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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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entgegen, er ließ es ohne Widerspruch hingehen, daß ein Mitglied seines Cabi-
nets im Parlament erklärte: Jefferson Davis habe eine Nation geschaffen,
und zeigte dem Norden ein so unfreundliches Gesicht, als es nur möglich
war, ohne direct zu brechen. Die Folge war eine Erbitterung Amerika's
gegen England: die weit größer war als gegen Frankreich, welches die Ini¬
tiative eines direct feindseligen Vorgehens genommen. Das Cabinet von
Washington setzte zur Demüthigung Napoleons die Räumung Mexiko's durch,
aber damit war auch die Rechnung liquidirt, umgekehrt mußte es in der
Trentfrage England nachgeben, aber es blieb eine Bitterkeit, welche bekun¬
dete, daß man die Abrechnung auf gelegene Zeit verschiebe. Diese umgekehrte
Stellung zu den Westmächten erklärt sich auch dadurch, daß in Frankreich
die Presse und öffentliche Meinung mit großer Einmüthigkeit die Partei der
Union als einer alten Verbündeten ergriff und die Fortdauer des Sklaven¬
halterregiments bekämpfte, während die diplomatischen Schritte des Kaisers in
London auf Anerkennung des Südens der Masse des amerikanischen Volkes
meist unbekannt blieben. In England dagegen nahmen Presse und Parlament
mit ebenso großer Entschiedenheit die Partei des Südens, Bright stand mit
seinen Sympathien für die Union fast allein. Aber die Amerikaner hatten
concretere Beschwerden gegen die englische Regierung, als deren Sympathien
mit ihren Gegnern, England zeigte seine Connivenz für den Süden durch die
laxe Ausführung der Neutralitätsgesetze, speciell hinsichtlich der Ausrüstung
südstaatlicher Kaper in seinen Häfen. An den schreiendsten Fall, den der
Alabama, knüpft sich die gegenwärtige Differenz. Die Alabama war in
Liverpool heimlich gebaut; kurz vor ihrem Auslaufen erhielt der dortige
amerikanische Consul Gewißheit über ihre Bestimmung und verlangte von
den englischen Behörden die Beschlagnahme. Dieselben telegraphirten um
Verhaltungsbefehle an das Auswärtige Amt, aber als die Depesche an einem
Sonnabend Morgen eintraf, war Lord Russell aufs Land gegangen. Sein
Vertreter, der permanente Unterstaatssecretair Mr. Hammond, ein enger Bu¬
reaukrat, wagte keine Entscheidung zu treffen, und als am Montag der Mi¬
nister wieder anlangte, war die Alabama auf hoher See. Es ist bekannt,
welchen ungeheuren Schaden dieser Kaper dem amerikanischen Handel zuge¬
fügt. Nach Beendigung des Bürgerkriegs forderte Amerika hierfür Ersatz,
dessen Betrag durch ein Schiedsgericht festgestellt werden sollte. Lord Russell
wies dies Verlangen kurzer Hand ab. Lord Stanley, der ihm im Juni 1866
im Auswärtigen Amte folgte und durch keine Antecedentien gebunden war,
brachte den aufrichtigen Wunsch mit, die Differenz auszugleichen, und erklärte
sich bereit, das Schiedsgericht anzunehmen, ein Entschluß, der in England
mit ungetheiltem Beifall begrüßt wird. Aber Mr. Seward änderte jetzt
plötzlich seinen Standpunkt, er, der ein Schiedsgericht gefordert mit der aus-


entgegen, er ließ es ohne Widerspruch hingehen, daß ein Mitglied seines Cabi-
nets im Parlament erklärte: Jefferson Davis habe eine Nation geschaffen,
und zeigte dem Norden ein so unfreundliches Gesicht, als es nur möglich
war, ohne direct zu brechen. Die Folge war eine Erbitterung Amerika's
gegen England: die weit größer war als gegen Frankreich, welches die Ini¬
tiative eines direct feindseligen Vorgehens genommen. Das Cabinet von
Washington setzte zur Demüthigung Napoleons die Räumung Mexiko's durch,
aber damit war auch die Rechnung liquidirt, umgekehrt mußte es in der
Trentfrage England nachgeben, aber es blieb eine Bitterkeit, welche bekun¬
dete, daß man die Abrechnung auf gelegene Zeit verschiebe. Diese umgekehrte
Stellung zu den Westmächten erklärt sich auch dadurch, daß in Frankreich
die Presse und öffentliche Meinung mit großer Einmüthigkeit die Partei der
Union als einer alten Verbündeten ergriff und die Fortdauer des Sklaven¬
halterregiments bekämpfte, während die diplomatischen Schritte des Kaisers in
London auf Anerkennung des Südens der Masse des amerikanischen Volkes
meist unbekannt blieben. In England dagegen nahmen Presse und Parlament
mit ebenso großer Entschiedenheit die Partei des Südens, Bright stand mit
seinen Sympathien für die Union fast allein. Aber die Amerikaner hatten
concretere Beschwerden gegen die englische Regierung, als deren Sympathien
mit ihren Gegnern, England zeigte seine Connivenz für den Süden durch die
laxe Ausführung der Neutralitätsgesetze, speciell hinsichtlich der Ausrüstung
südstaatlicher Kaper in seinen Häfen. An den schreiendsten Fall, den der
Alabama, knüpft sich die gegenwärtige Differenz. Die Alabama war in
Liverpool heimlich gebaut; kurz vor ihrem Auslaufen erhielt der dortige
amerikanische Consul Gewißheit über ihre Bestimmung und verlangte von
den englischen Behörden die Beschlagnahme. Dieselben telegraphirten um
Verhaltungsbefehle an das Auswärtige Amt, aber als die Depesche an einem
Sonnabend Morgen eintraf, war Lord Russell aufs Land gegangen. Sein
Vertreter, der permanente Unterstaatssecretair Mr. Hammond, ein enger Bu¬
reaukrat, wagte keine Entscheidung zu treffen, und als am Montag der Mi¬
nister wieder anlangte, war die Alabama auf hoher See. Es ist bekannt,
welchen ungeheuren Schaden dieser Kaper dem amerikanischen Handel zuge¬
fügt. Nach Beendigung des Bürgerkriegs forderte Amerika hierfür Ersatz,
dessen Betrag durch ein Schiedsgericht festgestellt werden sollte. Lord Russell
wies dies Verlangen kurzer Hand ab. Lord Stanley, der ihm im Juni 1866
im Auswärtigen Amte folgte und durch keine Antecedentien gebunden war,
brachte den aufrichtigen Wunsch mit, die Differenz auszugleichen, und erklärte
sich bereit, das Schiedsgericht anzunehmen, ein Entschluß, der in England
mit ungetheiltem Beifall begrüßt wird. Aber Mr. Seward änderte jetzt
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/330>, abgerufen am 24.07.2024.