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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Aber ob man die Wettrennen mit warmer Theilnahme oder kritisch be¬
trachte, sie haben unleugbar, seit in Europa überhaupt Cultur besteht, eine
bedeutsame und glänzende Geschichte; sie waren fast in jedem Jahrhundert
charakteristischer Ausdruck der herrschenden Neigungen und Bildung, in man¬
chen Zeiträumen von entscheidenden Einfluß auf die Politik und die Geschicke
der Staaten.

Das moderne Interesse an der Rennbahn reicht bei weitem nicht an
die Bedeutung, welche die Rennbahn im 12. und 13. Jahrhundert und
wieder tausend Jahre früher in der römischen Welt gewonnen hatte. Jetzt
fordern wir vom gerittenen Pferde Schnelligkeit und Dauer des Laufes in
ebener Bahn und durch Terrainhindernisse, wir schätzen vorzugsweise Blut und
Training, welche durch die Kunst des Reiters zur Geltung gebracht werden.
Im Mittelalter war Hauptsache die gewandte Speerkunst des Reiters, erst in
zweiter Linie die Wucht des beschleunigten Nosselaufes. Im Alterthum waren
es auch die Schnelle und kunstvolle Ablichtung des Rosses, aber nicht vor¬
zugsweise des Reitpferdes, sondern des Gespannpferdes und daneben die
schwere Kunst des Bahnlenkers, welche bewundert wurden.

Wer über die römische Rennbahn Ausführliches in anmuthiger Schil¬
derung lesen will, möge in "Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms
von Ludwig Friedländer" den Abschnitt "Schauspiele" aufschlagen, für
die byzantinische Zeit: "Wilken, die Parteien der Rennbahn". Hier soll Ein¬
zelnes von dem römischen Brauch hervorgehoben werden, was in dem Wett¬
rennen der modernen Bahn sein Seitenbild findet, oder dazu in nicht immer
verständlichen Gegensatz steht.

Die Wettrennen waren, wie alle öffentlichen Schauspiele des Alterthums,
meist officielle Acte, welche an Festen der Götter und des Staates und großen
Gedächtnißtagen von den Kaisern und den höchsten Beamten veranstaltet
wurden, zuweilen auch von reichen Privatpersonen; nicht nur in Rom, son¬
dern fast in allen großen Städten des Kaiserstaates. Der Spielgeber er¬
öffnete das Fest, wenn er ein hoher Würdenträger oder die Veranlassung
eine festliche war, durch feierliche Processton (pompg.) und Einzug in die
Rennbahn, er hatte den Vorsitz und vertheilte die Preise. In Rom war
nicht nur der Luxus der Rennfeste am großartigsten, auch die Wiederkehr am
regelmäßigsten. Bis zur Regierung Mare Anton's scheint sich dort die Zahl
der jährlichen Renntage fortwährend vermehrt und in dieser Zeit wohl 40
bis SO Tage des Jahres betragen zu haben. Daß seit Marc Aurel im
Ganzen keine Zunahme stattgefunden habe, schließen wir nur aus der be¬
drängten Lage des Staates, nicht aus Ueberlieferung. Es war also in guten
Rennjahren des zweiten Jahrhunderts jeder siebente bis achte Tag des Jahres
zu Rom ein Renntag. Schon solche Ausdehnung läßt auf einen ungeheuren


Aber ob man die Wettrennen mit warmer Theilnahme oder kritisch be¬
trachte, sie haben unleugbar, seit in Europa überhaupt Cultur besteht, eine
bedeutsame und glänzende Geschichte; sie waren fast in jedem Jahrhundert
charakteristischer Ausdruck der herrschenden Neigungen und Bildung, in man¬
chen Zeiträumen von entscheidenden Einfluß auf die Politik und die Geschicke
der Staaten.

Das moderne Interesse an der Rennbahn reicht bei weitem nicht an
die Bedeutung, welche die Rennbahn im 12. und 13. Jahrhundert und
wieder tausend Jahre früher in der römischen Welt gewonnen hatte. Jetzt
fordern wir vom gerittenen Pferde Schnelligkeit und Dauer des Laufes in
ebener Bahn und durch Terrainhindernisse, wir schätzen vorzugsweise Blut und
Training, welche durch die Kunst des Reiters zur Geltung gebracht werden.
Im Mittelalter war Hauptsache die gewandte Speerkunst des Reiters, erst in
zweiter Linie die Wucht des beschleunigten Nosselaufes. Im Alterthum waren
es auch die Schnelle und kunstvolle Ablichtung des Rosses, aber nicht vor¬
zugsweise des Reitpferdes, sondern des Gespannpferdes und daneben die
schwere Kunst des Bahnlenkers, welche bewundert wurden.

Wer über die römische Rennbahn Ausführliches in anmuthiger Schil¬
derung lesen will, möge in „Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms
von Ludwig Friedländer" den Abschnitt „Schauspiele" aufschlagen, für
die byzantinische Zeit: „Wilken, die Parteien der Rennbahn". Hier soll Ein¬
zelnes von dem römischen Brauch hervorgehoben werden, was in dem Wett¬
rennen der modernen Bahn sein Seitenbild findet, oder dazu in nicht immer
verständlichen Gegensatz steht.

Die Wettrennen waren, wie alle öffentlichen Schauspiele des Alterthums,
meist officielle Acte, welche an Festen der Götter und des Staates und großen
Gedächtnißtagen von den Kaisern und den höchsten Beamten veranstaltet
wurden, zuweilen auch von reichen Privatpersonen; nicht nur in Rom, son¬
dern fast in allen großen Städten des Kaiserstaates. Der Spielgeber er¬
öffnete das Fest, wenn er ein hoher Würdenträger oder die Veranlassung
eine festliche war, durch feierliche Processton (pompg.) und Einzug in die
Rennbahn, er hatte den Vorsitz und vertheilte die Preise. In Rom war
nicht nur der Luxus der Rennfeste am großartigsten, auch die Wiederkehr am
regelmäßigsten. Bis zur Regierung Mare Anton's scheint sich dort die Zahl
der jährlichen Renntage fortwährend vermehrt und in dieser Zeit wohl 40
bis SO Tage des Jahres betragen zu haben. Daß seit Marc Aurel im
Ganzen keine Zunahme stattgefunden habe, schließen wir nur aus der be¬
drängten Lage des Staates, nicht aus Ueberlieferung. Es war also in guten
Rennjahren des zweiten Jahrhunderts jeder siebente bis achte Tag des Jahres
zu Rom ein Renntag. Schon solche Ausdehnung läßt auf einen ungeheuren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/450>, abgerufen am 04.07.2024.