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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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sein, die von dem Grundgedanken der Theilung und Beschränkung, der feind¬
lichen Gegenüberstellung und Auseinanderhaltung der im Staat wirkenden
Kräfte geleitet, nur auf die äußere Consequenz der Formen Bedacht nimmt.
Der Mißbrauch der Macht durch die Regierungen, die Ausschreitungen der
Parteileidenschaft und der Eigennutz des sich dem Staat entfremdenden In¬
dividualismus haben eine gemeinsame Schranke an den aus den Staats¬
zwecken herzuleitenden Pflichten, deren im Volksgeiste lebendiges Bewußtsein
die stärkste Garantie der Verfassungen ist."

Soweit des Verfassers Darstellung der Staatszwecke. Wir heben her¬
vor und wir würden dem gedankenreichen Werk Unrecht zu thun glauben,
wollten wir nicht ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Natur des Gegen¬
standes nicht gestattet, in einem derartigen Grundriß einen Spiegel auf¬
zustellen, der das Ganze andeutend der geistigen Betrachtung des Beschauers
vor Augen stellte. In keiner Weise ist dies in dieser Zusammenfassung der
hauptsächlichsten Gesichtspunkte der Fall und ebenso in Betreff des reichen
historischen Materials, der geschichtsphilosophischen und staatsrechtlichen Ent¬
wickelung wie in Betreff der eingehenden Behandlung der concreten Fragen
können wir lediglich auf die Schrift selbst verweisen. Was das vorliegende
Werk in bemerkenswerther Weise auszeichnet, die Gründlichkeit der Unter¬
suchung, die Schärfe der Begriffsbestimmung, die durchaus selbständige und neue
Behandlung des staatlichen Wesens in seinen Zweckbestimmungen, das schla¬
gen wir hoch an. aber noch höher steht uns eine andere Eigenschaft, nämlich
der durchaus politische Zug der gesammten Betrachtungsweise des Verfassers.
Wenn es eine der höchsten Anforderungen an den Staatsmann von wirklich
politischem Beruf genannt zu werden verdient, in der Welt der umgebenden
Thatsachen die gestaltende Kraft für die höchsten Entwickelungsziele des
Staatslebens zu bethätigen, so bewährt ein ähnliches Verhältniß in ent¬
sprechender Weise den politischen Denker. Für ihn entsteht auf der einen
Seite eine Gefahr, wenn er von dem souverainen Begriff ausgehend eine
aprioristische Construction der Theorie auf die Erscheinungen des realen
Lebens anwendet und auf der anderen Seite die entgegengesetzte, wenn er die
Bestrebungen und Lebenssymptome einer Partei und einer dem Wandel
unterworfenen Erscheinungsform der zeitlichen Entwickelung mit den dauern¬
den Gesetzen des Völkerlebens verwechselt. Gerade die am meisten betretenen
Wege auf dem Gebiete der politischen Theorie laufen, wie unschwer nach¬
zuweisen, meistens in der einen oder anderen Richtung. Zwischen beiden durch
einen Weg gelegt zu haben und von demselben in der ganzen Untersuchung
nicht abgewichen zu sein, scheint uns ein hervorragendes Verdienst des vor¬
liegenden Werks. Aus dieser Thatsache ergibt sich das Verhältniß desselben
zu den herrschenden Parteien. Trotzdem die Anschauung des Verfassers wie


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sein, die von dem Grundgedanken der Theilung und Beschränkung, der feind¬
lichen Gegenüberstellung und Auseinanderhaltung der im Staat wirkenden
Kräfte geleitet, nur auf die äußere Consequenz der Formen Bedacht nimmt.
Der Mißbrauch der Macht durch die Regierungen, die Ausschreitungen der
Parteileidenschaft und der Eigennutz des sich dem Staat entfremdenden In¬
dividualismus haben eine gemeinsame Schranke an den aus den Staats¬
zwecken herzuleitenden Pflichten, deren im Volksgeiste lebendiges Bewußtsein
die stärkste Garantie der Verfassungen ist."

Soweit des Verfassers Darstellung der Staatszwecke. Wir heben her¬
vor und wir würden dem gedankenreichen Werk Unrecht zu thun glauben,
wollten wir nicht ausdrücklich darauf hinweisen, daß die Natur des Gegen¬
standes nicht gestattet, in einem derartigen Grundriß einen Spiegel auf¬
zustellen, der das Ganze andeutend der geistigen Betrachtung des Beschauers
vor Augen stellte. In keiner Weise ist dies in dieser Zusammenfassung der
hauptsächlichsten Gesichtspunkte der Fall und ebenso in Betreff des reichen
historischen Materials, der geschichtsphilosophischen und staatsrechtlichen Ent¬
wickelung wie in Betreff der eingehenden Behandlung der concreten Fragen
können wir lediglich auf die Schrift selbst verweisen. Was das vorliegende
Werk in bemerkenswerther Weise auszeichnet, die Gründlichkeit der Unter¬
suchung, die Schärfe der Begriffsbestimmung, die durchaus selbständige und neue
Behandlung des staatlichen Wesens in seinen Zweckbestimmungen, das schla¬
gen wir hoch an. aber noch höher steht uns eine andere Eigenschaft, nämlich
der durchaus politische Zug der gesammten Betrachtungsweise des Verfassers.
Wenn es eine der höchsten Anforderungen an den Staatsmann von wirklich
politischem Beruf genannt zu werden verdient, in der Welt der umgebenden
Thatsachen die gestaltende Kraft für die höchsten Entwickelungsziele des
Staatslebens zu bethätigen, so bewährt ein ähnliches Verhältniß in ent¬
sprechender Weise den politischen Denker. Für ihn entsteht auf der einen
Seite eine Gefahr, wenn er von dem souverainen Begriff ausgehend eine
aprioristische Construction der Theorie auf die Erscheinungen des realen
Lebens anwendet und auf der anderen Seite die entgegengesetzte, wenn er die
Bestrebungen und Lebenssymptome einer Partei und einer dem Wandel
unterworfenen Erscheinungsform der zeitlichen Entwickelung mit den dauern¬
den Gesetzen des Völkerlebens verwechselt. Gerade die am meisten betretenen
Wege auf dem Gebiete der politischen Theorie laufen, wie unschwer nach¬
zuweisen, meistens in der einen oder anderen Richtung. Zwischen beiden durch
einen Weg gelegt zu haben und von demselben in der ganzen Untersuchung
nicht abgewichen zu sein, scheint uns ein hervorragendes Verdienst des vor¬
liegenden Werks. Aus dieser Thatsache ergibt sich das Verhältniß desselben
zu den herrschenden Parteien. Trotzdem die Anschauung des Verfassers wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/35>, abgerufen am 04.07.2024.