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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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In der Commission war neben der Linken, welche wie billig die Mehr¬
heit hatte, die deutsche Partei und die Regierungspartet vertreten. Es war
vorauszusehen, daß von diesen Seiten Gegenanträge gestellt würden gegen
den Entwurf des Referenten Probst. Allein dieser Entwurf wurde der Com¬
mission zuerst in einer Form vorgelegt, über welche die eigenen Gesinnungs¬
genossen erschraken, oder welche sie mindestens unpolitisch fanden. Dieser
Entwurf trug, soviel davon in die Oeffentlichkeit drang, die Farben mit
einer lebhaften Keckheit auf, die auch Diejenigen in Erstaunen gesetzt hätte,
welchen die Erzeugnisse eines unverfälschten schwäbischen Particularismus nichts
Neues sind. Er schien der Ausfluß einer persönlichen Gereiztheit und Ver¬
bitterung und man mochte hierbei weniger an die eben vollzogene Präsidenten¬
wahl denken als vielmehr an jene Scene im Zollparlament, wo eine unbe¬
dachte Aeußerung des schwäbischen Abgeordneten dem Grafen Bismarck
Anlaß zu einem seiner glücklichsten Worte, zu jener Zurückweisung des Appells
an die Furcht gegeben hatte.

Allein die Adresse war, wie sich nachher der Herr v. Varnbüler aus¬
drückte, auf den Abstreich angefertigt. Der Verfasser ließ mit sich handeln.
Die Freunde selbst machten sich daran die stärksten Spitzen umzubiegen,
Oesterlen insbesondere, der seit lange zwischen der Linken und der ministeriel¬
len Partei als Mittelsmann hin und her geht, war bestrebt, mildernde Wen¬
dungen zu ersinnen: und überdies ist Probst selbst ein Meister in der Kunst,
was er nicht direct sagen kann, auf Umwegen und nicht ohne maliciöse
Pointen zu sagen. So wurde nun namentlich eine offen gegen die Verträge
gerichtete Stelle beseitigt, ein gegen die Minister wegen ihrer Untergrabung
der württembergischen Selbständigkeit ausgesprochenes Tadelsvotum hypo¬
thetisch gestellt, der Südbund mehr in eine dämmernde Ferne gerückt.
Immerhin aber blieb noch genug von Groll und Bitterkeit zurück, und wenn
man auch den Wortlaut nirgends mehr direct auf dem Complot des Süd¬
bundes und auf dem Trotz wider die Verträge ertappen konnte, so war er
doch immer noch kräftig genug um auch die äußerste Linke leidlich zu befrie¬
digen und nach der Annahme durch die Kammer als ein imponirender
Protest des schwäbischen Volkes gegen die Verpreußung betrachtet zu werden.

Endlich hatte sich die Mehrheit auf diesen Entwurf geeinigt, während
Sarwey einen Entwurf im Sinn des Ministeriums "bis hierher und nicht
weiter" vorlegte, Hölder in einem dritten Entwurf dem nationalen Gedanken
offenen maßvollen Ausdruck gab. Der Letztere setzte es auch durch, daß in
dem Hauptentwurf die inneren Landesangelegenheiten vorangestellt, die
Wünsche und Beschwerden über die deutsche Politik des Ministeriums in die
zweite Stelle verwiesen wurden. Was die inneren Fragen betrifft, so war


Grenzboten. I. 18KS.

In der Commission war neben der Linken, welche wie billig die Mehr¬
heit hatte, die deutsche Partei und die Regierungspartet vertreten. Es war
vorauszusehen, daß von diesen Seiten Gegenanträge gestellt würden gegen
den Entwurf des Referenten Probst. Allein dieser Entwurf wurde der Com¬
mission zuerst in einer Form vorgelegt, über welche die eigenen Gesinnungs¬
genossen erschraken, oder welche sie mindestens unpolitisch fanden. Dieser
Entwurf trug, soviel davon in die Oeffentlichkeit drang, die Farben mit
einer lebhaften Keckheit auf, die auch Diejenigen in Erstaunen gesetzt hätte,
welchen die Erzeugnisse eines unverfälschten schwäbischen Particularismus nichts
Neues sind. Er schien der Ausfluß einer persönlichen Gereiztheit und Ver¬
bitterung und man mochte hierbei weniger an die eben vollzogene Präsidenten¬
wahl denken als vielmehr an jene Scene im Zollparlament, wo eine unbe¬
dachte Aeußerung des schwäbischen Abgeordneten dem Grafen Bismarck
Anlaß zu einem seiner glücklichsten Worte, zu jener Zurückweisung des Appells
an die Furcht gegeben hatte.

Allein die Adresse war, wie sich nachher der Herr v. Varnbüler aus¬
drückte, auf den Abstreich angefertigt. Der Verfasser ließ mit sich handeln.
Die Freunde selbst machten sich daran die stärksten Spitzen umzubiegen,
Oesterlen insbesondere, der seit lange zwischen der Linken und der ministeriel¬
len Partei als Mittelsmann hin und her geht, war bestrebt, mildernde Wen¬
dungen zu ersinnen: und überdies ist Probst selbst ein Meister in der Kunst,
was er nicht direct sagen kann, auf Umwegen und nicht ohne maliciöse
Pointen zu sagen. So wurde nun namentlich eine offen gegen die Verträge
gerichtete Stelle beseitigt, ein gegen die Minister wegen ihrer Untergrabung
der württembergischen Selbständigkeit ausgesprochenes Tadelsvotum hypo¬
thetisch gestellt, der Südbund mehr in eine dämmernde Ferne gerückt.
Immerhin aber blieb noch genug von Groll und Bitterkeit zurück, und wenn
man auch den Wortlaut nirgends mehr direct auf dem Complot des Süd¬
bundes und auf dem Trotz wider die Verträge ertappen konnte, so war er
doch immer noch kräftig genug um auch die äußerste Linke leidlich zu befrie¬
digen und nach der Annahme durch die Kammer als ein imponirender
Protest des schwäbischen Volkes gegen die Verpreußung betrachtet zu werden.

Endlich hatte sich die Mehrheit auf diesen Entwurf geeinigt, während
Sarwey einen Entwurf im Sinn des Ministeriums „bis hierher und nicht
weiter" vorlegte, Hölder in einem dritten Entwurf dem nationalen Gedanken
offenen maßvollen Ausdruck gab. Der Letztere setzte es auch durch, daß in
dem Hauptentwurf die inneren Landesangelegenheiten vorangestellt, die
Wünsche und Beschwerden über die deutsche Politik des Ministeriums in die
zweite Stelle verwiesen wurden. Was die inneren Fragen betrifft, so war


Grenzboten. I. 18KS.
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[0033] In der Commission war neben der Linken, welche wie billig die Mehr¬ heit hatte, die deutsche Partei und die Regierungspartet vertreten. Es war vorauszusehen, daß von diesen Seiten Gegenanträge gestellt würden gegen den Entwurf des Referenten Probst. Allein dieser Entwurf wurde der Com¬ mission zuerst in einer Form vorgelegt, über welche die eigenen Gesinnungs¬ genossen erschraken, oder welche sie mindestens unpolitisch fanden. Dieser Entwurf trug, soviel davon in die Oeffentlichkeit drang, die Farben mit einer lebhaften Keckheit auf, die auch Diejenigen in Erstaunen gesetzt hätte, welchen die Erzeugnisse eines unverfälschten schwäbischen Particularismus nichts Neues sind. Er schien der Ausfluß einer persönlichen Gereiztheit und Ver¬ bitterung und man mochte hierbei weniger an die eben vollzogene Präsidenten¬ wahl denken als vielmehr an jene Scene im Zollparlament, wo eine unbe¬ dachte Aeußerung des schwäbischen Abgeordneten dem Grafen Bismarck Anlaß zu einem seiner glücklichsten Worte, zu jener Zurückweisung des Appells an die Furcht gegeben hatte. Allein die Adresse war, wie sich nachher der Herr v. Varnbüler aus¬ drückte, auf den Abstreich angefertigt. Der Verfasser ließ mit sich handeln. Die Freunde selbst machten sich daran die stärksten Spitzen umzubiegen, Oesterlen insbesondere, der seit lange zwischen der Linken und der ministeriel¬ len Partei als Mittelsmann hin und her geht, war bestrebt, mildernde Wen¬ dungen zu ersinnen: und überdies ist Probst selbst ein Meister in der Kunst, was er nicht direct sagen kann, auf Umwegen und nicht ohne maliciöse Pointen zu sagen. So wurde nun namentlich eine offen gegen die Verträge gerichtete Stelle beseitigt, ein gegen die Minister wegen ihrer Untergrabung der württembergischen Selbständigkeit ausgesprochenes Tadelsvotum hypo¬ thetisch gestellt, der Südbund mehr in eine dämmernde Ferne gerückt. Immerhin aber blieb noch genug von Groll und Bitterkeit zurück, und wenn man auch den Wortlaut nirgends mehr direct auf dem Complot des Süd¬ bundes und auf dem Trotz wider die Verträge ertappen konnte, so war er doch immer noch kräftig genug um auch die äußerste Linke leidlich zu befrie¬ digen und nach der Annahme durch die Kammer als ein imponirender Protest des schwäbischen Volkes gegen die Verpreußung betrachtet zu werden. Endlich hatte sich die Mehrheit auf diesen Entwurf geeinigt, während Sarwey einen Entwurf im Sinn des Ministeriums „bis hierher und nicht weiter" vorlegte, Hölder in einem dritten Entwurf dem nationalen Gedanken offenen maßvollen Ausdruck gab. Der Letztere setzte es auch durch, daß in dem Hauptentwurf die inneren Landesangelegenheiten vorangestellt, die Wünsche und Beschwerden über die deutsche Politik des Ministeriums in die zweite Stelle verwiesen wurden. Was die inneren Fragen betrifft, so war Grenzboten. I. 18KS.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/33>, abgerufen am 28.09.2024.