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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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verborgene, wiewol immerhin gefährliche Versammlungsplätze. Nur muß
man nicht denken, die Christen hätten erst jene unterirdischen Gänge in der
Absicht gemacht, um ihre Todten abgesondert bestatten und unbemerkt ihre
Gottesdienste halten zu können, oder gar, um bei Verfolgungen eine Zu¬
fluchtsstätte zu haben. Sie begruben ihre Todten da, wo es ihre heidnischen
Mitbürger schon lange thaten, und wenn sie vor der Wuth der Zeloten in
die Katakomben flüchteten, so thaten sie es, um auf den Gräbern der Ihrigen
zu sterben, oder wie man eben in der Noth jede Zuflucht erwählt; denn
natürlich waren sie in den Katakomben noch sicherer gefangen als anderswo.

Wir durchwanderten bei Fackellicht, was von den beiden oberen Etagen
noch zugänglich ist. Die Wände schimmerten in einem fahlen todten Grau;
unter uns klang der Boden, indem wir über Hunderte von Gräbern dahin-
schritten, die mit dick verstaubten Lavaplatten bedeckt sind. Kleine Leute
liegen darin, die man ruhen läßt, weil sie es im Leben nicht zum Prunke
einer Marmorplatte bringen konnten und die Ihrigen das "Wohlverdient
(belle msren")", das man auf so vielen Nachbargräbern las, vielleicht lieber
in Thränen als in Buchstaben ausdrückten. An dem Eingange des verschüt¬
teten dritten Stockes, aus dem uns ein wirrer Haufen von Schädeln, Knochen
und Asche entgegenragte, kehrten wir um und in das goldene Tageslicht
zurück.

Wir versäumten nicht, uns auch von der gegenwärtig hier gebräuch¬
lichen Art der Todtenbestattung eine Anschauung zu verschaffen, um sie mit
der mittelalterlichen und der antiken zu vergleichen. Der Camposanto nuovo
liegt unterhalb der nach Capua führenden Chaussee auf einem ziemlich ab¬
hängigen Terrain, dessen Unebenheiten von den Gärtnern und Architecten
für eine große Mannigfaltigkeit von Schöpfungen trefflich benutzt wurde.
Man fährt wie in eine besondere Stadt hinein, so groß ist die Anlage.
Denkmäler in unserer Weise gibt es nur wenige, aber viele Hunderte von
Mausoleen, theils für einzelne Familien, theils für ganze Körperschaften,
ziehen sich zu Straßen oder Gruppen geordnet den Berg hinab. Man be¬
gegnet da allen Stilarten, dem griechischen, römischen, gothischen, selbst dem
egyptischen. Zwischen diesen schimmernden Gebäuden, in denen neben oder
über den Grabkammern sich stets eine Kapelle befindet, die durch Tages-
und Kerzenlicht erhellt wird, ragen schlanke Cypressen und wallende Pfeffer¬
bäume -- unsern Trauerweiden ganz ähnlich -- hervor; Rosen und andere
Blumen überall, und wo der Fels hervortritt, ist er mit Farrenkraut und
Hangenden Gewächsen oder mit blühendem Epheu überkleidet. Alles ist un¬
gemein .sauber und zierlich gehalten und das Ganze athmet eine freundliche
Feierlichkeit. Hätte man die ehrwürdigen Kapuziner, denen man den ernsten
Dienst auf dem Friedhofe gelassen hat, nicht in den Gängen wandeln sehen,


verborgene, wiewol immerhin gefährliche Versammlungsplätze. Nur muß
man nicht denken, die Christen hätten erst jene unterirdischen Gänge in der
Absicht gemacht, um ihre Todten abgesondert bestatten und unbemerkt ihre
Gottesdienste halten zu können, oder gar, um bei Verfolgungen eine Zu¬
fluchtsstätte zu haben. Sie begruben ihre Todten da, wo es ihre heidnischen
Mitbürger schon lange thaten, und wenn sie vor der Wuth der Zeloten in
die Katakomben flüchteten, so thaten sie es, um auf den Gräbern der Ihrigen
zu sterben, oder wie man eben in der Noth jede Zuflucht erwählt; denn
natürlich waren sie in den Katakomben noch sicherer gefangen als anderswo.

Wir durchwanderten bei Fackellicht, was von den beiden oberen Etagen
noch zugänglich ist. Die Wände schimmerten in einem fahlen todten Grau;
unter uns klang der Boden, indem wir über Hunderte von Gräbern dahin-
schritten, die mit dick verstaubten Lavaplatten bedeckt sind. Kleine Leute
liegen darin, die man ruhen läßt, weil sie es im Leben nicht zum Prunke
einer Marmorplatte bringen konnten und die Ihrigen das „Wohlverdient
(belle msren»)", das man auf so vielen Nachbargräbern las, vielleicht lieber
in Thränen als in Buchstaben ausdrückten. An dem Eingange des verschüt¬
teten dritten Stockes, aus dem uns ein wirrer Haufen von Schädeln, Knochen
und Asche entgegenragte, kehrten wir um und in das goldene Tageslicht
zurück.

Wir versäumten nicht, uns auch von der gegenwärtig hier gebräuch¬
lichen Art der Todtenbestattung eine Anschauung zu verschaffen, um sie mit
der mittelalterlichen und der antiken zu vergleichen. Der Camposanto nuovo
liegt unterhalb der nach Capua führenden Chaussee auf einem ziemlich ab¬
hängigen Terrain, dessen Unebenheiten von den Gärtnern und Architecten
für eine große Mannigfaltigkeit von Schöpfungen trefflich benutzt wurde.
Man fährt wie in eine besondere Stadt hinein, so groß ist die Anlage.
Denkmäler in unserer Weise gibt es nur wenige, aber viele Hunderte von
Mausoleen, theils für einzelne Familien, theils für ganze Körperschaften,
ziehen sich zu Straßen oder Gruppen geordnet den Berg hinab. Man be¬
gegnet da allen Stilarten, dem griechischen, römischen, gothischen, selbst dem
egyptischen. Zwischen diesen schimmernden Gebäuden, in denen neben oder
über den Grabkammern sich stets eine Kapelle befindet, die durch Tages-
und Kerzenlicht erhellt wird, ragen schlanke Cypressen und wallende Pfeffer¬
bäume — unsern Trauerweiden ganz ähnlich — hervor; Rosen und andere
Blumen überall, und wo der Fels hervortritt, ist er mit Farrenkraut und
Hangenden Gewächsen oder mit blühendem Epheu überkleidet. Alles ist un¬
gemein .sauber und zierlich gehalten und das Ganze athmet eine freundliche
Feierlichkeit. Hätte man die ehrwürdigen Kapuziner, denen man den ernsten
Dienst auf dem Friedhofe gelassen hat, nicht in den Gängen wandeln sehen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/360>, abgerufen am 28.09.2024.