Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Priester in den Mund, bewegte die pergamentene Zunge hin und her und
sagte bedeutsam: "Damit hat er gepredigt!"

Nun ging es in den Todtenconvent der Kapuziner, der Brüder unseres
Führers. "Die ganze untere Reihe habe ich gekannt", sagte er, "mit ihnen
gegessen, getrunken und gebetet." Es kann nicht lange dauern, so steht er
auch dabei und hat den ewigen Frieden; denn über das, "wenn's hoch kommt"
war er schon hinaus. Indem wir gingen, erklärte er uns, wie die Leichen
beigesetzt und in benj Zustand gebracht werden, in welchem man sie dann
dem Anblicke der Welt wieder preisgibt.

Der ganze seltsame Ort wirkt nicht so grauenvoll, als man es vorher
fürchtet. Jene dunkle, im tiefsten Innern erschütternde Gewalt, welche der
Anblick kürzlich Verstorbener auf uns zu haben pflegt-- weil die Form und
der Schein des Lebens mit der Wahrheit des Todes so unfaßbar contrastiren
-- üben diese Mumien und Scelette nicht; hier ist der Zustand für alle unsere
Sinne und für die Phantasie vollständig entschieden, und nur Einzelnes wirkt
durch besondere Umstände gemüthlich ergreifend. Aber die große Masse gleich¬
artiger Zeugnisse allgemeiner Zerstörung verursacht einen mächtigen Druck
andrer Art auf uns, dem wir im Augenblick nur mit einer gewissen An¬
strengung unserer sittlichen Kraft zu begegnen vermögen. Ich zweifle aber,
ob die Menge eine andere Lehre von dieser Massenausstellung des Todes
mit hinwegnimmt, als die: "Essed und trinket, denn morgen seid ihr todt!"
Kommt es nur darauf an, von gedankenlosen Menschen gewisse geistliche
Dienstleistungen einzuziehen, die schließlich der Herrschaft der Kirche nützen,
so ist dies Mittel so gut und besser gewählt als der ganze Knochen- und
Scelettdienst zahlloser unheimlicher Altäre, denen man in katholischen Kirchen
begegnet; denn der Mensch wird um seiner ewigen Zukunft willen gern sein
Essen und Trinken einmal mit einem Avemaria und Paternoster unterbrechen:
aber soll das Leben wahrhaft veredelt und mit würdigem Inhalte erfüllt
werden, dann muß die Kirche den Tod decenter behandeln, als sie thut.

Von dieser Auferstehung des Todes führte uns unser Weg zu einer
Auferstehung des Lebens. Auf dem Platze vor dem Schlosse ist vor 8 Wochen
der Mosaikfußboden eines großen römischen Hauses entdeckt worden; als
während der Anwesenheit des Kronprinzen von Italien ein Feuerwerk ab¬
gebrannt werden sollte, stieß ein Arbeiter mit den Pfählen darauf, die er
einräumte. Dann hat sich ein Principe der Sache angenommen und nun
wird der ganze Grund des Hauses bloßgelegt. Bis jetzt sind außer einigen
gemusterten Fußböden ein singender Orpheus mit den Thieren, ein Faun
mit einer Nymphe, ein mächtiger Apollokopf und ein Neptunkopf zu Tage
gekommen. Alles ist in vortrefflicher Arbeit und in reicher Farbenscala aus¬
geführt; die beiden Köpfe, in ungewöhnlicher Größe gezeichnet, stehen denen


Priester in den Mund, bewegte die pergamentene Zunge hin und her und
sagte bedeutsam: „Damit hat er gepredigt!"

Nun ging es in den Todtenconvent der Kapuziner, der Brüder unseres
Führers. „Die ganze untere Reihe habe ich gekannt", sagte er, „mit ihnen
gegessen, getrunken und gebetet." Es kann nicht lange dauern, so steht er
auch dabei und hat den ewigen Frieden; denn über das, „wenn's hoch kommt"
war er schon hinaus. Indem wir gingen, erklärte er uns, wie die Leichen
beigesetzt und in benj Zustand gebracht werden, in welchem man sie dann
dem Anblicke der Welt wieder preisgibt.

Der ganze seltsame Ort wirkt nicht so grauenvoll, als man es vorher
fürchtet. Jene dunkle, im tiefsten Innern erschütternde Gewalt, welche der
Anblick kürzlich Verstorbener auf uns zu haben pflegt— weil die Form und
der Schein des Lebens mit der Wahrheit des Todes so unfaßbar contrastiren
— üben diese Mumien und Scelette nicht; hier ist der Zustand für alle unsere
Sinne und für die Phantasie vollständig entschieden, und nur Einzelnes wirkt
durch besondere Umstände gemüthlich ergreifend. Aber die große Masse gleich¬
artiger Zeugnisse allgemeiner Zerstörung verursacht einen mächtigen Druck
andrer Art auf uns, dem wir im Augenblick nur mit einer gewissen An¬
strengung unserer sittlichen Kraft zu begegnen vermögen. Ich zweifle aber,
ob die Menge eine andere Lehre von dieser Massenausstellung des Todes
mit hinwegnimmt, als die: „Essed und trinket, denn morgen seid ihr todt!"
Kommt es nur darauf an, von gedankenlosen Menschen gewisse geistliche
Dienstleistungen einzuziehen, die schließlich der Herrschaft der Kirche nützen,
so ist dies Mittel so gut und besser gewählt als der ganze Knochen- und
Scelettdienst zahlloser unheimlicher Altäre, denen man in katholischen Kirchen
begegnet; denn der Mensch wird um seiner ewigen Zukunft willen gern sein
Essen und Trinken einmal mit einem Avemaria und Paternoster unterbrechen:
aber soll das Leben wahrhaft veredelt und mit würdigem Inhalte erfüllt
werden, dann muß die Kirche den Tod decenter behandeln, als sie thut.

Von dieser Auferstehung des Todes führte uns unser Weg zu einer
Auferstehung des Lebens. Auf dem Platze vor dem Schlosse ist vor 8 Wochen
der Mosaikfußboden eines großen römischen Hauses entdeckt worden; als
während der Anwesenheit des Kronprinzen von Italien ein Feuerwerk ab¬
gebrannt werden sollte, stieß ein Arbeiter mit den Pfählen darauf, die er
einräumte. Dann hat sich ein Principe der Sache angenommen und nun
wird der ganze Grund des Hauses bloßgelegt. Bis jetzt sind außer einigen
gemusterten Fußböden ein singender Orpheus mit den Thieren, ein Faun
mit einer Nymphe, ein mächtiger Apollokopf und ein Neptunkopf zu Tage
gekommen. Alles ist in vortrefflicher Arbeit und in reicher Farbenscala aus¬
geführt; die beiden Köpfe, in ungewöhnlicher Größe gezeichnet, stehen denen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120725"/>
          <p xml:id="ID_89" prev="#ID_88"> Priester in den Mund, bewegte die pergamentene Zunge hin und her und<lb/>
sagte bedeutsam: &#x201E;Damit hat er gepredigt!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Nun ging es in den Todtenconvent der Kapuziner, der Brüder unseres<lb/>
Führers. &#x201E;Die ganze untere Reihe habe ich gekannt", sagte er, &#x201E;mit ihnen<lb/>
gegessen, getrunken und gebetet." Es kann nicht lange dauern, so steht er<lb/>
auch dabei und hat den ewigen Frieden; denn über das, &#x201E;wenn's hoch kommt"<lb/>
war er schon hinaus. Indem wir gingen, erklärte er uns, wie die Leichen<lb/>
beigesetzt und in benj Zustand gebracht werden, in welchem man sie dann<lb/>
dem Anblicke der Welt wieder preisgibt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91"> Der ganze seltsame Ort wirkt nicht so grauenvoll, als man es vorher<lb/>
fürchtet. Jene dunkle, im tiefsten Innern erschütternde Gewalt, welche der<lb/>
Anblick kürzlich Verstorbener auf uns zu haben pflegt&#x2014; weil die Form und<lb/>
der Schein des Lebens mit der Wahrheit des Todes so unfaßbar contrastiren<lb/>
&#x2014; üben diese Mumien und Scelette nicht; hier ist der Zustand für alle unsere<lb/>
Sinne und für die Phantasie vollständig entschieden, und nur Einzelnes wirkt<lb/>
durch besondere Umstände gemüthlich ergreifend. Aber die große Masse gleich¬<lb/>
artiger Zeugnisse allgemeiner Zerstörung verursacht einen mächtigen Druck<lb/>
andrer Art auf uns, dem wir im Augenblick nur mit einer gewissen An¬<lb/>
strengung unserer sittlichen Kraft zu begegnen vermögen. Ich zweifle aber,<lb/>
ob die Menge eine andere Lehre von dieser Massenausstellung des Todes<lb/>
mit hinwegnimmt, als die: &#x201E;Essed und trinket, denn morgen seid ihr todt!"<lb/>
Kommt es nur darauf an, von gedankenlosen Menschen gewisse geistliche<lb/>
Dienstleistungen einzuziehen, die schließlich der Herrschaft der Kirche nützen,<lb/>
so ist dies Mittel so gut und besser gewählt als der ganze Knochen- und<lb/>
Scelettdienst zahlloser unheimlicher Altäre, denen man in katholischen Kirchen<lb/>
begegnet; denn der Mensch wird um seiner ewigen Zukunft willen gern sein<lb/>
Essen und Trinken einmal mit einem Avemaria und Paternoster unterbrechen:<lb/>
aber soll das Leben wahrhaft veredelt und mit würdigem Inhalte erfüllt<lb/>
werden, dann muß die Kirche den Tod decenter behandeln, als sie thut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_92" next="#ID_93"> Von dieser Auferstehung des Todes führte uns unser Weg zu einer<lb/>
Auferstehung des Lebens. Auf dem Platze vor dem Schlosse ist vor 8 Wochen<lb/>
der Mosaikfußboden eines großen römischen Hauses entdeckt worden; als<lb/>
während der Anwesenheit des Kronprinzen von Italien ein Feuerwerk ab¬<lb/>
gebrannt werden sollte, stieß ein Arbeiter mit den Pfählen darauf, die er<lb/>
einräumte. Dann hat sich ein Principe der Sache angenommen und nun<lb/>
wird der ganze Grund des Hauses bloßgelegt. Bis jetzt sind außer einigen<lb/>
gemusterten Fußböden ein singender Orpheus mit den Thieren, ein Faun<lb/>
mit einer Nymphe, ein mächtiger Apollokopf und ein Neptunkopf zu Tage<lb/>
gekommen. Alles ist in vortrefflicher Arbeit und in reicher Farbenscala aus¬<lb/>
geführt; die beiden Köpfe, in ungewöhnlicher Größe gezeichnet, stehen denen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Priester in den Mund, bewegte die pergamentene Zunge hin und her und sagte bedeutsam: „Damit hat er gepredigt!" Nun ging es in den Todtenconvent der Kapuziner, der Brüder unseres Führers. „Die ganze untere Reihe habe ich gekannt", sagte er, „mit ihnen gegessen, getrunken und gebetet." Es kann nicht lange dauern, so steht er auch dabei und hat den ewigen Frieden; denn über das, „wenn's hoch kommt" war er schon hinaus. Indem wir gingen, erklärte er uns, wie die Leichen beigesetzt und in benj Zustand gebracht werden, in welchem man sie dann dem Anblicke der Welt wieder preisgibt. Der ganze seltsame Ort wirkt nicht so grauenvoll, als man es vorher fürchtet. Jene dunkle, im tiefsten Innern erschütternde Gewalt, welche der Anblick kürzlich Verstorbener auf uns zu haben pflegt— weil die Form und der Schein des Lebens mit der Wahrheit des Todes so unfaßbar contrastiren — üben diese Mumien und Scelette nicht; hier ist der Zustand für alle unsere Sinne und für die Phantasie vollständig entschieden, und nur Einzelnes wirkt durch besondere Umstände gemüthlich ergreifend. Aber die große Masse gleich¬ artiger Zeugnisse allgemeiner Zerstörung verursacht einen mächtigen Druck andrer Art auf uns, dem wir im Augenblick nur mit einer gewissen An¬ strengung unserer sittlichen Kraft zu begegnen vermögen. Ich zweifle aber, ob die Menge eine andere Lehre von dieser Massenausstellung des Todes mit hinwegnimmt, als die: „Essed und trinket, denn morgen seid ihr todt!" Kommt es nur darauf an, von gedankenlosen Menschen gewisse geistliche Dienstleistungen einzuziehen, die schließlich der Herrschaft der Kirche nützen, so ist dies Mittel so gut und besser gewählt als der ganze Knochen- und Scelettdienst zahlloser unheimlicher Altäre, denen man in katholischen Kirchen begegnet; denn der Mensch wird um seiner ewigen Zukunft willen gern sein Essen und Trinken einmal mit einem Avemaria und Paternoster unterbrechen: aber soll das Leben wahrhaft veredelt und mit würdigem Inhalte erfüllt werden, dann muß die Kirche den Tod decenter behandeln, als sie thut. Von dieser Auferstehung des Todes führte uns unser Weg zu einer Auferstehung des Lebens. Auf dem Platze vor dem Schlosse ist vor 8 Wochen der Mosaikfußboden eines großen römischen Hauses entdeckt worden; als während der Anwesenheit des Kronprinzen von Italien ein Feuerwerk ab¬ gebrannt werden sollte, stieß ein Arbeiter mit den Pfählen darauf, die er einräumte. Dann hat sich ein Principe der Sache angenommen und nun wird der ganze Grund des Hauses bloßgelegt. Bis jetzt sind außer einigen gemusterten Fußböden ein singender Orpheus mit den Thieren, ein Faun mit einer Nymphe, ein mächtiger Apollokopf und ein Neptunkopf zu Tage gekommen. Alles ist in vortrefflicher Arbeit und in reicher Farbenscala aus¬ geführt; die beiden Köpfe, in ungewöhnlicher Größe gezeichnet, stehen denen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/38>, abgerufen am 24.07.2024.