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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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und der Wahrung ihrer Stellung -- gerade für die Aufhebung einer Ab¬
gabe, welche in jedem Bauer den Glauben erwecken kann, er sei der Brod-
Herr des Lehrers und könne ihn so behandeln, wie die Hauslehrer und Gou¬
vernanten wohl zuweilen in vornehmen Häusern behandelt werden, nämlich
nicht als Staats bien er, sondern, um die Terminologie der allgemeinen
Gerichtsordnung -- freilich in anderer Bedeutung -- zu gebrauchen, als
"Civil-Bedienten."

In der That können aber die sogenannten praktischen Momente
nicht den Ausschlag geben bei der Entscheidung dieser Frage und muß man
etwas höher greifen, um die Zulässigkeit der Schulgeldsforderung zu wür¬
digen. Wenn die Motive des Gesetzentwurfs diese höhere Bedeutung und
liefere Begründung in der aus dem sittlichen Bewußtsein der Nation geholten
Wahrheit erblicken. daß es in erster Linie nicht die Pflicht des Staats und der
Commune, sondern die Pflicht der Eltern sei, für die leibliche und geistige Ausbis¬
dung der Kinder zu sorgen, und daß die weiteren Kreise des Staats und der
Gemeinde erst dann einzutreten hätten, wenn und insoweit dem nächsten
Kreise der Familie die Kraft dazu gebreche, so ist dies ein Argument, welches
zu viel -- und darum Nichts beweist. -- Denn dann wäre es eine eben so
nutzlose Verschwendung von öffentlichen Geldern als ein ungerechtfertigtes
Eingreifen in Privatrechts-Verhältnisse, wenn der Staat oder die Gemeinde
Schulen baut und Lehrer anstellt; -- nicht "Trennung der Schule von der
Kirche", sondern "Trennung der Schule vom Staat" oder noch pathetischer:
"Freie Schule im freien Staat" würde dann die Parole lauten, und nicht
blos die Bestimmung wegen der unentgeltlichen Ertheilung des Bolksunter-
richts, sondern die ganzen Art. 21--28 der Verfassung müßten aufgehoben
werden. -- Allerdings hat in dieser privatrechtlichen Auffassung des Volks¬
unterrichts das Schulgeld seine historische Entstehung, und so lange
die Schule nur eine Zweiganstalt der Kirche, oder gar das Amt des Volks¬
schullehrers nur die Nebenbeschäftigung des Dorfschneiders oder die letzte
Erwerbsquelle eines abgedankter Unterofficiers war und sich der Staat
nicht darum kümmerte, ob und wie der Unterricht ertheilt wurde, waren
auch die Schulgelder oder die die Stelle derselben vertretenden Würste,
Schinken und Eier eine "eigenwüchsige und von dem Rechtsbewußtsein des
Volks getragene Einrichtung". Allein sobald sich die Erkenntniß Bahn
brach, daß der Staat sowohl vom politischen als socialen Standpunkte aus
Wesentlich dabei interessirt ist, daß jeder seiner Bürger sich möglichst gründ¬
liche Bildung und jedenfalls wenigstens die gewöhnlichen Elementarkennt¬
nisse aneigne, daß der Staat darum einerseits die Verpflichtung, für ein
genügendes Volkssch ^x^r! zu sorgen, andererseits die Berechtigung habe,
die Benutzung diese Schulanstalten zu erzwingen, wurde diesem Rechts-


Grenzbotm I. 1869. 9

und der Wahrung ihrer Stellung — gerade für die Aufhebung einer Ab¬
gabe, welche in jedem Bauer den Glauben erwecken kann, er sei der Brod-
Herr des Lehrers und könne ihn so behandeln, wie die Hauslehrer und Gou¬
vernanten wohl zuweilen in vornehmen Häusern behandelt werden, nämlich
nicht als Staats bien er, sondern, um die Terminologie der allgemeinen
Gerichtsordnung — freilich in anderer Bedeutung — zu gebrauchen, als
„Civil-Bedienten."

In der That können aber die sogenannten praktischen Momente
nicht den Ausschlag geben bei der Entscheidung dieser Frage und muß man
etwas höher greifen, um die Zulässigkeit der Schulgeldsforderung zu wür¬
digen. Wenn die Motive des Gesetzentwurfs diese höhere Bedeutung und
liefere Begründung in der aus dem sittlichen Bewußtsein der Nation geholten
Wahrheit erblicken. daß es in erster Linie nicht die Pflicht des Staats und der
Commune, sondern die Pflicht der Eltern sei, für die leibliche und geistige Ausbis¬
dung der Kinder zu sorgen, und daß die weiteren Kreise des Staats und der
Gemeinde erst dann einzutreten hätten, wenn und insoweit dem nächsten
Kreise der Familie die Kraft dazu gebreche, so ist dies ein Argument, welches
zu viel — und darum Nichts beweist. — Denn dann wäre es eine eben so
nutzlose Verschwendung von öffentlichen Geldern als ein ungerechtfertigtes
Eingreifen in Privatrechts-Verhältnisse, wenn der Staat oder die Gemeinde
Schulen baut und Lehrer anstellt; — nicht „Trennung der Schule von der
Kirche", sondern „Trennung der Schule vom Staat" oder noch pathetischer:
„Freie Schule im freien Staat" würde dann die Parole lauten, und nicht
blos die Bestimmung wegen der unentgeltlichen Ertheilung des Bolksunter-
richts, sondern die ganzen Art. 21—28 der Verfassung müßten aufgehoben
werden. — Allerdings hat in dieser privatrechtlichen Auffassung des Volks¬
unterrichts das Schulgeld seine historische Entstehung, und so lange
die Schule nur eine Zweiganstalt der Kirche, oder gar das Amt des Volks¬
schullehrers nur die Nebenbeschäftigung des Dorfschneiders oder die letzte
Erwerbsquelle eines abgedankter Unterofficiers war und sich der Staat
nicht darum kümmerte, ob und wie der Unterricht ertheilt wurde, waren
auch die Schulgelder oder die die Stelle derselben vertretenden Würste,
Schinken und Eier eine „eigenwüchsige und von dem Rechtsbewußtsein des
Volks getragene Einrichtung". Allein sobald sich die Erkenntniß Bahn
brach, daß der Staat sowohl vom politischen als socialen Standpunkte aus
Wesentlich dabei interessirt ist, daß jeder seiner Bürger sich möglichst gründ¬
liche Bildung und jedenfalls wenigstens die gewöhnlichen Elementarkennt¬
nisse aneigne, daß der Staat darum einerseits die Verpflichtung, für ein
genügendes Volkssch ^x^r! zu sorgen, andererseits die Berechtigung habe,
die Benutzung diese Schulanstalten zu erzwingen, wurde diesem Rechts-


Grenzbotm I. 1869. 9
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[0076] und der Wahrung ihrer Stellung — gerade für die Aufhebung einer Ab¬ gabe, welche in jedem Bauer den Glauben erwecken kann, er sei der Brod- Herr des Lehrers und könne ihn so behandeln, wie die Hauslehrer und Gou¬ vernanten wohl zuweilen in vornehmen Häusern behandelt werden, nämlich nicht als Staats bien er, sondern, um die Terminologie der allgemeinen Gerichtsordnung — freilich in anderer Bedeutung — zu gebrauchen, als „Civil-Bedienten." In der That können aber die sogenannten praktischen Momente nicht den Ausschlag geben bei der Entscheidung dieser Frage und muß man etwas höher greifen, um die Zulässigkeit der Schulgeldsforderung zu wür¬ digen. Wenn die Motive des Gesetzentwurfs diese höhere Bedeutung und liefere Begründung in der aus dem sittlichen Bewußtsein der Nation geholten Wahrheit erblicken. daß es in erster Linie nicht die Pflicht des Staats und der Commune, sondern die Pflicht der Eltern sei, für die leibliche und geistige Ausbis¬ dung der Kinder zu sorgen, und daß die weiteren Kreise des Staats und der Gemeinde erst dann einzutreten hätten, wenn und insoweit dem nächsten Kreise der Familie die Kraft dazu gebreche, so ist dies ein Argument, welches zu viel — und darum Nichts beweist. — Denn dann wäre es eine eben so nutzlose Verschwendung von öffentlichen Geldern als ein ungerechtfertigtes Eingreifen in Privatrechts-Verhältnisse, wenn der Staat oder die Gemeinde Schulen baut und Lehrer anstellt; — nicht „Trennung der Schule von der Kirche", sondern „Trennung der Schule vom Staat" oder noch pathetischer: „Freie Schule im freien Staat" würde dann die Parole lauten, und nicht blos die Bestimmung wegen der unentgeltlichen Ertheilung des Bolksunter- richts, sondern die ganzen Art. 21—28 der Verfassung müßten aufgehoben werden. — Allerdings hat in dieser privatrechtlichen Auffassung des Volks¬ unterrichts das Schulgeld seine historische Entstehung, und so lange die Schule nur eine Zweiganstalt der Kirche, oder gar das Amt des Volks¬ schullehrers nur die Nebenbeschäftigung des Dorfschneiders oder die letzte Erwerbsquelle eines abgedankter Unterofficiers war und sich der Staat nicht darum kümmerte, ob und wie der Unterricht ertheilt wurde, waren auch die Schulgelder oder die die Stelle derselben vertretenden Würste, Schinken und Eier eine „eigenwüchsige und von dem Rechtsbewußtsein des Volks getragene Einrichtung". Allein sobald sich die Erkenntniß Bahn brach, daß der Staat sowohl vom politischen als socialen Standpunkte aus Wesentlich dabei interessirt ist, daß jeder seiner Bürger sich möglichst gründ¬ liche Bildung und jedenfalls wenigstens die gewöhnlichen Elementarkennt¬ nisse aneigne, daß der Staat darum einerseits die Verpflichtung, für ein genügendes Volkssch ^x^r! zu sorgen, andererseits die Berechtigung habe, die Benutzung diese Schulanstalten zu erzwingen, wurde diesem Rechts- Grenzbotm I. 1869. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/76>, abgerufen am 28.09.2024.