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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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Pariser Conferenz des Grafen Beust orientalischer Politik eine veränderte
Richtung gegeben, ist man in Ungarn freilich nicht mit diesen Zukunftsträu¬
men, sondern ausschließlich mit den Wahlen beschäftigt gewesen. Das Haupt¬
interesse an dem Ausfall derselben und an dem Geschick der Deakpartei hat
übrigens nicht diese selbst, sondern das cisleithanische Cabinet und dessen Schöpfer
der Staatskanzler. Nicht nur, daß die Dauerbarkeit des im Sommer 1867
begründeten Verhältnisses eine der Bedingungen seiner Stellung und des an
diese geknüpften deutsch-östreichischen Constitutionalismus ist -- die Dinge lie¬
gen so, daß das ungarische Ministerium und sein Verhältniß zur Nation
die starke Seite der staatsmännischen Stellung des Grafen Beust ist. und daß
er desselben bedarf, um sich in der deutsch-slavischen Reichshälfte zu behaupten.
All' den liberalen Gesetzen zum Trotz, die im Reichsrath discutirt und
amendirt. von dem Bürgerministerium bestätigt und" der Ausführung über¬
geben werden, will sich das rechie Vertrauen in die Dauerbarkeit des neu¬
geschaffenen Staatsgebäudes weder in, noch außer dem Hause finden.
In demselben Monat, der den neuen Pairsschub gesehen und die Annahme
der neuen Schwurgerichts- und Preßgesetze durch das östreichische Herrenhaus
erlebt hat, können die Polen es wagen, auf Grund der lemberger Landtags¬
beschlüsse vom vorigen Sommer, eingreifende Verfassungsveränderungen in
Vorschlag zu bringen, und hält die Regierung es sür gerathen mit ihnen
ebenso behutsam umzugehen, wie mit den Czechen. denen trotz aller Renitenz
und unverhohlen schlechten Gesinnung immer wieder Ausgleichsvorschläge ge¬
macht werden. Die oberen Stockwerke des staatlichen Neubaues werden un¬
aufhaltsam auseinander gethürmt, ihre innere Einrichtung ist zum Theil schon
fertig -- an dem Fundament wird aber immer wieder gerüttelt und gebes¬
sert und nicht nur von den widerstrebenden Parteien, sondern von der Regie¬
rung selbst. Während die Ersteren es noch immer nicht aufgegeben haben,
den Provinziallandtagen von Galizien, Tyrol und Böhmen gewisse staatliche
Gebiete zu erobern, die nach den neuen Grundgesetzen des Reichs blos durch
die Reichsvertretung geordnet werden sollen, trägt die Letztere sich mit ein¬
greifenden Plänen für Erweiterung des Reichsrathes und Umgestaltung des
Wahlgesetzes. Bald ist davon die Rede, die Zahl der Abgeordneten im In¬
teresse rascherer Bewältigung des legislatorischen Materials zu verdoppeln,
bald will man sich mit der Erhöhung um ein Drittel begnügen; wichtiger
noch sind die Vorschläge zur Einführung directer Wahlen für die neuen,
nach Anderen sür alle Mitglieder der Reichsvertretung. Wie man diesen
neuen Schritt zur Verminderung des Einflusses und der Machtsphäre
der Provinziallandtage durchführen will, nachdem ein großer Theil
derselben sich gegen jede Erhöhung der Centralisation ausgesprochen, ist frei,,


Pariser Conferenz des Grafen Beust orientalischer Politik eine veränderte
Richtung gegeben, ist man in Ungarn freilich nicht mit diesen Zukunftsträu¬
men, sondern ausschließlich mit den Wahlen beschäftigt gewesen. Das Haupt¬
interesse an dem Ausfall derselben und an dem Geschick der Deakpartei hat
übrigens nicht diese selbst, sondern das cisleithanische Cabinet und dessen Schöpfer
der Staatskanzler. Nicht nur, daß die Dauerbarkeit des im Sommer 1867
begründeten Verhältnisses eine der Bedingungen seiner Stellung und des an
diese geknüpften deutsch-östreichischen Constitutionalismus ist — die Dinge lie¬
gen so, daß das ungarische Ministerium und sein Verhältniß zur Nation
die starke Seite der staatsmännischen Stellung des Grafen Beust ist. und daß
er desselben bedarf, um sich in der deutsch-slavischen Reichshälfte zu behaupten.
All' den liberalen Gesetzen zum Trotz, die im Reichsrath discutirt und
amendirt. von dem Bürgerministerium bestätigt und" der Ausführung über¬
geben werden, will sich das rechie Vertrauen in die Dauerbarkeit des neu¬
geschaffenen Staatsgebäudes weder in, noch außer dem Hause finden.
In demselben Monat, der den neuen Pairsschub gesehen und die Annahme
der neuen Schwurgerichts- und Preßgesetze durch das östreichische Herrenhaus
erlebt hat, können die Polen es wagen, auf Grund der lemberger Landtags¬
beschlüsse vom vorigen Sommer, eingreifende Verfassungsveränderungen in
Vorschlag zu bringen, und hält die Regierung es sür gerathen mit ihnen
ebenso behutsam umzugehen, wie mit den Czechen. denen trotz aller Renitenz
und unverhohlen schlechten Gesinnung immer wieder Ausgleichsvorschläge ge¬
macht werden. Die oberen Stockwerke des staatlichen Neubaues werden un¬
aufhaltsam auseinander gethürmt, ihre innere Einrichtung ist zum Theil schon
fertig — an dem Fundament wird aber immer wieder gerüttelt und gebes¬
sert und nicht nur von den widerstrebenden Parteien, sondern von der Regie¬
rung selbst. Während die Ersteren es noch immer nicht aufgegeben haben,
den Provinziallandtagen von Galizien, Tyrol und Böhmen gewisse staatliche
Gebiete zu erobern, die nach den neuen Grundgesetzen des Reichs blos durch
die Reichsvertretung geordnet werden sollen, trägt die Letztere sich mit ein¬
greifenden Plänen für Erweiterung des Reichsrathes und Umgestaltung des
Wahlgesetzes. Bald ist davon die Rede, die Zahl der Abgeordneten im In¬
teresse rascherer Bewältigung des legislatorischen Materials zu verdoppeln,
bald will man sich mit der Erhöhung um ein Drittel begnügen; wichtiger
noch sind die Vorschläge zur Einführung directer Wahlen für die neuen,
nach Anderen sür alle Mitglieder der Reichsvertretung. Wie man diesen
neuen Schritt zur Verminderung des Einflusses und der Machtsphäre
der Provinziallandtage durchführen will, nachdem ein großer Theil
derselben sich gegen jede Erhöhung der Centralisation ausgesprochen, ist frei,,


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[0339] Pariser Conferenz des Grafen Beust orientalischer Politik eine veränderte Richtung gegeben, ist man in Ungarn freilich nicht mit diesen Zukunftsträu¬ men, sondern ausschließlich mit den Wahlen beschäftigt gewesen. Das Haupt¬ interesse an dem Ausfall derselben und an dem Geschick der Deakpartei hat übrigens nicht diese selbst, sondern das cisleithanische Cabinet und dessen Schöpfer der Staatskanzler. Nicht nur, daß die Dauerbarkeit des im Sommer 1867 begründeten Verhältnisses eine der Bedingungen seiner Stellung und des an diese geknüpften deutsch-östreichischen Constitutionalismus ist — die Dinge lie¬ gen so, daß das ungarische Ministerium und sein Verhältniß zur Nation die starke Seite der staatsmännischen Stellung des Grafen Beust ist. und daß er desselben bedarf, um sich in der deutsch-slavischen Reichshälfte zu behaupten. All' den liberalen Gesetzen zum Trotz, die im Reichsrath discutirt und amendirt. von dem Bürgerministerium bestätigt und" der Ausführung über¬ geben werden, will sich das rechie Vertrauen in die Dauerbarkeit des neu¬ geschaffenen Staatsgebäudes weder in, noch außer dem Hause finden. In demselben Monat, der den neuen Pairsschub gesehen und die Annahme der neuen Schwurgerichts- und Preßgesetze durch das östreichische Herrenhaus erlebt hat, können die Polen es wagen, auf Grund der lemberger Landtags¬ beschlüsse vom vorigen Sommer, eingreifende Verfassungsveränderungen in Vorschlag zu bringen, und hält die Regierung es sür gerathen mit ihnen ebenso behutsam umzugehen, wie mit den Czechen. denen trotz aller Renitenz und unverhohlen schlechten Gesinnung immer wieder Ausgleichsvorschläge ge¬ macht werden. Die oberen Stockwerke des staatlichen Neubaues werden un¬ aufhaltsam auseinander gethürmt, ihre innere Einrichtung ist zum Theil schon fertig — an dem Fundament wird aber immer wieder gerüttelt und gebes¬ sert und nicht nur von den widerstrebenden Parteien, sondern von der Regie¬ rung selbst. Während die Ersteren es noch immer nicht aufgegeben haben, den Provinziallandtagen von Galizien, Tyrol und Böhmen gewisse staatliche Gebiete zu erobern, die nach den neuen Grundgesetzen des Reichs blos durch die Reichsvertretung geordnet werden sollen, trägt die Letztere sich mit ein¬ greifenden Plänen für Erweiterung des Reichsrathes und Umgestaltung des Wahlgesetzes. Bald ist davon die Rede, die Zahl der Abgeordneten im In¬ teresse rascherer Bewältigung des legislatorischen Materials zu verdoppeln, bald will man sich mit der Erhöhung um ein Drittel begnügen; wichtiger noch sind die Vorschläge zur Einführung directer Wahlen für die neuen, nach Anderen sür alle Mitglieder der Reichsvertretung. Wie man diesen neuen Schritt zur Verminderung des Einflusses und der Machtsphäre der Provinziallandtage durchführen will, nachdem ein großer Theil derselben sich gegen jede Erhöhung der Centralisation ausgesprochen, ist frei,,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/339>, abgerufen am 28.09.2024.