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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Henry Winter Davis von Maryland war der Cicero, Jefferson Davis
der Catilina der nordamerikanischen Republik.

Die öffentliche Wirksamkeit dieses Mannes erstreckt sich über einen Zeit¬
raum von kaum 10 Jahren, und in dieser kurzen Zeit erlangte er eine Be¬
deutung, wie sie neben ihm nur wenigen anderen Politikern seiner Zeit zu
Theil geworden.

Davis Lebensgeschichte ist einfach. Am 26. August 1817 in einer pro¬
testantischen Pfarrerfamilie zu Annapolis im Staate Maryland geboren, er¬
hielt er seine erste Schulbildung unter Leitung seines Vaters, welcher damals
Rector am Se. Johns College war; später wurde er Zögling des Kenyon-
College im Staate Ohio, studirte dann auf der Universität von Virginia die
Rechte, worauf er sich in dem virginischen Städtchen Alexandria als Advokat
niederließ.

Bereits in den ersten Jahren seiner Ausbildung starb sein Vater, und
hinterließ ihm außer einigen Sclaven kein Vermögen. Der junge Davis
war deshalb ganz auf die Unterstützung einer auch nicht besonders wohl¬
habenden Tante angewiesen.

Der Verkauf seiner Neger hätte ihm leicht die Mittel gegeben, seine
Studien sorgenfrei zu vollenden; man machte ihm gute Anerbietungen, aber
er wies alle Anträge entschieden zurück. Da er nach den damaligen Gesetzen
nicht das Recht besaß, seinen Sclaven die Freiheit zu schenken, ließ er die¬
selben sich für ihre eigene Rechnung vermiethen, während er sich selbst küm¬
merlich als Hauslehrer durchbrachte.

In Alexandria scheint Davis als Advokat wenig- Glück gehabt zu haben,
dazu kam noch, daß er seine Stellung durch einige Zeitungsartikel, welche
die damals noch unantastbare Göttlichkeit der Sclaverei in Zweifel zogen,
unhaltbar machte. Nach dem Tode seiner ersten Gattin zog er im Jahre 1880
nach Baltimore, wo er bald eine gute Praxis als Rechtsanwalt erlangte und
sich einige Jahre später zum zweiten Male verheirathete.

Sein erstes öffentliches Auftreten fällt in das Jahr 1856. Er war nie-
mals Stadtrath, niemals Sraatsdeputirter oder Beamter gewesen, hatte keine
der niedrigen, in der Regel schmutzigen Stufen betreten, welche in Amerika
zu den höchsten Ehrenämtern führen, und wurde dennoch sogleich zum Con-
greßrepräsentanten erwählt. In dieser Stellung erwarb er sich durch Bered¬
samkeit, Gewandtheit und Schlagfertigkeit in der Debatte rasch eine so her¬
vorragende Stellung, daß er binnen Kurzem Mitglied der wichtigsten perma¬
nenten Comites des Repräsentantenhauses wurde. Er vertrat einen Distrikt
der Stadt Baltimore im 34., 35. und 36. und schließlich im 38. Congreß.

Doch erst die Krisis von 1861 machte Davis zu einem allgemein be¬
kannten Politiker. Das Repräsentantenhaus des 36. Congresses wählte sei-


Henry Winter Davis von Maryland war der Cicero, Jefferson Davis
der Catilina der nordamerikanischen Republik.

Die öffentliche Wirksamkeit dieses Mannes erstreckt sich über einen Zeit¬
raum von kaum 10 Jahren, und in dieser kurzen Zeit erlangte er eine Be¬
deutung, wie sie neben ihm nur wenigen anderen Politikern seiner Zeit zu
Theil geworden.

Davis Lebensgeschichte ist einfach. Am 26. August 1817 in einer pro¬
testantischen Pfarrerfamilie zu Annapolis im Staate Maryland geboren, er¬
hielt er seine erste Schulbildung unter Leitung seines Vaters, welcher damals
Rector am Se. Johns College war; später wurde er Zögling des Kenyon-
College im Staate Ohio, studirte dann auf der Universität von Virginia die
Rechte, worauf er sich in dem virginischen Städtchen Alexandria als Advokat
niederließ.

Bereits in den ersten Jahren seiner Ausbildung starb sein Vater, und
hinterließ ihm außer einigen Sclaven kein Vermögen. Der junge Davis
war deshalb ganz auf die Unterstützung einer auch nicht besonders wohl¬
habenden Tante angewiesen.

Der Verkauf seiner Neger hätte ihm leicht die Mittel gegeben, seine
Studien sorgenfrei zu vollenden; man machte ihm gute Anerbietungen, aber
er wies alle Anträge entschieden zurück. Da er nach den damaligen Gesetzen
nicht das Recht besaß, seinen Sclaven die Freiheit zu schenken, ließ er die¬
selben sich für ihre eigene Rechnung vermiethen, während er sich selbst küm¬
merlich als Hauslehrer durchbrachte.

In Alexandria scheint Davis als Advokat wenig- Glück gehabt zu haben,
dazu kam noch, daß er seine Stellung durch einige Zeitungsartikel, welche
die damals noch unantastbare Göttlichkeit der Sclaverei in Zweifel zogen,
unhaltbar machte. Nach dem Tode seiner ersten Gattin zog er im Jahre 1880
nach Baltimore, wo er bald eine gute Praxis als Rechtsanwalt erlangte und
sich einige Jahre später zum zweiten Male verheirathete.

Sein erstes öffentliches Auftreten fällt in das Jahr 1856. Er war nie-
mals Stadtrath, niemals Sraatsdeputirter oder Beamter gewesen, hatte keine
der niedrigen, in der Regel schmutzigen Stufen betreten, welche in Amerika
zu den höchsten Ehrenämtern führen, und wurde dennoch sogleich zum Con-
greßrepräsentanten erwählt. In dieser Stellung erwarb er sich durch Bered¬
samkeit, Gewandtheit und Schlagfertigkeit in der Debatte rasch eine so her¬
vorragende Stellung, daß er binnen Kurzem Mitglied der wichtigsten perma¬
nenten Comites des Repräsentantenhauses wurde. Er vertrat einen Distrikt
der Stadt Baltimore im 34., 35. und 36. und schließlich im 38. Congreß.

Doch erst die Krisis von 1861 machte Davis zu einem allgemein be¬
kannten Politiker. Das Repräsentantenhaus des 36. Congresses wählte sei-


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[0396] Henry Winter Davis von Maryland war der Cicero, Jefferson Davis der Catilina der nordamerikanischen Republik. Die öffentliche Wirksamkeit dieses Mannes erstreckt sich über einen Zeit¬ raum von kaum 10 Jahren, und in dieser kurzen Zeit erlangte er eine Be¬ deutung, wie sie neben ihm nur wenigen anderen Politikern seiner Zeit zu Theil geworden. Davis Lebensgeschichte ist einfach. Am 26. August 1817 in einer pro¬ testantischen Pfarrerfamilie zu Annapolis im Staate Maryland geboren, er¬ hielt er seine erste Schulbildung unter Leitung seines Vaters, welcher damals Rector am Se. Johns College war; später wurde er Zögling des Kenyon- College im Staate Ohio, studirte dann auf der Universität von Virginia die Rechte, worauf er sich in dem virginischen Städtchen Alexandria als Advokat niederließ. Bereits in den ersten Jahren seiner Ausbildung starb sein Vater, und hinterließ ihm außer einigen Sclaven kein Vermögen. Der junge Davis war deshalb ganz auf die Unterstützung einer auch nicht besonders wohl¬ habenden Tante angewiesen. Der Verkauf seiner Neger hätte ihm leicht die Mittel gegeben, seine Studien sorgenfrei zu vollenden; man machte ihm gute Anerbietungen, aber er wies alle Anträge entschieden zurück. Da er nach den damaligen Gesetzen nicht das Recht besaß, seinen Sclaven die Freiheit zu schenken, ließ er die¬ selben sich für ihre eigene Rechnung vermiethen, während er sich selbst küm¬ merlich als Hauslehrer durchbrachte. In Alexandria scheint Davis als Advokat wenig- Glück gehabt zu haben, dazu kam noch, daß er seine Stellung durch einige Zeitungsartikel, welche die damals noch unantastbare Göttlichkeit der Sclaverei in Zweifel zogen, unhaltbar machte. Nach dem Tode seiner ersten Gattin zog er im Jahre 1880 nach Baltimore, wo er bald eine gute Praxis als Rechtsanwalt erlangte und sich einige Jahre später zum zweiten Male verheirathete. Sein erstes öffentliches Auftreten fällt in das Jahr 1856. Er war nie- mals Stadtrath, niemals Sraatsdeputirter oder Beamter gewesen, hatte keine der niedrigen, in der Regel schmutzigen Stufen betreten, welche in Amerika zu den höchsten Ehrenämtern führen, und wurde dennoch sogleich zum Con- greßrepräsentanten erwählt. In dieser Stellung erwarb er sich durch Bered¬ samkeit, Gewandtheit und Schlagfertigkeit in der Debatte rasch eine so her¬ vorragende Stellung, daß er binnen Kurzem Mitglied der wichtigsten perma¬ nenten Comites des Repräsentantenhauses wurde. Er vertrat einen Distrikt der Stadt Baltimore im 34., 35. und 36. und schließlich im 38. Congreß. Doch erst die Krisis von 1861 machte Davis zu einem allgemein be¬ kannten Politiker. Das Repräsentantenhaus des 36. Congresses wählte sei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/396>, abgerufen am 28.09.2024.