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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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der Krankheit, aber nicht der Gesundheit halten. Der damals schrankenlos
wuchernde Particularismus hat auch auf diesem Gebiete, wie auf jedem anderen
nur Unheil gestiftet, indem er die natürlichen Organe verkümmern ließ, und
Abscesse an ihrer Stelle künstlich groß zog. Aber wie anderwärts hat der
im innersten Kern doch noch gesunde Zug der deutschen Entwickelung auch
hier sich Hilfe geschafft. Mit den Particularstaaten des heiligen römischen
Reiches sind auch die "Landesuniversitäten" und Universitätchen ver¬
schwunden. Nur ist es dabei etwas sehr in Bausch und Bogen herge¬
gangen, wie immer, wenn nicht der vernünftige Entschluß und die be¬
sonnene Thatkraft der Menschen, sondern die elementaren Mächte der Ge¬
schichte selbst die Heilung absurder Zustände in die Hand nehmen. Vieles ist
gewaltsam zerstört worden, was der Erhaltung werth war, Vieles eigensinnig
durch die Gunst des Zufalls gerettet, was dem Untergang hätte verfallen
sollen; doch im Großen und Ganzen ist ein vorläufig richtiges Resultat er¬
zielt. Die Zahl der Universitäten ist gegen hundert Jahre früher um mehr
als die Hälfte gesunken, und die Existenz der noch vorhandenen ist ein Gegen¬
stand der praktischen Discussion geworden, da Jedermann, sobald er über den
Gang und die Ziele der bisherigen Universitätsgeschichte zu denken beginnt,
sich sagen muß, daß mit dem zufälligen Status quo von 1869 die Sache nicht
abgeschlossen sein kann, so wenig wie mit dem norddeutschen Bund die po¬
litische Umformung der ganzen Nation.

Darum ist der engste Zusammenhang zwischen diesem weiteren Gebiete
und jenem engeren immer wieder zu betonen. Jeder Schritt vorwärts nach
unserem politischen Ziel ist indirekt zugleich ein solcher für die Reform der
Universitäten. Daß die letzteren aber auch direkt davon Nutzen ziehen, ist zu¬
meist ihre eigene Angelegenheit. In dieser Hinsicht bleibt noch Viel zu thun.
Der unzerreißbare Zusammenhang zwischen den beiden Sphären ist gerade
da, wo Bildung und eigenes Interesse am Meisten diese Erkenntniß verbrei¬
ten sollten, viel zu wenig erkannt, und noch weniger hat man bis jetzt An¬
stalt gemacht, die theoretischen Sätze, die sich daraus abstrahiren lassen, in
die Praxis umzusetzen. So kann es leicht geschehen, daß unsere heutigen
Universitäten gerade so als willen- und einflußlose Objekte einer von außen
an sie herantretenden Katastrophe zur Beute werden, wie es bei den großen
politischen Veränderungen zur Zeit des Einsturzes der alten Reichsverfassung
der Fall war.




der Krankheit, aber nicht der Gesundheit halten. Der damals schrankenlos
wuchernde Particularismus hat auch auf diesem Gebiete, wie auf jedem anderen
nur Unheil gestiftet, indem er die natürlichen Organe verkümmern ließ, und
Abscesse an ihrer Stelle künstlich groß zog. Aber wie anderwärts hat der
im innersten Kern doch noch gesunde Zug der deutschen Entwickelung auch
hier sich Hilfe geschafft. Mit den Particularstaaten des heiligen römischen
Reiches sind auch die „Landesuniversitäten" und Universitätchen ver¬
schwunden. Nur ist es dabei etwas sehr in Bausch und Bogen herge¬
gangen, wie immer, wenn nicht der vernünftige Entschluß und die be¬
sonnene Thatkraft der Menschen, sondern die elementaren Mächte der Ge¬
schichte selbst die Heilung absurder Zustände in die Hand nehmen. Vieles ist
gewaltsam zerstört worden, was der Erhaltung werth war, Vieles eigensinnig
durch die Gunst des Zufalls gerettet, was dem Untergang hätte verfallen
sollen; doch im Großen und Ganzen ist ein vorläufig richtiges Resultat er¬
zielt. Die Zahl der Universitäten ist gegen hundert Jahre früher um mehr
als die Hälfte gesunken, und die Existenz der noch vorhandenen ist ein Gegen¬
stand der praktischen Discussion geworden, da Jedermann, sobald er über den
Gang und die Ziele der bisherigen Universitätsgeschichte zu denken beginnt,
sich sagen muß, daß mit dem zufälligen Status quo von 1869 die Sache nicht
abgeschlossen sein kann, so wenig wie mit dem norddeutschen Bund die po¬
litische Umformung der ganzen Nation.

Darum ist der engste Zusammenhang zwischen diesem weiteren Gebiete
und jenem engeren immer wieder zu betonen. Jeder Schritt vorwärts nach
unserem politischen Ziel ist indirekt zugleich ein solcher für die Reform der
Universitäten. Daß die letzteren aber auch direkt davon Nutzen ziehen, ist zu¬
meist ihre eigene Angelegenheit. In dieser Hinsicht bleibt noch Viel zu thun.
Der unzerreißbare Zusammenhang zwischen den beiden Sphären ist gerade
da, wo Bildung und eigenes Interesse am Meisten diese Erkenntniß verbrei¬
ten sollten, viel zu wenig erkannt, und noch weniger hat man bis jetzt An¬
stalt gemacht, die theoretischen Sätze, die sich daraus abstrahiren lassen, in
die Praxis umzusetzen. So kann es leicht geschehen, daß unsere heutigen
Universitäten gerade so als willen- und einflußlose Objekte einer von außen
an sie herantretenden Katastrophe zur Beute werden, wie es bei den großen
politischen Veränderungen zur Zeit des Einsturzes der alten Reichsverfassung
der Fall war.




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[0428] der Krankheit, aber nicht der Gesundheit halten. Der damals schrankenlos wuchernde Particularismus hat auch auf diesem Gebiete, wie auf jedem anderen nur Unheil gestiftet, indem er die natürlichen Organe verkümmern ließ, und Abscesse an ihrer Stelle künstlich groß zog. Aber wie anderwärts hat der im innersten Kern doch noch gesunde Zug der deutschen Entwickelung auch hier sich Hilfe geschafft. Mit den Particularstaaten des heiligen römischen Reiches sind auch die „Landesuniversitäten" und Universitätchen ver¬ schwunden. Nur ist es dabei etwas sehr in Bausch und Bogen herge¬ gangen, wie immer, wenn nicht der vernünftige Entschluß und die be¬ sonnene Thatkraft der Menschen, sondern die elementaren Mächte der Ge¬ schichte selbst die Heilung absurder Zustände in die Hand nehmen. Vieles ist gewaltsam zerstört worden, was der Erhaltung werth war, Vieles eigensinnig durch die Gunst des Zufalls gerettet, was dem Untergang hätte verfallen sollen; doch im Großen und Ganzen ist ein vorläufig richtiges Resultat er¬ zielt. Die Zahl der Universitäten ist gegen hundert Jahre früher um mehr als die Hälfte gesunken, und die Existenz der noch vorhandenen ist ein Gegen¬ stand der praktischen Discussion geworden, da Jedermann, sobald er über den Gang und die Ziele der bisherigen Universitätsgeschichte zu denken beginnt, sich sagen muß, daß mit dem zufälligen Status quo von 1869 die Sache nicht abgeschlossen sein kann, so wenig wie mit dem norddeutschen Bund die po¬ litische Umformung der ganzen Nation. Darum ist der engste Zusammenhang zwischen diesem weiteren Gebiete und jenem engeren immer wieder zu betonen. Jeder Schritt vorwärts nach unserem politischen Ziel ist indirekt zugleich ein solcher für die Reform der Universitäten. Daß die letzteren aber auch direkt davon Nutzen ziehen, ist zu¬ meist ihre eigene Angelegenheit. In dieser Hinsicht bleibt noch Viel zu thun. Der unzerreißbare Zusammenhang zwischen den beiden Sphären ist gerade da, wo Bildung und eigenes Interesse am Meisten diese Erkenntniß verbrei¬ ten sollten, viel zu wenig erkannt, und noch weniger hat man bis jetzt An¬ stalt gemacht, die theoretischen Sätze, die sich daraus abstrahiren lassen, in die Praxis umzusetzen. So kann es leicht geschehen, daß unsere heutigen Universitäten gerade so als willen- und einflußlose Objekte einer von außen an sie herantretenden Katastrophe zur Beute werden, wie es bei den großen politischen Veränderungen zur Zeit des Einsturzes der alten Reichsverfassung der Fall war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/428>, abgerufen am 20.10.2024.