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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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herüber an das württembergische Hoflager zu Friedrichshafen, wo indessen
die Temperatur eine ziemlich frostige war, und nach kurzem Aufenthalt setzte
er seine Reise fort, mitten durch das württemberger Land nach seinem Stamm¬
schloß, wo er sich ohne Zweifel überzeugen wollte, daß die Besitznahme des¬
selben durch den württembergischen Grafen von Leutrum, den "Hospodar der
oberen Donaufürstenthümer" im Juli 1866 keinerlei nachtheilige Folgen zu¬
rückgelassen habe. Jedenfalls fand er dort die Kanonen noch alle wohlbe¬
halten vor, nach welchen die württembergische Besatzung vergeblich gefahndet
hatte, und welche in der Stunde, da die Württemberger sich beeilten den
Hohenzollern wieder zu verlassen, ihnen muntere Abschiedsgrüße nachdonnerten.

Der Weg führte den König über Geislingen. Kaum hatte die Bürger¬
schaft seine bevorstehende Ankunft vernommen, so beeiferte sie sich, dem nun¬
mehrigen Schutzherrn Deutschlands einen herzlichen Empfang zu bereiten.
Hier, wo von der rauhen Ebene der Alb mit einem Mal der Blick nach dem
Garten Schwabens überraschend sich aufthut, war dem König eine noch grö¬
ßere Ueberraschung zugedacht. In den Straßen der Stadt entwickelte sich ein
Schmuck von schwarz-weiß-rothen und schwarz-weißen Fahnen, wobei, um
jeden Schreck im Keime zu ersticken, gesagt sein muß, daß Schwarz-weiß die
altehrwürdigen Farben der Stadt Ulm, und folglich auch die angestammten
Farben Geislingens sind. Die ganze Bürgerschaft aber eilte fröhlich zum
Bahnhof. Nicht ohne hier eine herbe Enttäuschung zu erleben. Denn der
Zugang zum Bahnhofe war durch Barrieren verschlossen, und als man nach
dem Grund der ungewohnten Maßregel fragte, hieß es achselzuckend, es sei
auf hohen Befehl so geschehen. Sofort begaben sich einige angesehene Bür¬
ger auf das Telegraphenamt, und richteten an Herrn v. Varnbüler, den Mi¬
nister der Verkehrsanstalten nicht minder als der auswärtigen Angelegen¬
heiten, das Ersuchen, er möchte das Oeffnen der Barrieren anordnen, die
Bürgerschaft von Geislingen sei versammelt, um den durchfahrenden König
von Preußen zu begrüßen. Das Telegramm blieb ohne Antwort. Inzwischen
wurde das Andrängen der Menge immer ungeheurer, die Beschwichtigung
der Beamten immer unzulänglicher, und als der Bahnzug nun heranbrauste,
waren im Nu alle Barrieren verschwunden, und die Menge drängte sich hastig
nach dem königlichen Wagen. Dieses lebhafte Andrängen einer schwäbischen
Volksmenge scheint nun im ersten Augenblick einen gänzlich unbeabsichtigten
Eindruck auf die erlauchten Insassen des Zugs gemacht zu haben. An der
Umgebung des Königs sah man besorgte Mienen, es wurden Befehle ertheilt,
den Zug so rasch als möglich weiter zu erpediren, und als ein Herr aus der
Menge vortrat, um mit einigen Worten den König zu begrüßen, zog sich
dieser vom Fenster zurück. Als freilich der Redner in völlig unmißver¬
ständlicher Weise den Gefühlen der Geislinger Bürgerschaft Ausdruck gab.
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herüber an das württembergische Hoflager zu Friedrichshafen, wo indessen
die Temperatur eine ziemlich frostige war, und nach kurzem Aufenthalt setzte
er seine Reise fort, mitten durch das württemberger Land nach seinem Stamm¬
schloß, wo er sich ohne Zweifel überzeugen wollte, daß die Besitznahme des¬
selben durch den württembergischen Grafen von Leutrum, den „Hospodar der
oberen Donaufürstenthümer" im Juli 1866 keinerlei nachtheilige Folgen zu¬
rückgelassen habe. Jedenfalls fand er dort die Kanonen noch alle wohlbe¬
halten vor, nach welchen die württembergische Besatzung vergeblich gefahndet
hatte, und welche in der Stunde, da die Württemberger sich beeilten den
Hohenzollern wieder zu verlassen, ihnen muntere Abschiedsgrüße nachdonnerten.

Der Weg führte den König über Geislingen. Kaum hatte die Bürger¬
schaft seine bevorstehende Ankunft vernommen, so beeiferte sie sich, dem nun¬
mehrigen Schutzherrn Deutschlands einen herzlichen Empfang zu bereiten.
Hier, wo von der rauhen Ebene der Alb mit einem Mal der Blick nach dem
Garten Schwabens überraschend sich aufthut, war dem König eine noch grö¬
ßere Ueberraschung zugedacht. In den Straßen der Stadt entwickelte sich ein
Schmuck von schwarz-weiß-rothen und schwarz-weißen Fahnen, wobei, um
jeden Schreck im Keime zu ersticken, gesagt sein muß, daß Schwarz-weiß die
altehrwürdigen Farben der Stadt Ulm, und folglich auch die angestammten
Farben Geislingens sind. Die ganze Bürgerschaft aber eilte fröhlich zum
Bahnhof. Nicht ohne hier eine herbe Enttäuschung zu erleben. Denn der
Zugang zum Bahnhofe war durch Barrieren verschlossen, und als man nach
dem Grund der ungewohnten Maßregel fragte, hieß es achselzuckend, es sei
auf hohen Befehl so geschehen. Sofort begaben sich einige angesehene Bür¬
ger auf das Telegraphenamt, und richteten an Herrn v. Varnbüler, den Mi¬
nister der Verkehrsanstalten nicht minder als der auswärtigen Angelegen¬
heiten, das Ersuchen, er möchte das Oeffnen der Barrieren anordnen, die
Bürgerschaft von Geislingen sei versammelt, um den durchfahrenden König
von Preußen zu begrüßen. Das Telegramm blieb ohne Antwort. Inzwischen
wurde das Andrängen der Menge immer ungeheurer, die Beschwichtigung
der Beamten immer unzulänglicher, und als der Bahnzug nun heranbrauste,
waren im Nu alle Barrieren verschwunden, und die Menge drängte sich hastig
nach dem königlichen Wagen. Dieses lebhafte Andrängen einer schwäbischen
Volksmenge scheint nun im ersten Augenblick einen gänzlich unbeabsichtigten
Eindruck auf die erlauchten Insassen des Zugs gemacht zu haben. An der
Umgebung des Königs sah man besorgte Mienen, es wurden Befehle ertheilt,
den Zug so rasch als möglich weiter zu erpediren, und als ein Herr aus der
Menge vortrat, um mit einigen Worten den König zu begrüßen, zog sich
dieser vom Fenster zurück. Als freilich der Redner in völlig unmißver¬
ständlicher Weise den Gefühlen der Geislinger Bürgerschaft Ausdruck gab.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/431>, abgerufen am 20.10.2024.