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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Itche UnterhaltungSpromenade und waren in ihren Sonntagsstaat gekleidet.
Dergleichen hatten wir in keiner der bisher besuchten Städte gesehen, wie
wir auch z. B. die obenerwähnte Frauentracht nur in Catania wahrgenom¬
men hatten: so mag wohl jede dieser Gemeinden ihre charakteristische Eigen-
heit haben und eben diese Manntchfaltigkeit schon eine Reise ins Innere
lohnen. Auf einer Insel indtvidualisirt sich Alles fester und bestimmter.

Wir hatten uns in uuserem schmucklosen mit sechs Betten besetzten Schlaf¬
saale beim Schein einer dreiarmtgen Lucerna zum Schreiben niedergesetzt, als
unser dicker Wirth, der eben ein wenig brünstig zum Dionysos gebetet hatte,
auf der Schwelle erschien, um sich zu überzeugen, wie wir das Schicksal er¬
trugen, in sein Haus verschlagen zu sein; er schilderte auf die ergötzlichste
Weise, wie Andere vor uns in ähnlicher Lage, in demselben Saale, an dem¬
selben Tische sich benommen hätten.

Früh um 3 Uhr ein unbehagliches Erwachen. Wir machten die Rech¬
nung. Mutter Wirthin, ein drolliges Bild des heidnisch-christlichen Misch-
Wesens dieser Insel, oben drapirt wie eine Madonna und unten wie eine
Nymphe, hatte die Nacht über eine hübsche Ziffer herausgebracht. Beim
Weggehen streckten sich uns alle beschäftigten und unbeschäftigten Hände zum
Trinkgeld entgegen, selbst die der letzteren Kategorie angehörigen des dicken
Wirths, und aus den ängstlichen Blicken, mit denen er seine entfernt stehende
Gattin beobachtete, wurde nur zu sehr ersichtlich, daß sie ihn nicht in aus¬
reichendem Maße an den regelmäßigen Einnahmen seines Hauses zu bethei¬
ligen pflegt.

Fort ging es in die Nacht hinein; ein bescheidenes Mondviertel erleuch¬
tete sie so, daß man zur Noth dabei hätte lesen können. Auf dieser Straße
kann man zu jeder Zeit vollkommen unbesorgt reisen. Wir passirten eine
Menge Lastkarren und bepackte Esel, die alle zum Simeto hinabgingen. Als
wir die Höhe über der breiten Ebene des Flusses erreicht hatten, ging rechts
von uns über dem Meere die Sonne auf; sie beschien eine Landschaft, wie
ich sie in breiteren und größeren Formen nie gesehen habe. Nirgends eine
kleine gebrochene Linie. Alles weit und mächtig geschweift, großartig hinge¬
lagert. Unmittelbar vor uns die mehrere Stunden breite Thalsenkung, die
sich nach dem Meere zu vollständig abflacht und in einer schönen Bogenlinie
begrenzt; jenseits erhebt sich ohne Vorberge der Aetna, dessen beschneite
Gipfel eben jetzt zart geröthet wurden; vom Meere, wie vom Lande her steigt
er in einer herrlich geschwungenen, nirgends gebrochenen Linie ebenmäßig zu
majestätischer Höhe empor, in selner ganzen Größe wirkend; in all diese Breite
und Mächtigkeit hinein die ernste rothglühende Sonne, in solchem Moment
nicht wie ein Allgemeines empfunden, sondern wie eine Persönlichkeit, wie
ein Held, der aus seiner Kammer hervorgeht, zu beginnen den Lauf!


Itche UnterhaltungSpromenade und waren in ihren Sonntagsstaat gekleidet.
Dergleichen hatten wir in keiner der bisher besuchten Städte gesehen, wie
wir auch z. B. die obenerwähnte Frauentracht nur in Catania wahrgenom¬
men hatten: so mag wohl jede dieser Gemeinden ihre charakteristische Eigen-
heit haben und eben diese Manntchfaltigkeit schon eine Reise ins Innere
lohnen. Auf einer Insel indtvidualisirt sich Alles fester und bestimmter.

Wir hatten uns in uuserem schmucklosen mit sechs Betten besetzten Schlaf¬
saale beim Schein einer dreiarmtgen Lucerna zum Schreiben niedergesetzt, als
unser dicker Wirth, der eben ein wenig brünstig zum Dionysos gebetet hatte,
auf der Schwelle erschien, um sich zu überzeugen, wie wir das Schicksal er¬
trugen, in sein Haus verschlagen zu sein; er schilderte auf die ergötzlichste
Weise, wie Andere vor uns in ähnlicher Lage, in demselben Saale, an dem¬
selben Tische sich benommen hätten.

Früh um 3 Uhr ein unbehagliches Erwachen. Wir machten die Rech¬
nung. Mutter Wirthin, ein drolliges Bild des heidnisch-christlichen Misch-
Wesens dieser Insel, oben drapirt wie eine Madonna und unten wie eine
Nymphe, hatte die Nacht über eine hübsche Ziffer herausgebracht. Beim
Weggehen streckten sich uns alle beschäftigten und unbeschäftigten Hände zum
Trinkgeld entgegen, selbst die der letzteren Kategorie angehörigen des dicken
Wirths, und aus den ängstlichen Blicken, mit denen er seine entfernt stehende
Gattin beobachtete, wurde nur zu sehr ersichtlich, daß sie ihn nicht in aus¬
reichendem Maße an den regelmäßigen Einnahmen seines Hauses zu bethei¬
ligen pflegt.

Fort ging es in die Nacht hinein; ein bescheidenes Mondviertel erleuch¬
tete sie so, daß man zur Noth dabei hätte lesen können. Auf dieser Straße
kann man zu jeder Zeit vollkommen unbesorgt reisen. Wir passirten eine
Menge Lastkarren und bepackte Esel, die alle zum Simeto hinabgingen. Als
wir die Höhe über der breiten Ebene des Flusses erreicht hatten, ging rechts
von uns über dem Meere die Sonne auf; sie beschien eine Landschaft, wie
ich sie in breiteren und größeren Formen nie gesehen habe. Nirgends eine
kleine gebrochene Linie. Alles weit und mächtig geschweift, großartig hinge¬
lagert. Unmittelbar vor uns die mehrere Stunden breite Thalsenkung, die
sich nach dem Meere zu vollständig abflacht und in einer schönen Bogenlinie
begrenzt; jenseits erhebt sich ohne Vorberge der Aetna, dessen beschneite
Gipfel eben jetzt zart geröthet wurden; vom Meere, wie vom Lande her steigt
er in einer herrlich geschwungenen, nirgends gebrochenen Linie ebenmäßig zu
majestätischer Höhe empor, in selner ganzen Größe wirkend; in all diese Breite
und Mächtigkeit hinein die ernste rothglühende Sonne, in solchem Moment
nicht wie ein Allgemeines empfunden, sondern wie eine Persönlichkeit, wie
ein Held, der aus seiner Kammer hervorgeht, zu beginnen den Lauf!


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[0165] Itche UnterhaltungSpromenade und waren in ihren Sonntagsstaat gekleidet. Dergleichen hatten wir in keiner der bisher besuchten Städte gesehen, wie wir auch z. B. die obenerwähnte Frauentracht nur in Catania wahrgenom¬ men hatten: so mag wohl jede dieser Gemeinden ihre charakteristische Eigen- heit haben und eben diese Manntchfaltigkeit schon eine Reise ins Innere lohnen. Auf einer Insel indtvidualisirt sich Alles fester und bestimmter. Wir hatten uns in uuserem schmucklosen mit sechs Betten besetzten Schlaf¬ saale beim Schein einer dreiarmtgen Lucerna zum Schreiben niedergesetzt, als unser dicker Wirth, der eben ein wenig brünstig zum Dionysos gebetet hatte, auf der Schwelle erschien, um sich zu überzeugen, wie wir das Schicksal er¬ trugen, in sein Haus verschlagen zu sein; er schilderte auf die ergötzlichste Weise, wie Andere vor uns in ähnlicher Lage, in demselben Saale, an dem¬ selben Tische sich benommen hätten. Früh um 3 Uhr ein unbehagliches Erwachen. Wir machten die Rech¬ nung. Mutter Wirthin, ein drolliges Bild des heidnisch-christlichen Misch- Wesens dieser Insel, oben drapirt wie eine Madonna und unten wie eine Nymphe, hatte die Nacht über eine hübsche Ziffer herausgebracht. Beim Weggehen streckten sich uns alle beschäftigten und unbeschäftigten Hände zum Trinkgeld entgegen, selbst die der letzteren Kategorie angehörigen des dicken Wirths, und aus den ängstlichen Blicken, mit denen er seine entfernt stehende Gattin beobachtete, wurde nur zu sehr ersichtlich, daß sie ihn nicht in aus¬ reichendem Maße an den regelmäßigen Einnahmen seines Hauses zu bethei¬ ligen pflegt. Fort ging es in die Nacht hinein; ein bescheidenes Mondviertel erleuch¬ tete sie so, daß man zur Noth dabei hätte lesen können. Auf dieser Straße kann man zu jeder Zeit vollkommen unbesorgt reisen. Wir passirten eine Menge Lastkarren und bepackte Esel, die alle zum Simeto hinabgingen. Als wir die Höhe über der breiten Ebene des Flusses erreicht hatten, ging rechts von uns über dem Meere die Sonne auf; sie beschien eine Landschaft, wie ich sie in breiteren und größeren Formen nie gesehen habe. Nirgends eine kleine gebrochene Linie. Alles weit und mächtig geschweift, großartig hinge¬ lagert. Unmittelbar vor uns die mehrere Stunden breite Thalsenkung, die sich nach dem Meere zu vollständig abflacht und in einer schönen Bogenlinie begrenzt; jenseits erhebt sich ohne Vorberge der Aetna, dessen beschneite Gipfel eben jetzt zart geröthet wurden; vom Meere, wie vom Lande her steigt er in einer herrlich geschwungenen, nirgends gebrochenen Linie ebenmäßig zu majestätischer Höhe empor, in selner ganzen Größe wirkend; in all diese Breite und Mächtigkeit hinein die ernste rothglühende Sonne, in solchem Moment nicht wie ein Allgemeines empfunden, sondern wie eine Persönlichkeit, wie ein Held, der aus seiner Kammer hervorgeht, zu beginnen den Lauf!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/165>, abgerufen am 24.07.2024.