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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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die Befugniß, diplomatische Vertreter seines Staates an auswärtige Höfe zu
senden verzichtet; damit ist natürlich nur dem Recht zur Anstellung regel¬
mäßiger Gesandten entsagt, die Absendung von Missionen zu besonderen
Zwecken hat den Hospvdaren schon früher zugestanden und ist praktisch sehr
häufig ausgeübt worden.

Die Veränderungen, welche sich im Lauf des April bei Rumäniens nächsten
Nachbaren, den Ungarn, vollzogen haben, werden den Staatsmännern in
Jassh und Bucharest übrigens besondere Vorsicht und Enthaltsamkeit zur
Pflicht machen. Jene Pester Linke, welche von jeher die mißtrauischeste Geg¬
nerin aller südslavischen Völker, die stolzeste Vertreterin der magyarischen
Hegemonie an der unteren Donau war, hat bei den Neuwahlen zum Land¬
tage eine lange Reihe glänzender Erfolge davongetragen. Schon der ge¬
messene, fast besorgliche Ton der Thronrede, mit welcher der Kaiser und
König Franz Joseph die neu gewählte ungarische Ständeversammlung er¬
öffnete, weist darauf hin, daß die Tage der Allgewalt Deal's gezählt sind
und daß die von diesem Staatsmanne begründete Partei mehr verloren hat,
als den "Lmdorixoillt", welchen Graf Andrassy so leicht verschmerzen zu
können meinte. Nicht nur, daß es der Partei, welche ziemlich offen Los¬
reißung von Oestreich predigt, gelungen ist, eine Anzahl der wichtigsten
Wahlkreise zu erobern -- diese Partei hat so geschickt zu operiren gewußt,
daß die Döakisten viele ihrer tüchtigsten Glieder durchfallen sahen und daß die
ministerielle Fraction qualitativ noch mehr verloren hat, als quantitativ.
Auch die äußerste Linke, welche den großen Grundbesitz sprengen und Acker¬
vertheilungen herbeiführen möchte, hat sich verstärkt. -- Der Erfolg muß leh¬
ren, ob und in wie weit ein ferneres Zusammengehen der beiden zweispalti-
gen Hälften des östreichisch-ungarischen Reichs noch möglich sein wird. So
schlecht De-akisten und liberale Deutschöstreicher sich auch bis jetzt vertragen
haben, durch das gemeinsame Interesse an der Erhaltung des Dualismus
hängen sie doch so eng mit einander zusammen, daß jeder Verlust der Einen als
Schaden für die Anderen angesehen werden muß. In diesem Sinne ist der
Ausfall der ungarischen Wahlen von der böhmischen Nationalpartei und den
übrigen Föderalisten als ein hochwillkommenes Ereigniß und als Vorbote
eines immer nothwendiger werdenden Systemwechsels begrüßt worden. Man
rechnet darauf, die gegen die Ungarn unmuthig gewordene Regierung mit
den vereinigten Kräften der galizischen Polen, der Böhmen, Slowenen, Ti¬
roler und Klerikalen ohne große Anstrengung zu Concessionen bringen zu
können. Wenn bis jetzt weder Graf Beust, noch die cisleithanischen Minister
nachgegeben haben, so werden sie das (nach Meinung der Föderalisten) in Zu¬
kunft mit desto ausgedehnteren Concessionen bezahlen müssen. Bis jetzt ist die
Regierung fest geblieben und die endlich erfolgte Ernennung des Grasen


Greozlioten II. I8KS, 2S

die Befugniß, diplomatische Vertreter seines Staates an auswärtige Höfe zu
senden verzichtet; damit ist natürlich nur dem Recht zur Anstellung regel¬
mäßiger Gesandten entsagt, die Absendung von Missionen zu besonderen
Zwecken hat den Hospvdaren schon früher zugestanden und ist praktisch sehr
häufig ausgeübt worden.

Die Veränderungen, welche sich im Lauf des April bei Rumäniens nächsten
Nachbaren, den Ungarn, vollzogen haben, werden den Staatsmännern in
Jassh und Bucharest übrigens besondere Vorsicht und Enthaltsamkeit zur
Pflicht machen. Jene Pester Linke, welche von jeher die mißtrauischeste Geg¬
nerin aller südslavischen Völker, die stolzeste Vertreterin der magyarischen
Hegemonie an der unteren Donau war, hat bei den Neuwahlen zum Land¬
tage eine lange Reihe glänzender Erfolge davongetragen. Schon der ge¬
messene, fast besorgliche Ton der Thronrede, mit welcher der Kaiser und
König Franz Joseph die neu gewählte ungarische Ständeversammlung er¬
öffnete, weist darauf hin, daß die Tage der Allgewalt Deal's gezählt sind
und daß die von diesem Staatsmanne begründete Partei mehr verloren hat,
als den „Lmdorixoillt", welchen Graf Andrassy so leicht verschmerzen zu
können meinte. Nicht nur, daß es der Partei, welche ziemlich offen Los¬
reißung von Oestreich predigt, gelungen ist, eine Anzahl der wichtigsten
Wahlkreise zu erobern — diese Partei hat so geschickt zu operiren gewußt,
daß die Döakisten viele ihrer tüchtigsten Glieder durchfallen sahen und daß die
ministerielle Fraction qualitativ noch mehr verloren hat, als quantitativ.
Auch die äußerste Linke, welche den großen Grundbesitz sprengen und Acker¬
vertheilungen herbeiführen möchte, hat sich verstärkt. — Der Erfolg muß leh¬
ren, ob und in wie weit ein ferneres Zusammengehen der beiden zweispalti-
gen Hälften des östreichisch-ungarischen Reichs noch möglich sein wird. So
schlecht De-akisten und liberale Deutschöstreicher sich auch bis jetzt vertragen
haben, durch das gemeinsame Interesse an der Erhaltung des Dualismus
hängen sie doch so eng mit einander zusammen, daß jeder Verlust der Einen als
Schaden für die Anderen angesehen werden muß. In diesem Sinne ist der
Ausfall der ungarischen Wahlen von der böhmischen Nationalpartei und den
übrigen Föderalisten als ein hochwillkommenes Ereigniß und als Vorbote
eines immer nothwendiger werdenden Systemwechsels begrüßt worden. Man
rechnet darauf, die gegen die Ungarn unmuthig gewordene Regierung mit
den vereinigten Kräften der galizischen Polen, der Böhmen, Slowenen, Ti¬
roler und Klerikalen ohne große Anstrengung zu Concessionen bringen zu
können. Wenn bis jetzt weder Graf Beust, noch die cisleithanischen Minister
nachgegeben haben, so werden sie das (nach Meinung der Föderalisten) in Zu¬
kunft mit desto ausgedehnteren Concessionen bezahlen müssen. Bis jetzt ist die
Regierung fest geblieben und die endlich erfolgte Ernennung des Grasen


Greozlioten II. I8KS, 2S
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[0201] die Befugniß, diplomatische Vertreter seines Staates an auswärtige Höfe zu senden verzichtet; damit ist natürlich nur dem Recht zur Anstellung regel¬ mäßiger Gesandten entsagt, die Absendung von Missionen zu besonderen Zwecken hat den Hospvdaren schon früher zugestanden und ist praktisch sehr häufig ausgeübt worden. Die Veränderungen, welche sich im Lauf des April bei Rumäniens nächsten Nachbaren, den Ungarn, vollzogen haben, werden den Staatsmännern in Jassh und Bucharest übrigens besondere Vorsicht und Enthaltsamkeit zur Pflicht machen. Jene Pester Linke, welche von jeher die mißtrauischeste Geg¬ nerin aller südslavischen Völker, die stolzeste Vertreterin der magyarischen Hegemonie an der unteren Donau war, hat bei den Neuwahlen zum Land¬ tage eine lange Reihe glänzender Erfolge davongetragen. Schon der ge¬ messene, fast besorgliche Ton der Thronrede, mit welcher der Kaiser und König Franz Joseph die neu gewählte ungarische Ständeversammlung er¬ öffnete, weist darauf hin, daß die Tage der Allgewalt Deal's gezählt sind und daß die von diesem Staatsmanne begründete Partei mehr verloren hat, als den „Lmdorixoillt", welchen Graf Andrassy so leicht verschmerzen zu können meinte. Nicht nur, daß es der Partei, welche ziemlich offen Los¬ reißung von Oestreich predigt, gelungen ist, eine Anzahl der wichtigsten Wahlkreise zu erobern — diese Partei hat so geschickt zu operiren gewußt, daß die Döakisten viele ihrer tüchtigsten Glieder durchfallen sahen und daß die ministerielle Fraction qualitativ noch mehr verloren hat, als quantitativ. Auch die äußerste Linke, welche den großen Grundbesitz sprengen und Acker¬ vertheilungen herbeiführen möchte, hat sich verstärkt. — Der Erfolg muß leh¬ ren, ob und in wie weit ein ferneres Zusammengehen der beiden zweispalti- gen Hälften des östreichisch-ungarischen Reichs noch möglich sein wird. So schlecht De-akisten und liberale Deutschöstreicher sich auch bis jetzt vertragen haben, durch das gemeinsame Interesse an der Erhaltung des Dualismus hängen sie doch so eng mit einander zusammen, daß jeder Verlust der Einen als Schaden für die Anderen angesehen werden muß. In diesem Sinne ist der Ausfall der ungarischen Wahlen von der böhmischen Nationalpartei und den übrigen Föderalisten als ein hochwillkommenes Ereigniß und als Vorbote eines immer nothwendiger werdenden Systemwechsels begrüßt worden. Man rechnet darauf, die gegen die Ungarn unmuthig gewordene Regierung mit den vereinigten Kräften der galizischen Polen, der Böhmen, Slowenen, Ti¬ roler und Klerikalen ohne große Anstrengung zu Concessionen bringen zu können. Wenn bis jetzt weder Graf Beust, noch die cisleithanischen Minister nachgegeben haben, so werden sie das (nach Meinung der Föderalisten) in Zu¬ kunft mit desto ausgedehnteren Concessionen bezahlen müssen. Bis jetzt ist die Regierung fest geblieben und die endlich erfolgte Ernennung des Grasen Greozlioten II. I8KS, 2S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/201>, abgerufen am 04.07.2024.