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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Vorschub geleistet. Lord Stanley erhob die Nichtintervention zum Princip
und verkündete auf dem Liverpooler Bankett vom 22. Oct. 1868 als Eng¬
lands Politik der Zukunft: "streng die Rechte der Schwachen wie der Starken
zu respectiren, sich nicht zu beeilen erlittenes Unrecht zu rächen, sondern sich
dem leidenschaftslosen Schiedsrichterspruch irgend eines competenten Tribunals
zu unterwerfen." Darauf folgte nun schließlich ein Ministerium, in dem
John Bright, die personificirte Nichtintervention als Mitglied sitzt, und so
ist es wohl erklärlich, daß die Uankees, von denen England sich schon so viel
hat gefallen lassen, glaubten, sie brauchten nur recht grob zu drohen, um
noch mehr zu erreichen. Indeß wäre dies doch kein geringerer Irrthum, als
der des Kaisers Nicolaus, welcher die entschiedene Abneigung des Aberdeen-
schen Cabinettes, sich auf Feindseligkeiten einzulassen, als Unfähigkeit auslegte,
zu denselben zu schreiten. Schon die Aufnahme, welche die Sumnersche
Rede selbst bei den radicalsten Blättern gefunden, sollte hinreichen, die
Washingtoner Regierungsleute darüber aufzuklären, England befinde sich keines¬
wegs in nachgiebiger Stimmung, sondern vielmehr in der eines Mannes, der
fühlt, daß er bis an die Grenzen jedes möglichen Entgegenkommens gegangen
und dafür nur Undank geerntet hat. Lord Clarendon wird nach wie vor
zum Ausgleich auf der früheren Basis bereit sein, aber er wird die Unter¬
handlung über die Alabamafrage nicht wieder eröffnen, ehe er sicher ist, daß
auf amerikanischer Seite der ehrliche Wunsch besteht, wirklich zur Verständi¬
gung zu gelangen und am wenigsten dürfte Amerika etwas durch hoch¬
fahrenden Ton erreichen. Es ist deshalb zweifelhaft, ob die Wahl Motlch's
zum Gesandten in London eine glückliche heißen kann; er wird sich zwar
Nicht um feinen Hals reden wie Reverdy Johnson, der sich in kurzer Zeit
lächerlich gemacht hat, und ist in England als Geschichtsschreiber hochgeschätzt,
aber seine politischen Ansichten sind schroff, sein Temperament heftig und ver¬
letzlich und er hat aus seinem tiefen Groll über Englands Haltung während
des Bürgerkriegs nie ein Geheimniß gemacht. Es konnte daher nicht fehlen,
daß auf diese Wahl, welche schon an sich bedenklich angesehen ward, ein noch
ernsteres Licht durch die Rede Sumners fiel, dessen vertraute Beziehungen
zum Präsidenten bekannt sind. Man fragt sich also, will Grant den Bruch?
kann er ihn wollen? Nach aller vernünftigen Berechnung gewiß nicht, die
Vereinigten Staaten sind noch vom Bürgerkrieg tief erschüttert, in der Mehr¬
zahl der Südstaaten herrschen Militairgouverneure. Alle Classen fühlen sich
gedrückt von den fast unerschwinglichen Steuern, welche nöthig sind, um die
Zinsen der Staatsschuld zu bestreiten, ein Krieg mit England müßte letztere
so steigern, daß der Bankerott fast unvermeidlich würde, während England,
welches seine gewaltige Schuld mit Leichtigkeit trägt, dieselbe um 100 Mill.
Pfd. sert. vermehren könnte, ohne seinem Budget ernste Unbequemlichkeiten


Vorschub geleistet. Lord Stanley erhob die Nichtintervention zum Princip
und verkündete auf dem Liverpooler Bankett vom 22. Oct. 1868 als Eng¬
lands Politik der Zukunft: „streng die Rechte der Schwachen wie der Starken
zu respectiren, sich nicht zu beeilen erlittenes Unrecht zu rächen, sondern sich
dem leidenschaftslosen Schiedsrichterspruch irgend eines competenten Tribunals
zu unterwerfen." Darauf folgte nun schließlich ein Ministerium, in dem
John Bright, die personificirte Nichtintervention als Mitglied sitzt, und so
ist es wohl erklärlich, daß die Uankees, von denen England sich schon so viel
hat gefallen lassen, glaubten, sie brauchten nur recht grob zu drohen, um
noch mehr zu erreichen. Indeß wäre dies doch kein geringerer Irrthum, als
der des Kaisers Nicolaus, welcher die entschiedene Abneigung des Aberdeen-
schen Cabinettes, sich auf Feindseligkeiten einzulassen, als Unfähigkeit auslegte,
zu denselben zu schreiten. Schon die Aufnahme, welche die Sumnersche
Rede selbst bei den radicalsten Blättern gefunden, sollte hinreichen, die
Washingtoner Regierungsleute darüber aufzuklären, England befinde sich keines¬
wegs in nachgiebiger Stimmung, sondern vielmehr in der eines Mannes, der
fühlt, daß er bis an die Grenzen jedes möglichen Entgegenkommens gegangen
und dafür nur Undank geerntet hat. Lord Clarendon wird nach wie vor
zum Ausgleich auf der früheren Basis bereit sein, aber er wird die Unter¬
handlung über die Alabamafrage nicht wieder eröffnen, ehe er sicher ist, daß
auf amerikanischer Seite der ehrliche Wunsch besteht, wirklich zur Verständi¬
gung zu gelangen und am wenigsten dürfte Amerika etwas durch hoch¬
fahrenden Ton erreichen. Es ist deshalb zweifelhaft, ob die Wahl Motlch's
zum Gesandten in London eine glückliche heißen kann; er wird sich zwar
Nicht um feinen Hals reden wie Reverdy Johnson, der sich in kurzer Zeit
lächerlich gemacht hat, und ist in England als Geschichtsschreiber hochgeschätzt,
aber seine politischen Ansichten sind schroff, sein Temperament heftig und ver¬
letzlich und er hat aus seinem tiefen Groll über Englands Haltung während
des Bürgerkriegs nie ein Geheimniß gemacht. Es konnte daher nicht fehlen,
daß auf diese Wahl, welche schon an sich bedenklich angesehen ward, ein noch
ernsteres Licht durch die Rede Sumners fiel, dessen vertraute Beziehungen
zum Präsidenten bekannt sind. Man fragt sich also, will Grant den Bruch?
kann er ihn wollen? Nach aller vernünftigen Berechnung gewiß nicht, die
Vereinigten Staaten sind noch vom Bürgerkrieg tief erschüttert, in der Mehr¬
zahl der Südstaaten herrschen Militairgouverneure. Alle Classen fühlen sich
gedrückt von den fast unerschwinglichen Steuern, welche nöthig sind, um die
Zinsen der Staatsschuld zu bestreiten, ein Krieg mit England müßte letztere
so steigern, daß der Bankerott fast unvermeidlich würde, während England,
welches seine gewaltige Schuld mit Leichtigkeit trägt, dieselbe um 100 Mill.
Pfd. sert. vermehren könnte, ohne seinem Budget ernste Unbequemlichkeiten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/332>, abgerufen am 24.07.2024.