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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Sterz führen zu können glaubten. Es ist begreiflich, daß der Sicilianische Adel
auf die neue Dynastie nicht gut gestimmt wurde, als ihm diese eines Tages
seine Luruskinder zurückschickte, die er aus des lieben Gottes Tasche geschoben
und zeitlich wie ewig wohl versorgt hatte. So ein ausrangirter Mönch von
dreißig Jahren, der in Gottes Welt nichts gelernt hat. vom Staate verjagt,
von der Familie grämlich aufgenommen wird -- das muß ein befriedigen¬
des Gefühl sein!




Wir besuchten die Lava von 1669 an der Stelle, wo sie ins Meer ge¬
flossen ist. Sie brach an der Südseite des Aetna aus, wo sich damals der
Monte rosso bildete, floß bis ins Meer 2S Miglien weit und- gebrauchte
dazu 15 Monate. An manchen Stellen hat sie eine ungeheure Höhe und
4 Miglien ist sie breit. Das sind Massen! Gegen den Aetna ist der Vesuv
nur ein kleiner Speiteufel.

Neben dieser Lava beginnt ein ziemlich breiter Streifen von gelbem
Sande, in welchem man nach bewegter See Ambra sucht. Den Sand mit-
sammt dem Ambra führt der Simeto, der größte Fluß Siciliens, herab. Das
Meer füllt ihn beim Heraustreten und wirft ihn gegen die Küste. Die
Nacht hatte ein tüchtiger Scirocco geweht; aber die Ambrasucher, die im
Gänsemarsch an uns vorüberzogen, warfen auf unsere Frage nach ihrer Beute
nur den Kopf in den Nacken. Das ist eine sehr provocante Bewegung.
Warum müssen .wir Anderen, wenn wir Nein sagen wollen, den Kopf sechs¬
mal hin und her schleudern, und diese Italiener werfen ihn einmal in starker
Opposition in die Höhe?

Wir verfolgten nun die Lava weithin aufwärts und gelangten hoch über
der Stadt in den Garten des Marchese Giuiliano, gründlich verwahrlost, aber
von reichster Vegetation. Verbenen, Tulpen, Hyacinthen, Nelken. Goldlack,
Levkoyen. Alles stand in vollster Blüthe. Die Mandeln, die bereits im De¬
cember geblüht hatten, entwickelten schon tüchtige Kerne, nebenan blanken
große Flachsfelder. -- Der Aetna hat sich aber so in Schnee und Nebel ge^
hüllt, daß an eine Besteigung nicht zu denken ist. Wir haben uns also be¬
zwingen müssen, dem erwähnten Monte rosso, einem der 326 "Söhne des
Aetna", wie man diese gefährlichen Schlingel nennt, unseren Besuch abzu¬
statten. Er soll vom Meere aus so hoch sein wie der Vesuv; vom Grunde
des Aetna aus erhebt er sich noch tausend Fuß. Seinen Namen hat er von
der rothfarbigen Asche, die er bei der Eruption von 1669 zu Tage gefördert.
Von dem Rande des wohlerhaltenen Kraters aus hat man eine herrliche
Aussicht über die Küste, die Stadt und den fruchtbaren Piano ti Catania,
eine breite Ebene, die der Simeto aus den Gebirgen herabgeschwemmt hat.
In nächster Nähe umgiebt den Monte rosso eine ganze Anzahl seiner Brü-


Gr-nzbolen II. 18K9, 20

Sterz führen zu können glaubten. Es ist begreiflich, daß der Sicilianische Adel
auf die neue Dynastie nicht gut gestimmt wurde, als ihm diese eines Tages
seine Luruskinder zurückschickte, die er aus des lieben Gottes Tasche geschoben
und zeitlich wie ewig wohl versorgt hatte. So ein ausrangirter Mönch von
dreißig Jahren, der in Gottes Welt nichts gelernt hat. vom Staate verjagt,
von der Familie grämlich aufgenommen wird — das muß ein befriedigen¬
des Gefühl sein!




Wir besuchten die Lava von 1669 an der Stelle, wo sie ins Meer ge¬
flossen ist. Sie brach an der Südseite des Aetna aus, wo sich damals der
Monte rosso bildete, floß bis ins Meer 2S Miglien weit und- gebrauchte
dazu 15 Monate. An manchen Stellen hat sie eine ungeheure Höhe und
4 Miglien ist sie breit. Das sind Massen! Gegen den Aetna ist der Vesuv
nur ein kleiner Speiteufel.

Neben dieser Lava beginnt ein ziemlich breiter Streifen von gelbem
Sande, in welchem man nach bewegter See Ambra sucht. Den Sand mit-
sammt dem Ambra führt der Simeto, der größte Fluß Siciliens, herab. Das
Meer füllt ihn beim Heraustreten und wirft ihn gegen die Küste. Die
Nacht hatte ein tüchtiger Scirocco geweht; aber die Ambrasucher, die im
Gänsemarsch an uns vorüberzogen, warfen auf unsere Frage nach ihrer Beute
nur den Kopf in den Nacken. Das ist eine sehr provocante Bewegung.
Warum müssen .wir Anderen, wenn wir Nein sagen wollen, den Kopf sechs¬
mal hin und her schleudern, und diese Italiener werfen ihn einmal in starker
Opposition in die Höhe?

Wir verfolgten nun die Lava weithin aufwärts und gelangten hoch über
der Stadt in den Garten des Marchese Giuiliano, gründlich verwahrlost, aber
von reichster Vegetation. Verbenen, Tulpen, Hyacinthen, Nelken. Goldlack,
Levkoyen. Alles stand in vollster Blüthe. Die Mandeln, die bereits im De¬
cember geblüht hatten, entwickelten schon tüchtige Kerne, nebenan blanken
große Flachsfelder. — Der Aetna hat sich aber so in Schnee und Nebel ge^
hüllt, daß an eine Besteigung nicht zu denken ist. Wir haben uns also be¬
zwingen müssen, dem erwähnten Monte rosso, einem der 326 „Söhne des
Aetna", wie man diese gefährlichen Schlingel nennt, unseren Besuch abzu¬
statten. Er soll vom Meere aus so hoch sein wie der Vesuv; vom Grunde
des Aetna aus erhebt er sich noch tausend Fuß. Seinen Namen hat er von
der rothfarbigen Asche, die er bei der Eruption von 1669 zu Tage gefördert.
Von dem Rande des wohlerhaltenen Kraters aus hat man eine herrliche
Aussicht über die Küste, die Stadt und den fruchtbaren Piano ti Catania,
eine breite Ebene, die der Simeto aus den Gebirgen herabgeschwemmt hat.
In nächster Nähe umgiebt den Monte rosso eine ganze Anzahl seiner Brü-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/161>, abgerufen am 24.07.2024.