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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Reichsstadt trennte, hatte der altonaer Auswuchs mit seiner Steuerfreiheit,
seiner giößeren religiösen Toleranz, seinen bequemeren wirthschaftlichen Zu¬
ständen für die Hamburger, wie für die Holsteiner sein Interesse. Zumal
unter den alten Verfassungszuständen Hamburgs lebte es sich offenbar ein
gut Theil behaglicher auch für den Hamburger Kaufherrn unter dem kaum
fühlbaren dänischen Scepter, und er baute sich gern nicht nur seine Villa
an dem holstein'schen Elbstrande, auch eine Zweigniederlassung in dem hol-
stein'schen Stadttheil. Rhederei, Schifffahrt, Groß- und Kleinhandel, Ge¬
werbetrieb und Fabrikation verzweigten sich mit hinüber. Gegenwärtig ist
d<?s ganze Verhältniß auf den Kopf gestellt, -- Hamburg und nicht mehr
Altona hat Luft und Sonne in dem norddeutschen Bundesstaat sich günstiger
zugetheilt erhalten. Das preußische Steuersystem, das seine Objekte vorzüg¬
lich im städtischen Gewerbebetrieb aufsucht, hat sich mit seinem vollen, unter¬
schiedslosen Druck auf Altona gelegt, und mit der endlosen Zahl der Steuer¬
gesetze sind ebenso zahlreiche polizeiliche Reglements altpreußischer Art mit
eingezogen. Dagegen hat sich keine der Hansestädte mit so geschicktem,
rückhaltsloser Sinn in den norddeutschen Bundesstaat hineinzufinden gewußt,
als gerade Hamburg, und die wirthschaftliche Freiheit der Bundesgesetze ohne
Vorbehalt in seine Mauern aufgenommen. Es sucht auf allen Gebieten eifrig
nachzuholen, was im Stadtregiment lange Zeit verabsäumt worden ist, weiß
die günstigen Dispositionen des berliner Cabinets in klügster Art für seine
kommerciellen Interessen schnell zu benutzen. Während Altona seiner Mi߬
stimmung gegen Preußen durch die Wahl eines der bekanntesten Oppositions¬
männer in den Reichstag, Dr. Schleiden, Ausdruck gibt, sind die Hamburger
Bevollmächtigten in und außerhalb des Bundesraths stetig geschäftig, den
guten Willen der Krone Preußen ihrer Stadt zuzuwenden. Was Wunder,
daß Altona die Wurzeln seiner künstlichen Existenz untergraben sieht, sich
überall stiefmütterlich behandelt und zurückgesetzt fühlt, und im Ganzen ein
recht hippokratisches Gesicht zeigt.

Es war recht gut, daß die ursprünglich sehr lebhast ausgesprochene Ab¬
sicht des Finanzministers v. d. Heydt, Altona in den Zollverein hineinzu¬
ziehen, an der Unmöglichkeit einer Grenzregulirung nach der Hamburger
Seite zu scheiterte. Altona hätte mit der Verwirklichung jenes Gedankens
eine seiner ganzen Lage nach doch nur sterile Zollvereinsindustrie erhalten,
und eine wirthschaftlich unnatürliche Sonderexistenz fortgefristet. Daß man
es statt dessen mit dem Freihafengebiet Hamburgs vereinigt ließ, ihm aber
als Zollaversum noch eine neue direkte Steuer zu den übrigen hinzu auf¬
bürdete, hieß das Schicksal beider Städte fester aneinander knüpfen, als man
wol eigentlich gewillt war. Seitdem hat sich allmälig in Altona unter dem
Druck der stetig fortschreitenden materiellen Verkümmerung von den Kauf-


Reichsstadt trennte, hatte der altonaer Auswuchs mit seiner Steuerfreiheit,
seiner giößeren religiösen Toleranz, seinen bequemeren wirthschaftlichen Zu¬
ständen für die Hamburger, wie für die Holsteiner sein Interesse. Zumal
unter den alten Verfassungszuständen Hamburgs lebte es sich offenbar ein
gut Theil behaglicher auch für den Hamburger Kaufherrn unter dem kaum
fühlbaren dänischen Scepter, und er baute sich gern nicht nur seine Villa
an dem holstein'schen Elbstrande, auch eine Zweigniederlassung in dem hol-
stein'schen Stadttheil. Rhederei, Schifffahrt, Groß- und Kleinhandel, Ge¬
werbetrieb und Fabrikation verzweigten sich mit hinüber. Gegenwärtig ist
d<?s ganze Verhältniß auf den Kopf gestellt, — Hamburg und nicht mehr
Altona hat Luft und Sonne in dem norddeutschen Bundesstaat sich günstiger
zugetheilt erhalten. Das preußische Steuersystem, das seine Objekte vorzüg¬
lich im städtischen Gewerbebetrieb aufsucht, hat sich mit seinem vollen, unter¬
schiedslosen Druck auf Altona gelegt, und mit der endlosen Zahl der Steuer¬
gesetze sind ebenso zahlreiche polizeiliche Reglements altpreußischer Art mit
eingezogen. Dagegen hat sich keine der Hansestädte mit so geschicktem,
rückhaltsloser Sinn in den norddeutschen Bundesstaat hineinzufinden gewußt,
als gerade Hamburg, und die wirthschaftliche Freiheit der Bundesgesetze ohne
Vorbehalt in seine Mauern aufgenommen. Es sucht auf allen Gebieten eifrig
nachzuholen, was im Stadtregiment lange Zeit verabsäumt worden ist, weiß
die günstigen Dispositionen des berliner Cabinets in klügster Art für seine
kommerciellen Interessen schnell zu benutzen. Während Altona seiner Mi߬
stimmung gegen Preußen durch die Wahl eines der bekanntesten Oppositions¬
männer in den Reichstag, Dr. Schleiden, Ausdruck gibt, sind die Hamburger
Bevollmächtigten in und außerhalb des Bundesraths stetig geschäftig, den
guten Willen der Krone Preußen ihrer Stadt zuzuwenden. Was Wunder,
daß Altona die Wurzeln seiner künstlichen Existenz untergraben sieht, sich
überall stiefmütterlich behandelt und zurückgesetzt fühlt, und im Ganzen ein
recht hippokratisches Gesicht zeigt.

Es war recht gut, daß die ursprünglich sehr lebhast ausgesprochene Ab¬
sicht des Finanzministers v. d. Heydt, Altona in den Zollverein hineinzu¬
ziehen, an der Unmöglichkeit einer Grenzregulirung nach der Hamburger
Seite zu scheiterte. Altona hätte mit der Verwirklichung jenes Gedankens
eine seiner ganzen Lage nach doch nur sterile Zollvereinsindustrie erhalten,
und eine wirthschaftlich unnatürliche Sonderexistenz fortgefristet. Daß man
es statt dessen mit dem Freihafengebiet Hamburgs vereinigt ließ, ihm aber
als Zollaversum noch eine neue direkte Steuer zu den übrigen hinzu auf¬
bürdete, hieß das Schicksal beider Städte fester aneinander knüpfen, als man
wol eigentlich gewillt war. Seitdem hat sich allmälig in Altona unter dem
Druck der stetig fortschreitenden materiellen Verkümmerung von den Kauf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/456>, abgerufen am 28.09.2024.