Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

parablen Schaden, der -- nicht durch eine frivole Beschlagnahme -- sondern
durch die zuständige Wiederaufhebung derselben angerichtet wird, von dem
"nicht ganz grundlosen Zweifel" über die Strafbarkeit einer Druckschrift,
den jeder polizeiliche Einfall veranlassen, und der durch alle gerichtlichen
Instanzen hindurch von der Staatsanwaltschaft für die Polizei durch¬
getrieben werden soll? Warum erklärte man denn nicht lieber frank und
frei ohne Umschweife und ohne Gründe: die Staatsanwälte sind in Pre߬
sachen nur die Agenten der Polizeibehörden, die letzteren verstehen sich allein
auf die wahrhaften Interessen des Staats und haben allein ein competentes
Urtheil darüber, was auf dem Gebiet der Presse erlaubt, was als verboten
gelten soll! Denn darauf läuft ja unverhüllt der langen Rede kurzer Sinn
hinaus und dies ist in Wirklichkeit das thatsächliche Verhältniß zwischen
Polizei und Staatsanwaltschaft. In den engen Kreisen kleinerer Orte, wo
die Preßpolizei nicht v'on Bedeutung ist, vermögen die Staatsanwälte noch
einigen selbständigen Einfluß auf ihre "Organe" sich zu bewahren. Ueberall
aber, wo die Polizeiverwaltung eine Macht ist, in allen grüßen Städten mit
königlichen Polizeidirectionen und Polizeipräsidien sind diese Behörden es
allein, in deren Händen das Beschlagnahmerecht ruht, die Staatsanwalt¬
schaft muß ausführen, aufrechterhalten, anklagen, was die Polizei befiehlt,
und sämmtliche Fristen und Formen des § 29 des Preßgesetzes sind Nichts
wie reglementarische Vorschriften für den inneren Geschäftsverkehr zwischen
Polizei, Staatsanwalt und Rathskammer. Was polizeilich einmal saisirt
ist, ist definitiv mindestens für einige Wochen saisirt. In der Rathskammer
hat der vom Justizminister ernannte Untersuchungsrichter die maßgebende
Stimme, und versagt einmal auch diese Caneel, so wird durch die gegen den
Rathskammerbeschluß eingelegte Beschwerde die Beschlagnahme auf weitere
unbestimmte Zeit in Kraft erhalten. Berlin steht natürlich in diesen Dingen
obenan.

So lange in Preußen noch solche Zustände möglich sind, so lange ein¬
fache Verfügungen der Minister hinreichen, die ganze Organisation der Ge¬
richtsbehörden über den Haufen zu werfen, und Gesetzesvorschriften zu inter-
pretiren oder zu suspendiren, wie es das gerade herrschende politische Bedürfniß
wünschenswerth macht, so lange scheint es mir eine Sisyphusarbeit zu sein,
die individuelle Freiheit im Wege abstracter Gesetzgebung zu sichern. Mit
unendlicher Mühe schleppt man die todten Beine mächtiger Paragraphen
der Legislation in die Höhe, um sie auf der anderen Seite schnell den
schlüpfrigen Abhang der Willkür wieder herunterrollen und unten zerbröckeln
zu sehen. Man glaubt der Unfreiheit den Zugang verstopft zu haben,
wenn man hier und da ein Paar anscheinend schadhafte Stellen des ma¬
teriellen Rechts zugeschüttet hat, und durch die Tausend Poren des lockeren


parablen Schaden, der — nicht durch eine frivole Beschlagnahme — sondern
durch die zuständige Wiederaufhebung derselben angerichtet wird, von dem
„nicht ganz grundlosen Zweifel" über die Strafbarkeit einer Druckschrift,
den jeder polizeiliche Einfall veranlassen, und der durch alle gerichtlichen
Instanzen hindurch von der Staatsanwaltschaft für die Polizei durch¬
getrieben werden soll? Warum erklärte man denn nicht lieber frank und
frei ohne Umschweife und ohne Gründe: die Staatsanwälte sind in Pre߬
sachen nur die Agenten der Polizeibehörden, die letzteren verstehen sich allein
auf die wahrhaften Interessen des Staats und haben allein ein competentes
Urtheil darüber, was auf dem Gebiet der Presse erlaubt, was als verboten
gelten soll! Denn darauf läuft ja unverhüllt der langen Rede kurzer Sinn
hinaus und dies ist in Wirklichkeit das thatsächliche Verhältniß zwischen
Polizei und Staatsanwaltschaft. In den engen Kreisen kleinerer Orte, wo
die Preßpolizei nicht v'on Bedeutung ist, vermögen die Staatsanwälte noch
einigen selbständigen Einfluß auf ihre „Organe" sich zu bewahren. Ueberall
aber, wo die Polizeiverwaltung eine Macht ist, in allen grüßen Städten mit
königlichen Polizeidirectionen und Polizeipräsidien sind diese Behörden es
allein, in deren Händen das Beschlagnahmerecht ruht, die Staatsanwalt¬
schaft muß ausführen, aufrechterhalten, anklagen, was die Polizei befiehlt,
und sämmtliche Fristen und Formen des § 29 des Preßgesetzes sind Nichts
wie reglementarische Vorschriften für den inneren Geschäftsverkehr zwischen
Polizei, Staatsanwalt und Rathskammer. Was polizeilich einmal saisirt
ist, ist definitiv mindestens für einige Wochen saisirt. In der Rathskammer
hat der vom Justizminister ernannte Untersuchungsrichter die maßgebende
Stimme, und versagt einmal auch diese Caneel, so wird durch die gegen den
Rathskammerbeschluß eingelegte Beschwerde die Beschlagnahme auf weitere
unbestimmte Zeit in Kraft erhalten. Berlin steht natürlich in diesen Dingen
obenan.

So lange in Preußen noch solche Zustände möglich sind, so lange ein¬
fache Verfügungen der Minister hinreichen, die ganze Organisation der Ge¬
richtsbehörden über den Haufen zu werfen, und Gesetzesvorschriften zu inter-
pretiren oder zu suspendiren, wie es das gerade herrschende politische Bedürfniß
wünschenswerth macht, so lange scheint es mir eine Sisyphusarbeit zu sein,
die individuelle Freiheit im Wege abstracter Gesetzgebung zu sichern. Mit
unendlicher Mühe schleppt man die todten Beine mächtiger Paragraphen
der Legislation in die Höhe, um sie auf der anderen Seite schnell den
schlüpfrigen Abhang der Willkür wieder herunterrollen und unten zerbröckeln
zu sehen. Man glaubt der Unfreiheit den Zugang verstopft zu haben,
wenn man hier und da ein Paar anscheinend schadhafte Stellen des ma¬
teriellen Rechts zugeschüttet hat, und durch die Tausend Poren des lockeren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120487"/>
          <p xml:id="ID_849" prev="#ID_848"> parablen Schaden, der &#x2014; nicht durch eine frivole Beschlagnahme &#x2014; sondern<lb/>
durch die zuständige Wiederaufhebung derselben angerichtet wird, von dem<lb/>
&#x201E;nicht ganz grundlosen Zweifel" über die Strafbarkeit einer Druckschrift,<lb/>
den jeder polizeiliche Einfall veranlassen, und der durch alle gerichtlichen<lb/>
Instanzen hindurch von der Staatsanwaltschaft für die Polizei durch¬<lb/>
getrieben werden soll? Warum erklärte man denn nicht lieber frank und<lb/>
frei ohne Umschweife und ohne Gründe: die Staatsanwälte sind in Pre߬<lb/>
sachen nur die Agenten der Polizeibehörden, die letzteren verstehen sich allein<lb/>
auf die wahrhaften Interessen des Staats und haben allein ein competentes<lb/>
Urtheil darüber, was auf dem Gebiet der Presse erlaubt, was als verboten<lb/>
gelten soll! Denn darauf läuft ja unverhüllt der langen Rede kurzer Sinn<lb/>
hinaus und dies ist in Wirklichkeit das thatsächliche Verhältniß zwischen<lb/>
Polizei und Staatsanwaltschaft. In den engen Kreisen kleinerer Orte, wo<lb/>
die Preßpolizei nicht v'on Bedeutung ist, vermögen die Staatsanwälte noch<lb/>
einigen selbständigen Einfluß auf ihre &#x201E;Organe" sich zu bewahren. Ueberall<lb/>
aber, wo die Polizeiverwaltung eine Macht ist, in allen grüßen Städten mit<lb/>
königlichen Polizeidirectionen und Polizeipräsidien sind diese Behörden es<lb/>
allein, in deren Händen das Beschlagnahmerecht ruht, die Staatsanwalt¬<lb/>
schaft muß ausführen, aufrechterhalten, anklagen, was die Polizei befiehlt,<lb/>
und sämmtliche Fristen und Formen des § 29 des Preßgesetzes sind Nichts<lb/>
wie reglementarische Vorschriften für den inneren Geschäftsverkehr zwischen<lb/>
Polizei, Staatsanwalt und Rathskammer. Was polizeilich einmal saisirt<lb/>
ist, ist definitiv mindestens für einige Wochen saisirt. In der Rathskammer<lb/>
hat der vom Justizminister ernannte Untersuchungsrichter die maßgebende<lb/>
Stimme, und versagt einmal auch diese Caneel, so wird durch die gegen den<lb/>
Rathskammerbeschluß eingelegte Beschwerde die Beschlagnahme auf weitere<lb/>
unbestimmte Zeit in Kraft erhalten. Berlin steht natürlich in diesen Dingen<lb/>
obenan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_850" next="#ID_851"> So lange in Preußen noch solche Zustände möglich sind, so lange ein¬<lb/>
fache Verfügungen der Minister hinreichen, die ganze Organisation der Ge¬<lb/>
richtsbehörden über den Haufen zu werfen, und Gesetzesvorschriften zu inter-<lb/>
pretiren oder zu suspendiren, wie es das gerade herrschende politische Bedürfniß<lb/>
wünschenswerth macht, so lange scheint es mir eine Sisyphusarbeit zu sein,<lb/>
die individuelle Freiheit im Wege abstracter Gesetzgebung zu sichern. Mit<lb/>
unendlicher Mühe schleppt man die todten Beine mächtiger Paragraphen<lb/>
der Legislation in die Höhe, um sie auf der anderen Seite schnell den<lb/>
schlüpfrigen Abhang der Willkür wieder herunterrollen und unten zerbröckeln<lb/>
zu sehen. Man glaubt der Unfreiheit den Zugang verstopft zu haben,<lb/>
wenn man hier und da ein Paar anscheinend schadhafte Stellen des ma¬<lb/>
teriellen Rechts zugeschüttet hat, und durch die Tausend Poren des lockeren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0298] parablen Schaden, der — nicht durch eine frivole Beschlagnahme — sondern durch die zuständige Wiederaufhebung derselben angerichtet wird, von dem „nicht ganz grundlosen Zweifel" über die Strafbarkeit einer Druckschrift, den jeder polizeiliche Einfall veranlassen, und der durch alle gerichtlichen Instanzen hindurch von der Staatsanwaltschaft für die Polizei durch¬ getrieben werden soll? Warum erklärte man denn nicht lieber frank und frei ohne Umschweife und ohne Gründe: die Staatsanwälte sind in Pre߬ sachen nur die Agenten der Polizeibehörden, die letzteren verstehen sich allein auf die wahrhaften Interessen des Staats und haben allein ein competentes Urtheil darüber, was auf dem Gebiet der Presse erlaubt, was als verboten gelten soll! Denn darauf läuft ja unverhüllt der langen Rede kurzer Sinn hinaus und dies ist in Wirklichkeit das thatsächliche Verhältniß zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. In den engen Kreisen kleinerer Orte, wo die Preßpolizei nicht v'on Bedeutung ist, vermögen die Staatsanwälte noch einigen selbständigen Einfluß auf ihre „Organe" sich zu bewahren. Ueberall aber, wo die Polizeiverwaltung eine Macht ist, in allen grüßen Städten mit königlichen Polizeidirectionen und Polizeipräsidien sind diese Behörden es allein, in deren Händen das Beschlagnahmerecht ruht, die Staatsanwalt¬ schaft muß ausführen, aufrechterhalten, anklagen, was die Polizei befiehlt, und sämmtliche Fristen und Formen des § 29 des Preßgesetzes sind Nichts wie reglementarische Vorschriften für den inneren Geschäftsverkehr zwischen Polizei, Staatsanwalt und Rathskammer. Was polizeilich einmal saisirt ist, ist definitiv mindestens für einige Wochen saisirt. In der Rathskammer hat der vom Justizminister ernannte Untersuchungsrichter die maßgebende Stimme, und versagt einmal auch diese Caneel, so wird durch die gegen den Rathskammerbeschluß eingelegte Beschwerde die Beschlagnahme auf weitere unbestimmte Zeit in Kraft erhalten. Berlin steht natürlich in diesen Dingen obenan. So lange in Preußen noch solche Zustände möglich sind, so lange ein¬ fache Verfügungen der Minister hinreichen, die ganze Organisation der Ge¬ richtsbehörden über den Haufen zu werfen, und Gesetzesvorschriften zu inter- pretiren oder zu suspendiren, wie es das gerade herrschende politische Bedürfniß wünschenswerth macht, so lange scheint es mir eine Sisyphusarbeit zu sein, die individuelle Freiheit im Wege abstracter Gesetzgebung zu sichern. Mit unendlicher Mühe schleppt man die todten Beine mächtiger Paragraphen der Legislation in die Höhe, um sie auf der anderen Seite schnell den schlüpfrigen Abhang der Willkür wieder herunterrollen und unten zerbröckeln zu sehen. Man glaubt der Unfreiheit den Zugang verstopft zu haben, wenn man hier und da ein Paar anscheinend schadhafte Stellen des ma¬ teriellen Rechts zugeschüttet hat, und durch die Tausend Poren des lockeren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/298
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/298>, abgerufen am 28.09.2024.