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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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liegendes interessantes Schriftchen neueren Datums von Dr. Kius "Zur Ge¬
schichte des vormaligen Herzogtums Hildburghausen, Programm der Real¬
schule zu Weimar" sowie die alte hildburghauser Chronik von Werner Krauß
laden uns, die wir uns an dem strammen Wesen unserer norddeutschen
Bundestruppen erfreuen, unwillkürlich zu einem Vergleich mit den militairi-
schen Zuständen in dem Hildburghausen des vorigen Jahrhunderts ein.

Das Herzogthum Hildburghausen wurde durch den gothaer Theilungs¬
vertrag von 1680 neugeschaffen, als Erbe eines der sieben Söhne Ernst des
Frommen, der ebenfalls Ernst hieß; es umfaßte nur 10 Quadrat-Meilen und
25,000 Einwohner. Im schreiendsten Mißverhältnisse zu diesen Zahlen schuf
die französisch gezogene Prachtliebe und Großherrensucht der Herzoge Ernst
Friedrich I. und II. nicht weniger als 30 Hofämter, worunter 2 Hofmar-
schälle, 20 Kammerjunker, 14 Hofräthe, 4 Oberlandjägermeister. 3 Forstmei¬
ster, 7 Leibmedici und 1 Reisemedicus; ferner gab es Geheime Räthe, Kriegs¬
räthe, Oberlandbaumeister und Oberbaudirectoren, Handelskammer-, Hof- und
Kammerconsulenten. Salzdirectoren :c. Die Militärmacht bestand nur aus
einigen hundert Mann, war aber eingetheilt in 1 Comp. Garde du Corps,
1 Gardegrenadierbataillon, 1 Landregiment und 1 Artilleriecorps in schöner
himmelblau und rosenrother Montur und wurde befehligt von 6 Obersten,
5 Obristlieutenants, 7 Obristwachtmeistern und Majors, 1 Rittmeister, 13
Hauptleuten, 6 Lieutenants und 1 Fähndrich. Noch toller wurde diese
Chargenwirthschaft unter Ernst Friedrich III. (1748--80). Seine Gutmüthig¬
keit wurde von einer Art vacirenden und heruntergekommenen Adel, der sich
am hildburghauser Hof wieder emporschmarotzte, gröblich gemißbraucht; un¬
sere Stadt wurde ein Sammelplatz für alle Krippenreuter und Aventuriers
in Thüringen und Franken. Diese und eine thörichte Prachtliebe des Her¬
zogs führten zum vollständigen Bankerott.

Dem von Kius citirten Tagebuche eines alten Soldaten, der sich in
aller Herren Ländern herumgetrieben, entnehmen wir Folgendes: Im Jahre
1750 sollten, nachdem mit Ausnahme des Landregiments die alten Truppen¬
theile ausgelöst worden waren, durch einen "vacirenden" General Namens
Werber neue Regimenter errichtet werden, dazu wurden Officiere verschrieben
und Chargen für Geld ausgetheilt. Nach vielen Unkosten brachte man end¬
lich ein Bataillon Garde zusammen von 40--50 Mann (!) und doch
war dies halbe Hundert in 4 Compagnien getheilt, und hatte 4 Capitains,
^Lieutenants, einen Obristlieutenant, 1 Major, 1 Auditeur, 1 Regiments-
feldscheer, 8 Hautboisten, 6 Tambours, 1 Regimentstambour, 2 Pfeifer und
1 Profos, kurz Alles, nur keine Soldaten! Als der siebenjährige Krieg be¬
gann, mußte zu dem Bataillon geworben werden, um eine Compagnie
daraus zu machen, welche der Herzog, 140 Mann stark, zur Reichsarmee


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liegendes interessantes Schriftchen neueren Datums von Dr. Kius „Zur Ge¬
schichte des vormaligen Herzogtums Hildburghausen, Programm der Real¬
schule zu Weimar" sowie die alte hildburghauser Chronik von Werner Krauß
laden uns, die wir uns an dem strammen Wesen unserer norddeutschen
Bundestruppen erfreuen, unwillkürlich zu einem Vergleich mit den militairi-
schen Zuständen in dem Hildburghausen des vorigen Jahrhunderts ein.

Das Herzogthum Hildburghausen wurde durch den gothaer Theilungs¬
vertrag von 1680 neugeschaffen, als Erbe eines der sieben Söhne Ernst des
Frommen, der ebenfalls Ernst hieß; es umfaßte nur 10 Quadrat-Meilen und
25,000 Einwohner. Im schreiendsten Mißverhältnisse zu diesen Zahlen schuf
die französisch gezogene Prachtliebe und Großherrensucht der Herzoge Ernst
Friedrich I. und II. nicht weniger als 30 Hofämter, worunter 2 Hofmar-
schälle, 20 Kammerjunker, 14 Hofräthe, 4 Oberlandjägermeister. 3 Forstmei¬
ster, 7 Leibmedici und 1 Reisemedicus; ferner gab es Geheime Räthe, Kriegs¬
räthe, Oberlandbaumeister und Oberbaudirectoren, Handelskammer-, Hof- und
Kammerconsulenten. Salzdirectoren :c. Die Militärmacht bestand nur aus
einigen hundert Mann, war aber eingetheilt in 1 Comp. Garde du Corps,
1 Gardegrenadierbataillon, 1 Landregiment und 1 Artilleriecorps in schöner
himmelblau und rosenrother Montur und wurde befehligt von 6 Obersten,
5 Obristlieutenants, 7 Obristwachtmeistern und Majors, 1 Rittmeister, 13
Hauptleuten, 6 Lieutenants und 1 Fähndrich. Noch toller wurde diese
Chargenwirthschaft unter Ernst Friedrich III. (1748—80). Seine Gutmüthig¬
keit wurde von einer Art vacirenden und heruntergekommenen Adel, der sich
am hildburghauser Hof wieder emporschmarotzte, gröblich gemißbraucht; un¬
sere Stadt wurde ein Sammelplatz für alle Krippenreuter und Aventuriers
in Thüringen und Franken. Diese und eine thörichte Prachtliebe des Her¬
zogs führten zum vollständigen Bankerott.

Dem von Kius citirten Tagebuche eines alten Soldaten, der sich in
aller Herren Ländern herumgetrieben, entnehmen wir Folgendes: Im Jahre
1750 sollten, nachdem mit Ausnahme des Landregiments die alten Truppen¬
theile ausgelöst worden waren, durch einen „vacirenden" General Namens
Werber neue Regimenter errichtet werden, dazu wurden Officiere verschrieben
und Chargen für Geld ausgetheilt. Nach vielen Unkosten brachte man end¬
lich ein Bataillon Garde zusammen von 40—50 Mann (!) und doch
war dies halbe Hundert in 4 Compagnien getheilt, und hatte 4 Capitains,
^Lieutenants, einen Obristlieutenant, 1 Major, 1 Auditeur, 1 Regiments-
feldscheer, 8 Hautboisten, 6 Tambours, 1 Regimentstambour, 2 Pfeifer und
1 Profos, kurz Alles, nur keine Soldaten! Als der siebenjährige Krieg be¬
gann, mußte zu dem Bataillon geworben werden, um eine Compagnie
daraus zu machen, welche der Herzog, 140 Mann stark, zur Reichsarmee


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/43>, abgerufen am 24.07.2024.