Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.Bedeutung wir im vorigen Jahre bei Gelegenheit des hannöve^schen Provin- Von den übrigen Verhandlungsgegenständen des preußischen Abgeord¬ Bedeutung wir im vorigen Jahre bei Gelegenheit des hannöve^schen Provin- Von den übrigen Verhandlungsgegenständen des preußischen Abgeord¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120536"/> <p xml:id="ID_979" prev="#ID_978"> Bedeutung wir im vorigen Jahre bei Gelegenheit des hannöve^schen Provin-<lb/> zialfonds, in diesem Jahr in Sachen der Selbstverwaltung für dieselbe Provinz<lb/> hinzuweisen Veranlassung hatten. Bald den Doctrinen des liberalen Partei-<lb/> catechismus zu liebe, bald im Sinne möglichster Annäherung an die alt-<lb/> Preußischen Muster, wurden Veränderungen und Verbesserungen eines Gesetzes<lb/> in Vorschlag gebracht, mit welchem sich die Vertreter der betreffenden Pro¬<lb/> vinzen im voraus einverstanden erklärt hatten. Es handelte sich wieder darum,<lb/> die feine Grenzlinie ausfindig zu machen, welche die Bestrebungen des Particu-<lb/> larismus von den berechtigten Wünschen nach eigenthümlicher Lebensgestaltung<lb/> scheidet. Wir sehen es als ein günstiges Omen für künftige Organisations¬<lb/> arbeiten von größerer Tragweite an. daß die Schleswig-Holsteiner Recht be¬<lb/> halten haben, und daß die Majorität es auch dieses Mal über sich gewon¬<lb/> nen hat, ihre Wünsche sür möglichste Uniformität hinter die auf praktische<lb/> Erfahrungen begründeten Sonderbedürfnisse der Provinzen, um welche es<lb/> sich handelte, zurücktreten zu lassen. Je größer der Spielraum ist, der den<lb/> Provinzialeigenthümlichkeiten der neuerworbenen Länder auf ungefährlichen<lb/> Lebensgebieten offen gelassen wird, desto leichter wird die große Arbeit, welche<lb/> Preußen in Deutschland noch zu thun hat, desto hinfälliger werden die Be¬<lb/> fürchtungen und Warnungen des Particularismus vor Erstickung alles indi¬<lb/> viduellen Lebens in der preußischen Staatsschablone.</p><lb/> <p xml:id="ID_980" next="#ID_981"> Von den übrigen Verhandlungsgegenständen des preußischen Abgeord¬<lb/> netenhauses hat keiner so lebhaftes und allgemeines Interesse erweckt, wie der<lb/> Streit um die Schulgeldfrage. Der Minister von Muster scheint die Er¬<lb/> fahrungen, welcher im December vorigen Jahres bei der Debatte über den<lb/> Etat seines Ministeriums gemacht, völlig in den Wind geschlagen zu habe«'<lb/> es wäre ihm sonst schwerlich in den Sinn gekommen, seine Vorschläge<lb/> für Organisation des Schulwesens mit dem Antrage auf Abschaffung von<lb/> §. 112 der Verfassung einzuleiten und seine bezüglichen Wünsche mit der<lb/> Berufung auf die Rathschläge des Herrenhauses zu motiviren. Der Umstand,<lb/> daß die verfassungsmäßige Abschaffung des Schulgeldes nur in einem kleinen<lb/> Theil der preußischen Monarchie zur Wahrheit geworden ist, und daß die<lb/> Regierung bisher nie dazu gedrängt worden war, den entgegengesetzten status<lb/> Mo aufzuheben, sprach so deutlich gegen das ministerielle Verlangen, daß<lb/> Herr von Muster von dem größten Theil der Männer, welche noch im De¬<lb/> cember vorigen Jahres zu ihm gestanden, verlassen wurde, und selbst die un¬<lb/> bedingten unter seinen Anhängern einen nur mäßigen Eifer für die Sache<lb/> zeigten, zu deren Vertheidigung sie aufgerufen waren. Die Versammlung<lb/> stand beim Schluß der zweitägigen Discussion so vollständig unter dem Ein¬<lb/> druck, den die Reden Waldeck's, Laster's und vor Allem Wehrenpfennig's<lb/> gemacht hatten, daß selbst eifrige Katholiken, wie der Domherr Kürzer auf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0347]
Bedeutung wir im vorigen Jahre bei Gelegenheit des hannöve^schen Provin-
zialfonds, in diesem Jahr in Sachen der Selbstverwaltung für dieselbe Provinz
hinzuweisen Veranlassung hatten. Bald den Doctrinen des liberalen Partei-
catechismus zu liebe, bald im Sinne möglichster Annäherung an die alt-
Preußischen Muster, wurden Veränderungen und Verbesserungen eines Gesetzes
in Vorschlag gebracht, mit welchem sich die Vertreter der betreffenden Pro¬
vinzen im voraus einverstanden erklärt hatten. Es handelte sich wieder darum,
die feine Grenzlinie ausfindig zu machen, welche die Bestrebungen des Particu-
larismus von den berechtigten Wünschen nach eigenthümlicher Lebensgestaltung
scheidet. Wir sehen es als ein günstiges Omen für künftige Organisations¬
arbeiten von größerer Tragweite an. daß die Schleswig-Holsteiner Recht be¬
halten haben, und daß die Majorität es auch dieses Mal über sich gewon¬
nen hat, ihre Wünsche sür möglichste Uniformität hinter die auf praktische
Erfahrungen begründeten Sonderbedürfnisse der Provinzen, um welche es
sich handelte, zurücktreten zu lassen. Je größer der Spielraum ist, der den
Provinzialeigenthümlichkeiten der neuerworbenen Länder auf ungefährlichen
Lebensgebieten offen gelassen wird, desto leichter wird die große Arbeit, welche
Preußen in Deutschland noch zu thun hat, desto hinfälliger werden die Be¬
fürchtungen und Warnungen des Particularismus vor Erstickung alles indi¬
viduellen Lebens in der preußischen Staatsschablone.
Von den übrigen Verhandlungsgegenständen des preußischen Abgeord¬
netenhauses hat keiner so lebhaftes und allgemeines Interesse erweckt, wie der
Streit um die Schulgeldfrage. Der Minister von Muster scheint die Er¬
fahrungen, welcher im December vorigen Jahres bei der Debatte über den
Etat seines Ministeriums gemacht, völlig in den Wind geschlagen zu habe«'
es wäre ihm sonst schwerlich in den Sinn gekommen, seine Vorschläge
für Organisation des Schulwesens mit dem Antrage auf Abschaffung von
§. 112 der Verfassung einzuleiten und seine bezüglichen Wünsche mit der
Berufung auf die Rathschläge des Herrenhauses zu motiviren. Der Umstand,
daß die verfassungsmäßige Abschaffung des Schulgeldes nur in einem kleinen
Theil der preußischen Monarchie zur Wahrheit geworden ist, und daß die
Regierung bisher nie dazu gedrängt worden war, den entgegengesetzten status
Mo aufzuheben, sprach so deutlich gegen das ministerielle Verlangen, daß
Herr von Muster von dem größten Theil der Männer, welche noch im De¬
cember vorigen Jahres zu ihm gestanden, verlassen wurde, und selbst die un¬
bedingten unter seinen Anhängern einen nur mäßigen Eifer für die Sache
zeigten, zu deren Vertheidigung sie aufgerufen waren. Die Versammlung
stand beim Schluß der zweitägigen Discussion so vollständig unter dem Ein¬
druck, den die Reden Waldeck's, Laster's und vor Allem Wehrenpfennig's
gemacht hatten, daß selbst eifrige Katholiken, wie der Domherr Kürzer auf
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