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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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charakteristisch für Monarchien; durch dieselbe würden die wenigen Kapita¬
listen die Meister des zahlenden Volks u, s. w. Solche Theorien müssen
besonderen Anklang im Westen finden, der wenig Obligationen besitzt: sie
waren das Steckenpferd des demokratischen Candidaten Pendleton auf seinen
Wahlreisen und werden jetzt vom Präsidenten offen befürwortet. Die republi-
canische Majorität ist zwar noch dagegen, aber Majoritäten sind bekanntlich
in Demokratien sehr schwankend; es ist schon fraglich, ob die Republicaner
in der Mehrheit geblieben wären, wenn jetzt eine vollständige Erneuerung
des Hauses statt der halbschichtigen stattgefunden hätte, und ist erst das De¬
ficit eine Wirklichkeit, so kann die Strömung rasch unwiderstehlich werden.
Was eine gesunde Finanzpolitik erheischt, ist leicht zu sagen. Daß ein großes
Land von unermeßlichen Hilfsquellen wie die Bereinigten Staaten mehr als
8°/" Zinsen für seine Staatsschuld bezahlt, ist eine anomale Thatsache, die
nur durch den Verdacht der Repudiation zu erklären ist; die englische Geschäfts¬
welt namentlich hat den amerikanischen Staatspapieren ein hartnäckiges
Mißtrauen entgegengebracht: der Chef eines der größten Häuser der City
antwortete auf unsere Frage nach dem Grunde, daß er nie mit einer Regie-
rung Geschäfte machen würde, deren ganzer Bestand auf dem allgemeinen
Stimmrecht beruhe, wie es in Amerika der Fall sei. Mit Resolutionen,
welche wie die oben erwähnte Hinterthüren offen lassen, wird man das Ver¬
trauen nicht herstellen; dazu bedarf es eines förmlichen und gänzlich unzwei¬
deutigen Beschlusses aller Factoren der Gesetzgebung, daß das Capital der
Obligationen ebensowohl in Gold rückzahlbar ist wie die Zinsen. Läge ein
derartiger Beschluß vor, so würde es der Regierung ein Leichtes sein so viel
Geld zu finden, um ihren Gläubigern die Wahl zu stellen zwischen Rückzah¬
lung des Capitals oder Herabsetzung der Zinsen von 6 aufs^: bei weitem
die Meisten würden sich zu letzterem verstehen (wobei sie nach dem Ankaufs-
curse noch immer ca. 7<>/g machten), wenn der neue Bond die ausdrückliche
Verpflichtung der Rückzahlung in Gold enthielte. Hand in Hand damit
müßte der Bruch mit dem unsinnigen Schutzzollsystem gehen, dessen Jnpro-
ductivität jetzt offen zu Tage liegt. Wenn in einem an sich reichen Lande
plötzlich hohe Zölle eingeführt werden, so geben sie anfangs auch hohen Er¬
trag, weil die Consumenten sich nicht die betreffenden Artikel versagen mögen.
Aber abgesehen von der financiellen Seite wirkt die Erhöhung auch als
Schutzzoll für die inländische Fabrikation, welche sich treibhausartig entwickelt,
wo die ausländische Concurrenz so erschwert wird. So ist es auch in Amerika
gegangen: der Osten ist rasch ein FabrMand geworden und in dem Maße
hat die Einfuhr fremder Artikel abgenommen, ist die Einnahme aus Zöllen
gesunken. Soll sie sich* wieder heben, so muß Amerika dem Vorbilde Sir
Robert Peel's folgen, welcher zum Bruch mit dem Schutzzollsystem geführt


charakteristisch für Monarchien; durch dieselbe würden die wenigen Kapita¬
listen die Meister des zahlenden Volks u, s. w. Solche Theorien müssen
besonderen Anklang im Westen finden, der wenig Obligationen besitzt: sie
waren das Steckenpferd des demokratischen Candidaten Pendleton auf seinen
Wahlreisen und werden jetzt vom Präsidenten offen befürwortet. Die republi-
canische Majorität ist zwar noch dagegen, aber Majoritäten sind bekanntlich
in Demokratien sehr schwankend; es ist schon fraglich, ob die Republicaner
in der Mehrheit geblieben wären, wenn jetzt eine vollständige Erneuerung
des Hauses statt der halbschichtigen stattgefunden hätte, und ist erst das De¬
ficit eine Wirklichkeit, so kann die Strömung rasch unwiderstehlich werden.
Was eine gesunde Finanzpolitik erheischt, ist leicht zu sagen. Daß ein großes
Land von unermeßlichen Hilfsquellen wie die Bereinigten Staaten mehr als
8°/« Zinsen für seine Staatsschuld bezahlt, ist eine anomale Thatsache, die
nur durch den Verdacht der Repudiation zu erklären ist; die englische Geschäfts¬
welt namentlich hat den amerikanischen Staatspapieren ein hartnäckiges
Mißtrauen entgegengebracht: der Chef eines der größten Häuser der City
antwortete auf unsere Frage nach dem Grunde, daß er nie mit einer Regie-
rung Geschäfte machen würde, deren ganzer Bestand auf dem allgemeinen
Stimmrecht beruhe, wie es in Amerika der Fall sei. Mit Resolutionen,
welche wie die oben erwähnte Hinterthüren offen lassen, wird man das Ver¬
trauen nicht herstellen; dazu bedarf es eines förmlichen und gänzlich unzwei¬
deutigen Beschlusses aller Factoren der Gesetzgebung, daß das Capital der
Obligationen ebensowohl in Gold rückzahlbar ist wie die Zinsen. Läge ein
derartiger Beschluß vor, so würde es der Regierung ein Leichtes sein so viel
Geld zu finden, um ihren Gläubigern die Wahl zu stellen zwischen Rückzah¬
lung des Capitals oder Herabsetzung der Zinsen von 6 aufs^: bei weitem
die Meisten würden sich zu letzterem verstehen (wobei sie nach dem Ankaufs-
curse noch immer ca. 7<>/g machten), wenn der neue Bond die ausdrückliche
Verpflichtung der Rückzahlung in Gold enthielte. Hand in Hand damit
müßte der Bruch mit dem unsinnigen Schutzzollsystem gehen, dessen Jnpro-
ductivität jetzt offen zu Tage liegt. Wenn in einem an sich reichen Lande
plötzlich hohe Zölle eingeführt werden, so geben sie anfangs auch hohen Er¬
trag, weil die Consumenten sich nicht die betreffenden Artikel versagen mögen.
Aber abgesehen von der financiellen Seite wirkt die Erhöhung auch als
Schutzzoll für die inländische Fabrikation, welche sich treibhausartig entwickelt,
wo die ausländische Concurrenz so erschwert wird. So ist es auch in Amerika
gegangen: der Osten ist rasch ein FabrMand geworden und in dem Maße
hat die Einfuhr fremder Artikel abgenommen, ist die Einnahme aus Zöllen
gesunken. Soll sie sich* wieder heben, so muß Amerika dem Vorbilde Sir
Robert Peel's folgen, welcher zum Bruch mit dem Schutzzollsystem geführt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/81>, abgerufen am 28.09.2024.