, und dieser Club
wurde durch kaiserliche Gunst schnell der angesehenste. Wir wissen nicht, ob
irgend welche Opposition des Claudischen Hofes gegen Julische und republi¬
kanische Erinnerungen mitgewirkt hat. Daß aber solche stille Gunst und
Abneigung auch in der Rennbahn während des ersten Jahrhunderts der
Kaiserzeit eine Rolle gespielt hat, ist unzweifelhaft. Kaiser Galba, der gegen die
Claudier heraufkam, begünstigte wieder die meergrünen Veneder, ebenso Vitellius,
der sich auf die Anhänger des Galba stützen wollte. Unter den späteren Kai¬
sern wurden die ursprünglichen Hausbeziehungen der Clubs gleichgültig, aber
die maßlose und leidenschaftliche Parteinahme des Publicums und der Kaiser
für eine und die andere Farbe war doch nicht ohne politischen Hintergrund.

Es ist wahr, die Factionen der Rennbahn trieben keine Politik, die Clubs
selbst bestanden aus Pferdezüchtern und hart gesottenen Speculanten, die sich
in ihrem wohlverstandenen Interesse auf der Rennbahn Concurrenz machten,
außerdem gegen das Publicum und die Festgeber zusammen zu halten wußten.
Aber die gesammte Bevölkerung der Städte, welche den Sport nicht gewerb-
mäßig trieb, vom Kaiser bis zum obdachlosen Straßenbuben, war in Par¬
teien getheilt, schlechte Kaiser brachten siegreiche Wagenlenker feindlicher
Factionen um, und der kleine Mann beroch ängstlich den Mist der Renn¬
pferde, um daraus zu folgern, ob die Nenner seiner Partei das richtige Futter
erhalten hatten. Mehr als' einmal entbrannte in Rom und Constantinopel
durch die Excesse des Circus ein Aufruhr, welcher dem kaiserlichen Thron
furchtbare Gefahr drohte. Die Rennbahn war der Ort, wo das Volk sich
am meisten als Masse fühlte gegenüber seinen Gewaltigerm, und wo es sich
die Freiheit herausnahm, durch Zuruf, Beifall und Spottreden auch die höchsten
Machthaber zu kritisiren; dort wagte es, durch Acclamationen wahres oder
officielles Wohlgefallen auszudrücken, aber auch Forderungen zu stellen, welche
mit der Rennbahn nichts zu thun hatten, die Verurtheilung von Verbrechern,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/452>, abgerufen am 24.07.2024.