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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Räucheraltare, auf denen man bei der Ausgrabung noch Spuren von Rauch¬
opfern fand. An einer Säule findet sich eine weibliche Herme befestigt. Die
Längenrichtung dieses Venushofes nun geht mit der des Forums nicht
ganz parallel, schneidet sich vielmehr in einem spitzen Winkel; entweder schien
also das Forum oder der Tempelhof eine unregelmäßige Form annehmen
zu müssen, aber der Baumeister hat das Dilemma sehr glücklich aufgehoben.
An der Wand des Tempelhofes nämlich, welche ihn vom Forum trennt, hat
er breite Pfeiler, die nach hinten zu immer stärker werden, coulissenartig an¬
gebracht, sodaß das Auge des Eintretenden eine Wand zu sehen meint, die
mit der gegenüberliegenden parallel läuft; eine erlaubte und, so einfach sie
ist, wahrhaft künstlerische Täuschung. Derselbe Zweck ist mit anderen Mit¬
teln an einem anderen Gebäude erreicht, das dem Venustempel gegenüber
auf der anderen Seite des Forums liegt. Es ist dies das sogenannte Chal-
cidikum, offenbar nichts Anderes, als die Börse. Ein großer Hof für den
Sommer und ein umgebender breiter, bedeckter Gang für den Winter, hinten
ein durch das Bild einer Gottheit geschmücktes Tribunal für den Handels¬
richter. In dem durch dies Tribunal verdeckten Theile des umlaufenden
Ganges findet sich in einer bescheidenen Nische die Statue (jetzt in einer
Nachbildung) der Priesterin Eumachia, welche, wie die Inschrift sagt, den
ganzen Bau gestiftet hat. Die dankbaren Tuchwalker haben ihr die Bild¬
säule gesetzt. Auf der einen Seite der Nische stößt man auf eine Thür, die
ich nicht erwähnen würde, wenn sie nicht auf der anderen Seite, der Symme¬
trie wegen, ihr gemaltes Gegenbild hätte. Das ist nun, was der unbe¬
fangene Betrachter freilich nicht ahnen kann, das Entzücken aller Gelehrten;
es lehrt sie nämlich -- alles Holzwerk ist ja leider zu Grunde gegangen --
daß die Alten ihre Thüren mit Füllungen machten, wie wir. Meister Schrei¬
ner weiß freilich auch, daß man eine gut schließende Thür gar nicht anders
machen kann. Neben dem Chalcidikum aufwärts steht der Merkurtempel,
sehr zerstört; ihm folgt die Halle der Decurionen, die nach dem Forum zu
ganz offen ist, vielleicht aber noch geschlossen werden sollte, und das letzte
Gebäude dieser Reihe, dem Jupitertempel gegenüber, ist jene räthselhafte An¬
lage, die man den Augustustempel genannt hat. Wieder ein großer Hof,
rechts an der Wand mit eilf Abtheilungen für Boutiquen, in denen man
zahlreiche Münzen gefunden hat, die Hinterwand durch Quermauern in drei
Abtheilungen geschieden, deren mittelste wie die Cella eines Tempels aussieht.
Man fand in den beiden Seitennischen derselben die Bildsäulen des Drusus
und der Livia, der Gemahlin des August. Von derjenigen, welche die Haupt¬
nische eingenommen, war nur der rechte Arm mit dem Globus übrig geblie¬
ben, ein Stück, das, zusammengehalten mit den die Kapitale der Eingangs¬
fäulen zierenden Adlern, wol auf den Kaiser Augustus gedeutet werden


Räucheraltare, auf denen man bei der Ausgrabung noch Spuren von Rauch¬
opfern fand. An einer Säule findet sich eine weibliche Herme befestigt. Die
Längenrichtung dieses Venushofes nun geht mit der des Forums nicht
ganz parallel, schneidet sich vielmehr in einem spitzen Winkel; entweder schien
also das Forum oder der Tempelhof eine unregelmäßige Form annehmen
zu müssen, aber der Baumeister hat das Dilemma sehr glücklich aufgehoben.
An der Wand des Tempelhofes nämlich, welche ihn vom Forum trennt, hat
er breite Pfeiler, die nach hinten zu immer stärker werden, coulissenartig an¬
gebracht, sodaß das Auge des Eintretenden eine Wand zu sehen meint, die
mit der gegenüberliegenden parallel läuft; eine erlaubte und, so einfach sie
ist, wahrhaft künstlerische Täuschung. Derselbe Zweck ist mit anderen Mit¬
teln an einem anderen Gebäude erreicht, das dem Venustempel gegenüber
auf der anderen Seite des Forums liegt. Es ist dies das sogenannte Chal-
cidikum, offenbar nichts Anderes, als die Börse. Ein großer Hof für den
Sommer und ein umgebender breiter, bedeckter Gang für den Winter, hinten
ein durch das Bild einer Gottheit geschmücktes Tribunal für den Handels¬
richter. In dem durch dies Tribunal verdeckten Theile des umlaufenden
Ganges findet sich in einer bescheidenen Nische die Statue (jetzt in einer
Nachbildung) der Priesterin Eumachia, welche, wie die Inschrift sagt, den
ganzen Bau gestiftet hat. Die dankbaren Tuchwalker haben ihr die Bild¬
säule gesetzt. Auf der einen Seite der Nische stößt man auf eine Thür, die
ich nicht erwähnen würde, wenn sie nicht auf der anderen Seite, der Symme¬
trie wegen, ihr gemaltes Gegenbild hätte. Das ist nun, was der unbe¬
fangene Betrachter freilich nicht ahnen kann, das Entzücken aller Gelehrten;
es lehrt sie nämlich — alles Holzwerk ist ja leider zu Grunde gegangen —
daß die Alten ihre Thüren mit Füllungen machten, wie wir. Meister Schrei¬
ner weiß freilich auch, daß man eine gut schließende Thür gar nicht anders
machen kann. Neben dem Chalcidikum aufwärts steht der Merkurtempel,
sehr zerstört; ihm folgt die Halle der Decurionen, die nach dem Forum zu
ganz offen ist, vielleicht aber noch geschlossen werden sollte, und das letzte
Gebäude dieser Reihe, dem Jupitertempel gegenüber, ist jene räthselhafte An¬
lage, die man den Augustustempel genannt hat. Wieder ein großer Hof,
rechts an der Wand mit eilf Abtheilungen für Boutiquen, in denen man
zahlreiche Münzen gefunden hat, die Hinterwand durch Quermauern in drei
Abtheilungen geschieden, deren mittelste wie die Cella eines Tempels aussieht.
Man fand in den beiden Seitennischen derselben die Bildsäulen des Drusus
und der Livia, der Gemahlin des August. Von derjenigen, welche die Haupt¬
nische eingenommen, war nur der rechte Arm mit dem Globus übrig geblie¬
ben, ein Stück, das, zusammengehalten mit den die Kapitale der Eingangs¬
fäulen zierenden Adlern, wol auf den Kaiser Augustus gedeutet werden


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[0442] Räucheraltare, auf denen man bei der Ausgrabung noch Spuren von Rauch¬ opfern fand. An einer Säule findet sich eine weibliche Herme befestigt. Die Längenrichtung dieses Venushofes nun geht mit der des Forums nicht ganz parallel, schneidet sich vielmehr in einem spitzen Winkel; entweder schien also das Forum oder der Tempelhof eine unregelmäßige Form annehmen zu müssen, aber der Baumeister hat das Dilemma sehr glücklich aufgehoben. An der Wand des Tempelhofes nämlich, welche ihn vom Forum trennt, hat er breite Pfeiler, die nach hinten zu immer stärker werden, coulissenartig an¬ gebracht, sodaß das Auge des Eintretenden eine Wand zu sehen meint, die mit der gegenüberliegenden parallel läuft; eine erlaubte und, so einfach sie ist, wahrhaft künstlerische Täuschung. Derselbe Zweck ist mit anderen Mit¬ teln an einem anderen Gebäude erreicht, das dem Venustempel gegenüber auf der anderen Seite des Forums liegt. Es ist dies das sogenannte Chal- cidikum, offenbar nichts Anderes, als die Börse. Ein großer Hof für den Sommer und ein umgebender breiter, bedeckter Gang für den Winter, hinten ein durch das Bild einer Gottheit geschmücktes Tribunal für den Handels¬ richter. In dem durch dies Tribunal verdeckten Theile des umlaufenden Ganges findet sich in einer bescheidenen Nische die Statue (jetzt in einer Nachbildung) der Priesterin Eumachia, welche, wie die Inschrift sagt, den ganzen Bau gestiftet hat. Die dankbaren Tuchwalker haben ihr die Bild¬ säule gesetzt. Auf der einen Seite der Nische stößt man auf eine Thür, die ich nicht erwähnen würde, wenn sie nicht auf der anderen Seite, der Symme¬ trie wegen, ihr gemaltes Gegenbild hätte. Das ist nun, was der unbe¬ fangene Betrachter freilich nicht ahnen kann, das Entzücken aller Gelehrten; es lehrt sie nämlich — alles Holzwerk ist ja leider zu Grunde gegangen — daß die Alten ihre Thüren mit Füllungen machten, wie wir. Meister Schrei¬ ner weiß freilich auch, daß man eine gut schließende Thür gar nicht anders machen kann. Neben dem Chalcidikum aufwärts steht der Merkurtempel, sehr zerstört; ihm folgt die Halle der Decurionen, die nach dem Forum zu ganz offen ist, vielleicht aber noch geschlossen werden sollte, und das letzte Gebäude dieser Reihe, dem Jupitertempel gegenüber, ist jene räthselhafte An¬ lage, die man den Augustustempel genannt hat. Wieder ein großer Hof, rechts an der Wand mit eilf Abtheilungen für Boutiquen, in denen man zahlreiche Münzen gefunden hat, die Hinterwand durch Quermauern in drei Abtheilungen geschieden, deren mittelste wie die Cella eines Tempels aussieht. Man fand in den beiden Seitennischen derselben die Bildsäulen des Drusus und der Livia, der Gemahlin des August. Von derjenigen, welche die Haupt¬ nische eingenommen, war nur der rechte Arm mit dem Globus übrig geblie¬ ben, ein Stück, das, zusammengehalten mit den die Kapitale der Eingangs¬ fäulen zierenden Adlern, wol auf den Kaiser Augustus gedeutet werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/442>, abgerufen am 28.09.2024.