Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.ihr Senkblei auszuwerfen. An diesem Punkt wären wir endlich angelangt, Das große Thema aller Erwägungen, mit denen die Pariser Presse die ihr Senkblei auszuwerfen. An diesem Punkt wären wir endlich angelangt, Das große Thema aller Erwägungen, mit denen die Pariser Presse die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121075"/> <p xml:id="ID_1179" prev="#ID_1178"> ihr Senkblei auszuwerfen. An diesem Punkt wären wir endlich angelangt,<lb/> aber freie Aussicht in die kommenden Dinge scheint er nicht gewähren zu<lb/> wollen. Gerade wie beim Beginne der fünfziger Jahre ist die Politik des<lb/> „Entweder oder" das Glaubensbekenntniß unserer westlichen Nachbaren ge¬<lb/> blieben und die liberalen Franzosen haben sich durch ihre republikanischen<lb/> Abstimmungen ziemlich offen zu jenem „Nichts gelernt und Nichts vergessen"<lb/> bekannt, das man lang genug für ein Privilegium des unverbesserlichen<lb/> Legitimismus gehalten hatte. Fraglich ist nur, ob die Majorität aus den<lb/> Kämpfen der letzten Monate und Wochen ein richtigeres Verständniß der<lb/> Lage mitgebracht hat. als sie bisher bewiesen. Mag man uns immerhin ver¬<lb/> sichern, der Standpunkt der Gouvernementalen sei mit dem der alten Tiörs-<lb/> Partei identisch geworden —wirwerden wohl thun, eine thatsächliche Bestäti¬<lb/> gung dieser Behauptung abzuwarten. Viele Beispiele dafür, daß eine con-<lb/> servative Partei durch die Maßlosigkeit ihrer Gegner an Ruhe, Umsicht und<lb/> Freisinn gewonnen, lassen sich aus der Geschichte nicht anführen. Daß es an<lb/> entscheidender Stelle noch zu keiner endgültigen Entschließung gekommen ist,<lb/> gestehen selbst diejenigen ein, welche in Emil Ollivier die Verkörperung fran¬<lb/> zösischer Zukunftspolitik sehen, und an eine Aussöhnung zwischen dem Con-<lb/> stitutionalismus und dem zweiten Kaiserthum glauben. Noch ein Mal<lb/> heißt es „Abwarten" und sich inzwischen die Zeit mit Betrachtungen darüber<lb/> vertreiben, was Alles in dem Vaterlande des kontinentalen Liberalismus<lb/> möglich gewesen und möglich geblieben ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1180" next="#ID_1181"> Das große Thema aller Erwägungen, mit denen die Pariser Presse die<lb/> Geschichte der letzten Wahlagitation begleitet, ist der Bankerott der alten<lb/> Parteien, und was mit diesem gleichbedeutend ist, der Sieg des unbärtiger<lb/> Radikalismus. Während es Thatsache ist, daß die liberale Bewegung der<lb/> letzten Jahre wesentlich durch die alten Führer der Orleanisten und gemäßigten<lb/> Legitimisten in Zug gebracht worden ist, hat das Volk von Paris im Bunde<lb/> mit den Wählern anderer großer Städte laut und deutlich ausgesprochen,<lb/> daß es von diesen Männern ein für alle Mal nichts wissen wolle. Wir<lb/> haben keinen Grund, das Fiasco jener Redner zu beklagen, welche die echte¬<lb/> sten Repräsentanten französischer Urtheilslosigkeit über deutsche Dinge sind<lb/> und waren, aber wir finden es begreiflich, wenn ihre Anhänger in der plötz¬<lb/> lichen Begeisterung des liberalen Frankreich für die Nochefort, Raspail und<lb/> Bancel ein trauriges Zeichen der Zeit sehen. Das wüste Geschrei nach<lb/> neuen Männern und neuen Namen gilt der „IL<zvuL ach äsux monclss"<lb/> mit Recht für den Ausdruck vollständiger politischer Gedankenlosigkeit und in<lb/> der That läßt sich kaum etwas Abgeschmackteres denken, als diese Rechnung<lb/> auf Leute, die keine anderen Titel für ihren Repräsentantenberuf aufzuweisen<lb/> haben, als schlechte Verse und schlechte Pamphlete. Ob es vierzig, fünfzig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0388]
ihr Senkblei auszuwerfen. An diesem Punkt wären wir endlich angelangt,
aber freie Aussicht in die kommenden Dinge scheint er nicht gewähren zu
wollen. Gerade wie beim Beginne der fünfziger Jahre ist die Politik des
„Entweder oder" das Glaubensbekenntniß unserer westlichen Nachbaren ge¬
blieben und die liberalen Franzosen haben sich durch ihre republikanischen
Abstimmungen ziemlich offen zu jenem „Nichts gelernt und Nichts vergessen"
bekannt, das man lang genug für ein Privilegium des unverbesserlichen
Legitimismus gehalten hatte. Fraglich ist nur, ob die Majorität aus den
Kämpfen der letzten Monate und Wochen ein richtigeres Verständniß der
Lage mitgebracht hat. als sie bisher bewiesen. Mag man uns immerhin ver¬
sichern, der Standpunkt der Gouvernementalen sei mit dem der alten Tiörs-
Partei identisch geworden —wirwerden wohl thun, eine thatsächliche Bestäti¬
gung dieser Behauptung abzuwarten. Viele Beispiele dafür, daß eine con-
servative Partei durch die Maßlosigkeit ihrer Gegner an Ruhe, Umsicht und
Freisinn gewonnen, lassen sich aus der Geschichte nicht anführen. Daß es an
entscheidender Stelle noch zu keiner endgültigen Entschließung gekommen ist,
gestehen selbst diejenigen ein, welche in Emil Ollivier die Verkörperung fran¬
zösischer Zukunftspolitik sehen, und an eine Aussöhnung zwischen dem Con-
stitutionalismus und dem zweiten Kaiserthum glauben. Noch ein Mal
heißt es „Abwarten" und sich inzwischen die Zeit mit Betrachtungen darüber
vertreiben, was Alles in dem Vaterlande des kontinentalen Liberalismus
möglich gewesen und möglich geblieben ist.
Das große Thema aller Erwägungen, mit denen die Pariser Presse die
Geschichte der letzten Wahlagitation begleitet, ist der Bankerott der alten
Parteien, und was mit diesem gleichbedeutend ist, der Sieg des unbärtiger
Radikalismus. Während es Thatsache ist, daß die liberale Bewegung der
letzten Jahre wesentlich durch die alten Führer der Orleanisten und gemäßigten
Legitimisten in Zug gebracht worden ist, hat das Volk von Paris im Bunde
mit den Wählern anderer großer Städte laut und deutlich ausgesprochen,
daß es von diesen Männern ein für alle Mal nichts wissen wolle. Wir
haben keinen Grund, das Fiasco jener Redner zu beklagen, welche die echte¬
sten Repräsentanten französischer Urtheilslosigkeit über deutsche Dinge sind
und waren, aber wir finden es begreiflich, wenn ihre Anhänger in der plötz¬
lichen Begeisterung des liberalen Frankreich für die Nochefort, Raspail und
Bancel ein trauriges Zeichen der Zeit sehen. Das wüste Geschrei nach
neuen Männern und neuen Namen gilt der „IL<zvuL ach äsux monclss"
mit Recht für den Ausdruck vollständiger politischer Gedankenlosigkeit und in
der That läßt sich kaum etwas Abgeschmackteres denken, als diese Rechnung
auf Leute, die keine anderen Titel für ihren Repräsentantenberuf aufzuweisen
haben, als schlechte Verse und schlechte Pamphlete. Ob es vierzig, fünfzig
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