Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

herbeigeführten Verwickelung in Pest stärker als jedes andere Bedenken; man
glaubt sich für einige Zeit vor einer russischen Aggression nach Westen und
Süden sicher, und sieht in dem Reichskanzler den Friedensstörer, der durch
sein Vorgehen gegen Preußen die Schleußen russischen Ehrgeizes entfesseln kann.
Für die Pester Linke kommt noch der weitere Gesichtspunkt möglichster Selb¬
ständigkeit des ungarischen Staats und seiner Diplomatie hinzu, für die
Dentisten die Nothwendigkeit, an patriotischem Eifer nicht hinter der Opposition
zurück zu bleiben. Beide Parteien aber müssen sich in der Stille sagen, daß
die geringste Verschiebung der Dinge im europäischen Osten das Behältniß
ändern kann, und daß die guren Beziehungen zu Preußen auf Schrauben
gestellt sind, so lange Oestreich die preußisch-russische "zntents nothwendig
macht.

Von Wesentlichsten Einfluß darauf, daß man von des Grafen Beust
auswärtiger Politik im Pester Ständehause weniger denn je wissen will und
lebhafter denn je für die Erhaltung des Friedens arbeitet, ist der Gang der
Ereignisse in Buckarest und Jassy gewesen. Die Negierung des Fürsten Karl
hat die letzten Wahlen so glücklich zu leiten gewußt, daß die Actionsparrei
in der neuen Kammer so gut wie gar nicht vertreten ist und Kogolnitscheanos
friedliche, auf Hebung der materiellen Interessen und der Bildung gerichtete
Pläne ernstlichere Aussicht auf Verwirklichung haben, als seit langer Zeit.
Auch die unruhigen beiden Hauptstädte des jungen Staats, in denen Bratiano
seinen Hauptanhang hatte und in denen die politische Agitation zur Haupt¬
beschäftigung der bürgerlichen Classen geworden war, erscheinen beruhigt oder
doch gebändigt. Der Sieg der Regierungspartei bei den Kammerwahlen ist
ein so nachhaltiger gewesen, daß die Rothen auch bei den Communalwahlen
geschlagen wurden und nur zu Plojesti in der Majorität blieben. Die Session
der am 11. Mai zusammengetretenen Kammer soll möglichst abgekürzt werden.
Die Vorlagen für Erlaß eines neuen Preßgesetzes und Anstellung preußischer
Armee-Jnstructoren sind übrigens heilet genug, um der unterlegenen Aetions-
partei zu Aufwiegelungen gegen das herrschende System Veranlassung zu
bieten. -- Die Beziehungen der Moldau-Wallachei zur Pforte haben sich seit
dem Sturz Bratiano's fortwährend freundlich gestaltet und der Bericht über
die Lage des Reichs, mit welchem der Großvezier Anfang dieses Monats die
Versammlung des türkischen Staatsraths eröffnete, thut des befriedigenden
Verhältnisses zu den Vasallenstaaten besondere Erwähnung. Nach der be¬
kannten Rede des Sultans zu urtheilen, glaubt die hohe Pforte überhaupt in
eine Reihe besserer Tage getreten zu sein, seit der Kandiotenaufstand beendigt ist
und die Händel mit Griechenland beigelegt wurden. Man projectirt neue Eisen¬
bahnen, spricht von Hebung des Verkehrslebens und der materiellen Interessen,
erhöht den Präsenzstand der Armee und schafft neue Waffen an; obgleich


herbeigeführten Verwickelung in Pest stärker als jedes andere Bedenken; man
glaubt sich für einige Zeit vor einer russischen Aggression nach Westen und
Süden sicher, und sieht in dem Reichskanzler den Friedensstörer, der durch
sein Vorgehen gegen Preußen die Schleußen russischen Ehrgeizes entfesseln kann.
Für die Pester Linke kommt noch der weitere Gesichtspunkt möglichster Selb¬
ständigkeit des ungarischen Staats und seiner Diplomatie hinzu, für die
Dentisten die Nothwendigkeit, an patriotischem Eifer nicht hinter der Opposition
zurück zu bleiben. Beide Parteien aber müssen sich in der Stille sagen, daß
die geringste Verschiebung der Dinge im europäischen Osten das Behältniß
ändern kann, und daß die guren Beziehungen zu Preußen auf Schrauben
gestellt sind, so lange Oestreich die preußisch-russische «zntents nothwendig
macht.

Von Wesentlichsten Einfluß darauf, daß man von des Grafen Beust
auswärtiger Politik im Pester Ständehause weniger denn je wissen will und
lebhafter denn je für die Erhaltung des Friedens arbeitet, ist der Gang der
Ereignisse in Buckarest und Jassy gewesen. Die Negierung des Fürsten Karl
hat die letzten Wahlen so glücklich zu leiten gewußt, daß die Actionsparrei
in der neuen Kammer so gut wie gar nicht vertreten ist und Kogolnitscheanos
friedliche, auf Hebung der materiellen Interessen und der Bildung gerichtete
Pläne ernstlichere Aussicht auf Verwirklichung haben, als seit langer Zeit.
Auch die unruhigen beiden Hauptstädte des jungen Staats, in denen Bratiano
seinen Hauptanhang hatte und in denen die politische Agitation zur Haupt¬
beschäftigung der bürgerlichen Classen geworden war, erscheinen beruhigt oder
doch gebändigt. Der Sieg der Regierungspartei bei den Kammerwahlen ist
ein so nachhaltiger gewesen, daß die Rothen auch bei den Communalwahlen
geschlagen wurden und nur zu Plojesti in der Majorität blieben. Die Session
der am 11. Mai zusammengetretenen Kammer soll möglichst abgekürzt werden.
Die Vorlagen für Erlaß eines neuen Preßgesetzes und Anstellung preußischer
Armee-Jnstructoren sind übrigens heilet genug, um der unterlegenen Aetions-
partei zu Aufwiegelungen gegen das herrschende System Veranlassung zu
bieten. — Die Beziehungen der Moldau-Wallachei zur Pforte haben sich seit
dem Sturz Bratiano's fortwährend freundlich gestaltet und der Bericht über
die Lage des Reichs, mit welchem der Großvezier Anfang dieses Monats die
Versammlung des türkischen Staatsraths eröffnete, thut des befriedigenden
Verhältnisses zu den Vasallenstaaten besondere Erwähnung. Nach der be¬
kannten Rede des Sultans zu urtheilen, glaubt die hohe Pforte überhaupt in
eine Reihe besserer Tage getreten zu sein, seit der Kandiotenaufstand beendigt ist
und die Händel mit Griechenland beigelegt wurden. Man projectirt neue Eisen¬
bahnen, spricht von Hebung des Verkehrslebens und der materiellen Interessen,
erhöht den Präsenzstand der Armee und schafft neue Waffen an; obgleich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0396" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121083"/>
          <p xml:id="ID_1191" prev="#ID_1190"> herbeigeführten Verwickelung in Pest stärker als jedes andere Bedenken; man<lb/>
glaubt sich für einige Zeit vor einer russischen Aggression nach Westen und<lb/>
Süden sicher, und sieht in dem Reichskanzler den Friedensstörer, der durch<lb/>
sein Vorgehen gegen Preußen die Schleußen russischen Ehrgeizes entfesseln kann.<lb/>
Für die Pester Linke kommt noch der weitere Gesichtspunkt möglichster Selb¬<lb/>
ständigkeit des ungarischen Staats und seiner Diplomatie hinzu, für die<lb/>
Dentisten die Nothwendigkeit, an patriotischem Eifer nicht hinter der Opposition<lb/>
zurück zu bleiben. Beide Parteien aber müssen sich in der Stille sagen, daß<lb/>
die geringste Verschiebung der Dinge im europäischen Osten das Behältniß<lb/>
ändern kann, und daß die guren Beziehungen zu Preußen auf Schrauben<lb/>
gestellt sind, so lange Oestreich die preußisch-russische «zntents nothwendig<lb/>
macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1192" next="#ID_1193"> Von Wesentlichsten Einfluß darauf, daß man von des Grafen Beust<lb/>
auswärtiger Politik im Pester Ständehause weniger denn je wissen will und<lb/>
lebhafter denn je für die Erhaltung des Friedens arbeitet, ist der Gang der<lb/>
Ereignisse in Buckarest und Jassy gewesen. Die Negierung des Fürsten Karl<lb/>
hat die letzten Wahlen so glücklich zu leiten gewußt, daß die Actionsparrei<lb/>
in der neuen Kammer so gut wie gar nicht vertreten ist und Kogolnitscheanos<lb/>
friedliche, auf Hebung der materiellen Interessen und der Bildung gerichtete<lb/>
Pläne ernstlichere Aussicht auf Verwirklichung haben, als seit langer Zeit.<lb/>
Auch die unruhigen beiden Hauptstädte des jungen Staats, in denen Bratiano<lb/>
seinen Hauptanhang hatte und in denen die politische Agitation zur Haupt¬<lb/>
beschäftigung der bürgerlichen Classen geworden war, erscheinen beruhigt oder<lb/>
doch gebändigt. Der Sieg der Regierungspartei bei den Kammerwahlen ist<lb/>
ein so nachhaltiger gewesen, daß die Rothen auch bei den Communalwahlen<lb/>
geschlagen wurden und nur zu Plojesti in der Majorität blieben. Die Session<lb/>
der am 11. Mai zusammengetretenen Kammer soll möglichst abgekürzt werden.<lb/>
Die Vorlagen für Erlaß eines neuen Preßgesetzes und Anstellung preußischer<lb/>
Armee-Jnstructoren sind übrigens heilet genug, um der unterlegenen Aetions-<lb/>
partei zu Aufwiegelungen gegen das herrschende System Veranlassung zu<lb/>
bieten. &#x2014; Die Beziehungen der Moldau-Wallachei zur Pforte haben sich seit<lb/>
dem Sturz Bratiano's fortwährend freundlich gestaltet und der Bericht über<lb/>
die Lage des Reichs, mit welchem der Großvezier Anfang dieses Monats die<lb/>
Versammlung des türkischen Staatsraths eröffnete, thut des befriedigenden<lb/>
Verhältnisses zu den Vasallenstaaten besondere Erwähnung. Nach der be¬<lb/>
kannten Rede des Sultans zu urtheilen, glaubt die hohe Pforte überhaupt in<lb/>
eine Reihe besserer Tage getreten zu sein, seit der Kandiotenaufstand beendigt ist<lb/>
und die Händel mit Griechenland beigelegt wurden. Man projectirt neue Eisen¬<lb/>
bahnen, spricht von Hebung des Verkehrslebens und der materiellen Interessen,<lb/>
erhöht den Präsenzstand der Armee und schafft neue Waffen an; obgleich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0396] herbeigeführten Verwickelung in Pest stärker als jedes andere Bedenken; man glaubt sich für einige Zeit vor einer russischen Aggression nach Westen und Süden sicher, und sieht in dem Reichskanzler den Friedensstörer, der durch sein Vorgehen gegen Preußen die Schleußen russischen Ehrgeizes entfesseln kann. Für die Pester Linke kommt noch der weitere Gesichtspunkt möglichster Selb¬ ständigkeit des ungarischen Staats und seiner Diplomatie hinzu, für die Dentisten die Nothwendigkeit, an patriotischem Eifer nicht hinter der Opposition zurück zu bleiben. Beide Parteien aber müssen sich in der Stille sagen, daß die geringste Verschiebung der Dinge im europäischen Osten das Behältniß ändern kann, und daß die guren Beziehungen zu Preußen auf Schrauben gestellt sind, so lange Oestreich die preußisch-russische «zntents nothwendig macht. Von Wesentlichsten Einfluß darauf, daß man von des Grafen Beust auswärtiger Politik im Pester Ständehause weniger denn je wissen will und lebhafter denn je für die Erhaltung des Friedens arbeitet, ist der Gang der Ereignisse in Buckarest und Jassy gewesen. Die Negierung des Fürsten Karl hat die letzten Wahlen so glücklich zu leiten gewußt, daß die Actionsparrei in der neuen Kammer so gut wie gar nicht vertreten ist und Kogolnitscheanos friedliche, auf Hebung der materiellen Interessen und der Bildung gerichtete Pläne ernstlichere Aussicht auf Verwirklichung haben, als seit langer Zeit. Auch die unruhigen beiden Hauptstädte des jungen Staats, in denen Bratiano seinen Hauptanhang hatte und in denen die politische Agitation zur Haupt¬ beschäftigung der bürgerlichen Classen geworden war, erscheinen beruhigt oder doch gebändigt. Der Sieg der Regierungspartei bei den Kammerwahlen ist ein so nachhaltiger gewesen, daß die Rothen auch bei den Communalwahlen geschlagen wurden und nur zu Plojesti in der Majorität blieben. Die Session der am 11. Mai zusammengetretenen Kammer soll möglichst abgekürzt werden. Die Vorlagen für Erlaß eines neuen Preßgesetzes und Anstellung preußischer Armee-Jnstructoren sind übrigens heilet genug, um der unterlegenen Aetions- partei zu Aufwiegelungen gegen das herrschende System Veranlassung zu bieten. — Die Beziehungen der Moldau-Wallachei zur Pforte haben sich seit dem Sturz Bratiano's fortwährend freundlich gestaltet und der Bericht über die Lage des Reichs, mit welchem der Großvezier Anfang dieses Monats die Versammlung des türkischen Staatsraths eröffnete, thut des befriedigenden Verhältnisses zu den Vasallenstaaten besondere Erwähnung. Nach der be¬ kannten Rede des Sultans zu urtheilen, glaubt die hohe Pforte überhaupt in eine Reihe besserer Tage getreten zu sein, seit der Kandiotenaufstand beendigt ist und die Händel mit Griechenland beigelegt wurden. Man projectirt neue Eisen¬ bahnen, spricht von Hebung des Verkehrslebens und der materiellen Interessen, erhöht den Präsenzstand der Armee und schafft neue Waffen an; obgleich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/396
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/396>, abgerufen am 24.07.2024.