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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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mit Morny-und Genossen, arbeiteten. Der Anstalt mit einem Actiencapital
von 60 Mill, Fr. wurde eine Papierausgabe von 600 Mill. Fr. gestattet.
Die Zprocentige Rente, schon auf 70 Proc. getrieben, wurde auf 86 hinauf¬
geschwindelt, sowie die Actien der Südbahn von 400 auf 800, Bankactien
von 2000 auf mehr als 4000. Die Besitzer und Genossen dieser ungeheuren
Macht, welche nach Belieben die Hauffe und Baisse machten und die Rou¬
lette mit vollkommener Sicherheit leiteten, erwarben ungeheure Privatreich¬
thümer. Eine ungewisse Nachricht von dem Place Vendome trieb die Actien
des Credit Mobilier binnen zwei Tagen von 1200 auf 1800, und eine Be¬
richtigung von derselben Stelle führte sie sofort wieder unter 1100 zurück.
So wurde Jahre hindurch gespielt -- heute gilt die Gesellschaft für bankerott.

Das Minimum der Gebühren der Börsenagenten beträgt seit dem 21. Ja¬
nuar 1866 theils ein Viertel, theils ein Achtel Procent. Es ist begreiflich,
wenn die Gebühren den Minimalsatz gewöhnlich überschreiten, denn der höchste
Satz ist nicht bestimmt. Die Masse der Börsengeschäfte ist überhaupt der¬
maßen angewachsen, daß die Gesammtsumme der Gebühren durch die Agentur
selbst auf jährlich Achtzig Millionen angegeben wird. Vertheilt man diese
Summe auf sechszig Beamte, so kommt auf Jeden blos an Gebühren
iVz Million. In Wirklichkeit steigt der Gewinn aber auf das Fünffache.
Bei so bedeutenden Mitteln ist es schwer den Versuchungen zu widerstehen,
welche sich täglich zum unerlaubten Verdienst darbieten. Gesetzt, es hat ein
Agent den Auftrag, gewisse Actien für den Einen zu kaufen und für den
Anderen zu verkaufen, und der Cours schwankt an diesem Tage zwischen
4000 und 4020; da es alter Brauch ist, daß der Verkäuser den geringsten
Tagespreis erhält, der Käufer aber den höchsten entrichten muß, so steht
außer Frage, wem die Differenz zufällt, Wie maßlos verderblich das Börsen¬
spiel selbst für diese Eingeweihten wird, kann man aus folgender Notiz
entnehmen, den Coiffiniöres im Jahr 182S schrieb:

"Von 121 Börsenagenten haben binnen 22 Jahren Vier sich selbst um¬
gebracht, 61 sattere, indem sie ihren Gläubigern einen beträchtlichen Verlust
zufügten, oder ihr Amt aufgegeben, indem sie theils ganz zu Grunde gerichtet,
theils im Vermögen herabgekommen waren."

Die 80 Millionen Frameen, welche die Börsenagenten jährlich einnehmen,
ergeben bei einem Maximalsatz von V" Procent einen Börsenumsatz von
32 Milliarden, mithin dreimal so viel als die jährliche Produktion von
ganz Frankreich beträgt. Außer den amtlichen Agenten gibt es aber noch
eine Menge Comissions- und Winkelmakler, die bei den Börsenoperationen als
Vermittler dienen, so daß man die jährlichen Käufe und Verkäufe, deren Markt
der Börsentempel in Paris ist, mindestens auf 60 bis 80 Milliarden schätzt.


mit Morny-und Genossen, arbeiteten. Der Anstalt mit einem Actiencapital
von 60 Mill, Fr. wurde eine Papierausgabe von 600 Mill. Fr. gestattet.
Die Zprocentige Rente, schon auf 70 Proc. getrieben, wurde auf 86 hinauf¬
geschwindelt, sowie die Actien der Südbahn von 400 auf 800, Bankactien
von 2000 auf mehr als 4000. Die Besitzer und Genossen dieser ungeheuren
Macht, welche nach Belieben die Hauffe und Baisse machten und die Rou¬
lette mit vollkommener Sicherheit leiteten, erwarben ungeheure Privatreich¬
thümer. Eine ungewisse Nachricht von dem Place Vendome trieb die Actien
des Credit Mobilier binnen zwei Tagen von 1200 auf 1800, und eine Be¬
richtigung von derselben Stelle führte sie sofort wieder unter 1100 zurück.
So wurde Jahre hindurch gespielt — heute gilt die Gesellschaft für bankerott.

Das Minimum der Gebühren der Börsenagenten beträgt seit dem 21. Ja¬
nuar 1866 theils ein Viertel, theils ein Achtel Procent. Es ist begreiflich,
wenn die Gebühren den Minimalsatz gewöhnlich überschreiten, denn der höchste
Satz ist nicht bestimmt. Die Masse der Börsengeschäfte ist überhaupt der¬
maßen angewachsen, daß die Gesammtsumme der Gebühren durch die Agentur
selbst auf jährlich Achtzig Millionen angegeben wird. Vertheilt man diese
Summe auf sechszig Beamte, so kommt auf Jeden blos an Gebühren
iVz Million. In Wirklichkeit steigt der Gewinn aber auf das Fünffache.
Bei so bedeutenden Mitteln ist es schwer den Versuchungen zu widerstehen,
welche sich täglich zum unerlaubten Verdienst darbieten. Gesetzt, es hat ein
Agent den Auftrag, gewisse Actien für den Einen zu kaufen und für den
Anderen zu verkaufen, und der Cours schwankt an diesem Tage zwischen
4000 und 4020; da es alter Brauch ist, daß der Verkäuser den geringsten
Tagespreis erhält, der Käufer aber den höchsten entrichten muß, so steht
außer Frage, wem die Differenz zufällt, Wie maßlos verderblich das Börsen¬
spiel selbst für diese Eingeweihten wird, kann man aus folgender Notiz
entnehmen, den Coiffiniöres im Jahr 182S schrieb:

„Von 121 Börsenagenten haben binnen 22 Jahren Vier sich selbst um¬
gebracht, 61 sattere, indem sie ihren Gläubigern einen beträchtlichen Verlust
zufügten, oder ihr Amt aufgegeben, indem sie theils ganz zu Grunde gerichtet,
theils im Vermögen herabgekommen waren."

Die 80 Millionen Frameen, welche die Börsenagenten jährlich einnehmen,
ergeben bei einem Maximalsatz von V» Procent einen Börsenumsatz von
32 Milliarden, mithin dreimal so viel als die jährliche Produktion von
ganz Frankreich beträgt. Außer den amtlichen Agenten gibt es aber noch
eine Menge Comissions- und Winkelmakler, die bei den Börsenoperationen als
Vermittler dienen, so daß man die jährlichen Käufe und Verkäufe, deren Markt
der Börsentempel in Paris ist, mindestens auf 60 bis 80 Milliarden schätzt.


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[0328] mit Morny-und Genossen, arbeiteten. Der Anstalt mit einem Actiencapital von 60 Mill, Fr. wurde eine Papierausgabe von 600 Mill. Fr. gestattet. Die Zprocentige Rente, schon auf 70 Proc. getrieben, wurde auf 86 hinauf¬ geschwindelt, sowie die Actien der Südbahn von 400 auf 800, Bankactien von 2000 auf mehr als 4000. Die Besitzer und Genossen dieser ungeheuren Macht, welche nach Belieben die Hauffe und Baisse machten und die Rou¬ lette mit vollkommener Sicherheit leiteten, erwarben ungeheure Privatreich¬ thümer. Eine ungewisse Nachricht von dem Place Vendome trieb die Actien des Credit Mobilier binnen zwei Tagen von 1200 auf 1800, und eine Be¬ richtigung von derselben Stelle führte sie sofort wieder unter 1100 zurück. So wurde Jahre hindurch gespielt — heute gilt die Gesellschaft für bankerott. Das Minimum der Gebühren der Börsenagenten beträgt seit dem 21. Ja¬ nuar 1866 theils ein Viertel, theils ein Achtel Procent. Es ist begreiflich, wenn die Gebühren den Minimalsatz gewöhnlich überschreiten, denn der höchste Satz ist nicht bestimmt. Die Masse der Börsengeschäfte ist überhaupt der¬ maßen angewachsen, daß die Gesammtsumme der Gebühren durch die Agentur selbst auf jährlich Achtzig Millionen angegeben wird. Vertheilt man diese Summe auf sechszig Beamte, so kommt auf Jeden blos an Gebühren iVz Million. In Wirklichkeit steigt der Gewinn aber auf das Fünffache. Bei so bedeutenden Mitteln ist es schwer den Versuchungen zu widerstehen, welche sich täglich zum unerlaubten Verdienst darbieten. Gesetzt, es hat ein Agent den Auftrag, gewisse Actien für den Einen zu kaufen und für den Anderen zu verkaufen, und der Cours schwankt an diesem Tage zwischen 4000 und 4020; da es alter Brauch ist, daß der Verkäuser den geringsten Tagespreis erhält, der Käufer aber den höchsten entrichten muß, so steht außer Frage, wem die Differenz zufällt, Wie maßlos verderblich das Börsen¬ spiel selbst für diese Eingeweihten wird, kann man aus folgender Notiz entnehmen, den Coiffiniöres im Jahr 182S schrieb: „Von 121 Börsenagenten haben binnen 22 Jahren Vier sich selbst um¬ gebracht, 61 sattere, indem sie ihren Gläubigern einen beträchtlichen Verlust zufügten, oder ihr Amt aufgegeben, indem sie theils ganz zu Grunde gerichtet, theils im Vermögen herabgekommen waren." Die 80 Millionen Frameen, welche die Börsenagenten jährlich einnehmen, ergeben bei einem Maximalsatz von V» Procent einen Börsenumsatz von 32 Milliarden, mithin dreimal so viel als die jährliche Produktion von ganz Frankreich beträgt. Außer den amtlichen Agenten gibt es aber noch eine Menge Comissions- und Winkelmakler, die bei den Börsenoperationen als Vermittler dienen, so daß man die jährlichen Käufe und Verkäufe, deren Markt der Börsentempel in Paris ist, mindestens auf 60 bis 80 Milliarden schätzt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/328>, abgerufen am 28.09.2024.