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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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wunderer Napoleons, wandte er sich bald den legitimistischen Ansichten seines
Vaters zu und stellte sich schon 1813 an die Spitze der königlich Gesinnten
zu Rennes; er gehörte zu den Freiwilligen der hundert Tage, mit denen er
nach Gent ging. Aber er blieb dabei liberal und bot sein ganzes Talent
auf um die ultraroyalistische Reaction zu bekämpfen, die sich bald nach der
Restauration so verderblich erhob; speciell blieb er, obwohl streng katholisch,
doch stets ein entschiedener Gegner der ultramontanen Partei. Zunächst
widmete er sich der Vertheidigung der vor die HZairskammer geladenen Ge'
nerale: es gelang ihm nicht Ney vom Tode zu retten, dagegen verdankten
Cambronne und Jebelle ihr Leben wesentlich seiner Beredtsamkeit. "Es ist
eine Schmach für die Sieger" sagte er, "die Verwundeten auf dem Schlacht¬
feld aufsammeln zu lassen, um sie aufs Schaffst zu schleppen." Berryer war
der entschiedenste Gegner der Julirevolution. Er verkannte nicht die großen
Fehler der Royalisten und hatte persönlich wenig Anhänglichkeit an die Bour-
bonen, aber er war durchdrungen von dem ungeheuren Fehler eines neuen
Bruches mit der kaum begründeten Ordnung der Dinge; nur deshalb, aus
rein politischen Motiven, ward er der gefährlichste Widersacher Louis Philippe's.
Er trat jetzt in die Kammer ein und machte sich dort als Redner bald eben¬
so gefürchtet, wie er es in den Gerichtshöfen gewesen war. Nach seiner
ersten Rede bemerkte Guizot gegen Royer-Collard: Voild. un Zrsmä talent!
worauf Letzterer antwortete: L'est roe Misstmeö, Berryer vertheidigte nicht
die Regierung der Restauration und bekämpfte aufs äußerste im Kreise seiner
Partei den thörichten Aufstandsversuch der Herzogin von Berry in der Ver-
de'e, aber er griff die Julimonarchie aus ihrem eigenen Terrain an. Als
Casimir Pe'rier nach einem Jnsurrectionsversuch einen beredten Appell für die
Aufrechthaltung der Ordnung an die Kammer richtete, erwiederte Berryer:
"Ordnung? Sie selbst haben ihre'Grundlagen zerstört; das Princip, das Sie
aufgestellt haben, lastet aus Ihnen und Sie müssen seine Consequenzen tra¬
gen!" Der Pairskammer rief er bei der Vertheidigung Louis Napoleon's
zu: "Wer ein sittliches Gesetz verletzt hat, muß darauf gefaßt sein, daß es
auch gegen ihn gebrochen wird", und als Guizot ihm einmal heftig vorwarf,
daß er mit der revolutionären Demokratie Opposition gegen die Regierung
mache, rief Berryer ihm das schneidende Wort zu: II 7 a uns okose Ms
väiLULe <zue le e^nisiNL r6volutiolms.ir<z, e'est le e^ahme ac 1'irxoLtÄsio!

Berryer war wohl unbestritten der bedeutendste Redner der damaligen
Kammer, eine höchst angenehme äußere Erscheinung, ein edler ausdrucks¬
voller Kopf, ein herrliches Organ nahmen sofort für ihn ein; aber er war
auch Meister der oratorischen Kunst, er überließ sich keineswegs rhapsodischen
Eingebungen, sondern verfuhr bei aller Leidenschaft der Diction durchaus
methodisch und verstand vor Allem die Taktik der Opposition: er wußte zu


wunderer Napoleons, wandte er sich bald den legitimistischen Ansichten seines
Vaters zu und stellte sich schon 1813 an die Spitze der königlich Gesinnten
zu Rennes; er gehörte zu den Freiwilligen der hundert Tage, mit denen er
nach Gent ging. Aber er blieb dabei liberal und bot sein ganzes Talent
auf um die ultraroyalistische Reaction zu bekämpfen, die sich bald nach der
Restauration so verderblich erhob; speciell blieb er, obwohl streng katholisch,
doch stets ein entschiedener Gegner der ultramontanen Partei. Zunächst
widmete er sich der Vertheidigung der vor die HZairskammer geladenen Ge'
nerale: es gelang ihm nicht Ney vom Tode zu retten, dagegen verdankten
Cambronne und Jebelle ihr Leben wesentlich seiner Beredtsamkeit. „Es ist
eine Schmach für die Sieger" sagte er, „die Verwundeten auf dem Schlacht¬
feld aufsammeln zu lassen, um sie aufs Schaffst zu schleppen." Berryer war
der entschiedenste Gegner der Julirevolution. Er verkannte nicht die großen
Fehler der Royalisten und hatte persönlich wenig Anhänglichkeit an die Bour-
bonen, aber er war durchdrungen von dem ungeheuren Fehler eines neuen
Bruches mit der kaum begründeten Ordnung der Dinge; nur deshalb, aus
rein politischen Motiven, ward er der gefährlichste Widersacher Louis Philippe's.
Er trat jetzt in die Kammer ein und machte sich dort als Redner bald eben¬
so gefürchtet, wie er es in den Gerichtshöfen gewesen war. Nach seiner
ersten Rede bemerkte Guizot gegen Royer-Collard: Voild. un Zrsmä talent!
worauf Letzterer antwortete: L'est roe Misstmeö, Berryer vertheidigte nicht
die Regierung der Restauration und bekämpfte aufs äußerste im Kreise seiner
Partei den thörichten Aufstandsversuch der Herzogin von Berry in der Ver-
de'e, aber er griff die Julimonarchie aus ihrem eigenen Terrain an. Als
Casimir Pe'rier nach einem Jnsurrectionsversuch einen beredten Appell für die
Aufrechthaltung der Ordnung an die Kammer richtete, erwiederte Berryer:
„Ordnung? Sie selbst haben ihre'Grundlagen zerstört; das Princip, das Sie
aufgestellt haben, lastet aus Ihnen und Sie müssen seine Consequenzen tra¬
gen!" Der Pairskammer rief er bei der Vertheidigung Louis Napoleon's
zu: „Wer ein sittliches Gesetz verletzt hat, muß darauf gefaßt sein, daß es
auch gegen ihn gebrochen wird", und als Guizot ihm einmal heftig vorwarf,
daß er mit der revolutionären Demokratie Opposition gegen die Regierung
mache, rief Berryer ihm das schneidende Wort zu: II 7 a uns okose Ms
väiLULe <zue le e^nisiNL r6volutiolms.ir<z, e'est le e^ahme ac 1'irxoLtÄsio!

Berryer war wohl unbestritten der bedeutendste Redner der damaligen
Kammer, eine höchst angenehme äußere Erscheinung, ein edler ausdrucks¬
voller Kopf, ein herrliches Organ nahmen sofort für ihn ein; aber er war
auch Meister der oratorischen Kunst, er überließ sich keineswegs rhapsodischen
Eingebungen, sondern verfuhr bei aller Leidenschaft der Diction durchaus
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/48>, abgerufen am 28.09.2024.