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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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nur auf die Chance der Eheschließung hin und doch auch für die der Ehefrau
wartenden Aufgaben mangelhaft zu erziehen?

Warum ist bei uns die erfolgreiche Theilnahme der Ehefrau an der
Erwerbsarbeit des Mannes, selbst wenn diese Theilnahme durch die Umstände
geboten erscheint, vergleichsweise selten?

Warum ist die Zahl der Berufsarten, denen sich bet uns alleinstehende
Frauen zuwenden können, so außerordentlich beschränkt?

Warum ist das Loos der Frauen, welche sich den Frauenhänden aus¬
schließlich, oder in Concurrenz mit Männerarbeit, ganz regelmäßig überlasse¬
nen Berufszweigen zuwenden, bei uns vergleichsweise so überaus be-
klagenswerth?

Es läßt sich nicht verkennen, daß diese Erscheinungen untereinander in
einem gewissen ursächlichen Zusammenhange stehen. Sie wurzeln allesammt
in gemeinschaftlichen Grundursachen.

Als solche möchte ich bezeichnen: gewisse Mängel in der Methode
der öffentlichen weiblichen Erziehung; tief eingewurzelte, weitver¬
breitete, nur historisch zu begründende Vorurtheile über die Lebens¬
stellung der Frau; diesen Vorurtheilen entsprungene, die wirthschaft¬
liche Freiheit der Frau zu Gunsten des Mannes beschränkende
Gesetze, und wo diese auch längst beseitigt sind, ihre Nachwirkungen;
endlich Mangel an Verstand.riß der wirthschaftlichen Natur¬
gesetze.

Es ist nicht zu verwundern, daß die Methode der öffentlichen
weiblichen Erziehung viel zu wünschen läßt. Ist es doch kaum hundert
Jahre her, daß man es überhaupt für der Mühe werth hält, nach Grund¬
sätzen sür die Erziehung des heranwachsenden Geschlechtes zu suchen! Ist es
doch z. B. eine völlig moderne und eben deshalb noch keineswegs in
Fleisch und Blut übergegangene, noch weniger aber consequent erfüllte
Forderung, daß die Volksschule nicht eine einseitige Verstandesabrichtungs-,
sondern eine harmonische Bildungsanstalt sür alle Kräfte des Menschen sein
müsse! Schwanken doch die Meinungen der Berufenen über die Realisirung
dieser Forderung auch in der Pädagogik des männlichen Geschlechts! Oder
wüßten wir etwa nicht, daß z. B. die Vorkämpfer frühzeitig beginnender Be¬
rufsbildung den Vertretern der die zufällige spätere Berufswahl außer Acht
lassenden allgemein menschlichen Erziehung schroff und unversöhnt gegen¬
überstehen?

Ich neige mich zu der Annahme, daß in der Methode der weiblichen
Volkserziehung eher zu viel, als zu wenig, eher zu früh, als zu spät, an den
künftigen Beruf gedacht, und daß dieser künftige Beruf nur zu häusig ledig¬
lich im Ehestandsberufe gesucht wird. Täusche ich mich nicht, so ist die Ele-


nur auf die Chance der Eheschließung hin und doch auch für die der Ehefrau
wartenden Aufgaben mangelhaft zu erziehen?

Warum ist bei uns die erfolgreiche Theilnahme der Ehefrau an der
Erwerbsarbeit des Mannes, selbst wenn diese Theilnahme durch die Umstände
geboten erscheint, vergleichsweise selten?

Warum ist die Zahl der Berufsarten, denen sich bet uns alleinstehende
Frauen zuwenden können, so außerordentlich beschränkt?

Warum ist das Loos der Frauen, welche sich den Frauenhänden aus¬
schließlich, oder in Concurrenz mit Männerarbeit, ganz regelmäßig überlasse¬
nen Berufszweigen zuwenden, bei uns vergleichsweise so überaus be-
klagenswerth?

Es läßt sich nicht verkennen, daß diese Erscheinungen untereinander in
einem gewissen ursächlichen Zusammenhange stehen. Sie wurzeln allesammt
in gemeinschaftlichen Grundursachen.

Als solche möchte ich bezeichnen: gewisse Mängel in der Methode
der öffentlichen weiblichen Erziehung; tief eingewurzelte, weitver¬
breitete, nur historisch zu begründende Vorurtheile über die Lebens¬
stellung der Frau; diesen Vorurtheilen entsprungene, die wirthschaft¬
liche Freiheit der Frau zu Gunsten des Mannes beschränkende
Gesetze, und wo diese auch längst beseitigt sind, ihre Nachwirkungen;
endlich Mangel an Verstand.riß der wirthschaftlichen Natur¬
gesetze.

Es ist nicht zu verwundern, daß die Methode der öffentlichen
weiblichen Erziehung viel zu wünschen läßt. Ist es doch kaum hundert
Jahre her, daß man es überhaupt für der Mühe werth hält, nach Grund¬
sätzen sür die Erziehung des heranwachsenden Geschlechtes zu suchen! Ist es
doch z. B. eine völlig moderne und eben deshalb noch keineswegs in
Fleisch und Blut übergegangene, noch weniger aber consequent erfüllte
Forderung, daß die Volksschule nicht eine einseitige Verstandesabrichtungs-,
sondern eine harmonische Bildungsanstalt sür alle Kräfte des Menschen sein
müsse! Schwanken doch die Meinungen der Berufenen über die Realisirung
dieser Forderung auch in der Pädagogik des männlichen Geschlechts! Oder
wüßten wir etwa nicht, daß z. B. die Vorkämpfer frühzeitig beginnender Be¬
rufsbildung den Vertretern der die zufällige spätere Berufswahl außer Acht
lassenden allgemein menschlichen Erziehung schroff und unversöhnt gegen¬
überstehen?

Ich neige mich zu der Annahme, daß in der Methode der weiblichen
Volkserziehung eher zu viel, als zu wenig, eher zu früh, als zu spät, an den
künftigen Beruf gedacht, und daß dieser künftige Beruf nur zu häusig ledig¬
lich im Ehestandsberufe gesucht wird. Täusche ich mich nicht, so ist die Ele-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/138>, abgerufen am 24.07.2024.