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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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zwar augenscheinlich nicht weil sie aus hygienischen, sondern weil sie aus
pädagogischen Motiven sich empfiehlt. Aber nicht die Verhältnisse der obern
Classen müssen dabei vorzugsweise zu Grunde gelegt werden, sondern aller¬
mindestens die der mittleren, denn wie Jeder weiß und in der Natur der
Sache liegt, nimmt die Schülerzahl mit den Classen nach obenhin ab, während,
wie wir oben gesehen haben, dreißig Sextaner die Luft doch ebenso rasch und
stark mit Kohlensäure vergiften, wie dreißig Primaner.

Die beispielsweise angegebenen Größenverhältnisse würden auf je einen
Schüler von dreißig und dem Lehrer als Einunddreißigsten fast 284 Kubik-
fuß Luftraum geben, wenn man von Tischen, Bänken, Ofen:c. absähe. Bei
der Anlage von Krankenhäusern rechnet man heutzutage auf den Kopf min¬
destens 1200 Kubikfuß; in englischen und französischen Kasernen 600; in
neueren französischen Lyceen 650. Jene 284 Kubikfuß können daher nur
dann allenfalls als ausreichend betrachtet werden, wenn auch für den Fall, daß
die Höchstzahl der Classenbesetzung erreicht würde, die Hilfsmittel künstlicher
Ventilation die Luft während einer Stunde mindestens zweimal vollständig
zu erneuern gestatten. In ihrem ganzen wissenschaftlich-praktischen Umfang
lassen sich dieselben freilich nur anwenden, wenn ein Haus von Grund auf
neu gebaut wird. Desto kostbarer aber ist jede Gelegenheit zu solchem Neu¬
bau und desto sorgfältiger zu verwerthen.

Die Übeln Wirkungen verdorbener Luft 'auf Schulkinder treten nicht in
bestimmten einzelnen Krankheiten oder Schwächen hervor. Allein sie haben
sicher ihren Theil daran, wenn unter Knaben wie Mädchen so häufig eine
krankhafte Blässe, ein gestörter und verkümmerter Appetit, mangelhafte Muskel¬
entwickelung, geringe geistige Schwungkraft beobachtet wird. Sie hindert die
Blutbereitung, weil der dieselbe bedingende Athmungs-Proceß durch sie be¬
einträchtigt wird. Blutarmuth, Scropheln, chronische und acute Lungenkrank¬
heiten sind ihre nur zu natürlichen Folgen. Die Mittheilung von Ansteckungs¬
stoffen wird durch sie erleichtert, weil die Circulation in dem Luftraum des
Zimmers stockt und schwebende giftige Organismen mikroskopischer Art nicht
rasch genug ausgetrieben werden. Kurz, um das Mindeste zu sagen, muß-
man Pettenkofer darin beipflichten, daß der längere Aufenthalt in einer
Schulluft, wie sie gewöhnlich leider ist, die Widerstandsfähigkeit des Körpers
gegen krankmachende Einflüsse aller Art herabsetzt.

Unmittelbarer nachweisen lassen sich die Schäden, welche aus nicht ge¬
nügender Helle der Schulzimmer und ungeeigneter Construction von Tischen
und Sitzen hervorgehen. Da haben wir auf der einen Seite die Kurzsichtig¬
keit, auf der anderen die Rückgratsverkrümmungen. Die Ueberzahl kurz-
sichtiger Knaben, die Zunahme dieses Fehlers mit der Zahl der in der Schule
verbrachten Jahre ist Lehrern, Aerzten und sonstigen Beobachtern schon lange


zwar augenscheinlich nicht weil sie aus hygienischen, sondern weil sie aus
pädagogischen Motiven sich empfiehlt. Aber nicht die Verhältnisse der obern
Classen müssen dabei vorzugsweise zu Grunde gelegt werden, sondern aller¬
mindestens die der mittleren, denn wie Jeder weiß und in der Natur der
Sache liegt, nimmt die Schülerzahl mit den Classen nach obenhin ab, während,
wie wir oben gesehen haben, dreißig Sextaner die Luft doch ebenso rasch und
stark mit Kohlensäure vergiften, wie dreißig Primaner.

Die beispielsweise angegebenen Größenverhältnisse würden auf je einen
Schüler von dreißig und dem Lehrer als Einunddreißigsten fast 284 Kubik-
fuß Luftraum geben, wenn man von Tischen, Bänken, Ofen:c. absähe. Bei
der Anlage von Krankenhäusern rechnet man heutzutage auf den Kopf min¬
destens 1200 Kubikfuß; in englischen und französischen Kasernen 600; in
neueren französischen Lyceen 650. Jene 284 Kubikfuß können daher nur
dann allenfalls als ausreichend betrachtet werden, wenn auch für den Fall, daß
die Höchstzahl der Classenbesetzung erreicht würde, die Hilfsmittel künstlicher
Ventilation die Luft während einer Stunde mindestens zweimal vollständig
zu erneuern gestatten. In ihrem ganzen wissenschaftlich-praktischen Umfang
lassen sich dieselben freilich nur anwenden, wenn ein Haus von Grund auf
neu gebaut wird. Desto kostbarer aber ist jede Gelegenheit zu solchem Neu¬
bau und desto sorgfältiger zu verwerthen.

Die Übeln Wirkungen verdorbener Luft 'auf Schulkinder treten nicht in
bestimmten einzelnen Krankheiten oder Schwächen hervor. Allein sie haben
sicher ihren Theil daran, wenn unter Knaben wie Mädchen so häufig eine
krankhafte Blässe, ein gestörter und verkümmerter Appetit, mangelhafte Muskel¬
entwickelung, geringe geistige Schwungkraft beobachtet wird. Sie hindert die
Blutbereitung, weil der dieselbe bedingende Athmungs-Proceß durch sie be¬
einträchtigt wird. Blutarmuth, Scropheln, chronische und acute Lungenkrank¬
heiten sind ihre nur zu natürlichen Folgen. Die Mittheilung von Ansteckungs¬
stoffen wird durch sie erleichtert, weil die Circulation in dem Luftraum des
Zimmers stockt und schwebende giftige Organismen mikroskopischer Art nicht
rasch genug ausgetrieben werden. Kurz, um das Mindeste zu sagen, muß-
man Pettenkofer darin beipflichten, daß der längere Aufenthalt in einer
Schulluft, wie sie gewöhnlich leider ist, die Widerstandsfähigkeit des Körpers
gegen krankmachende Einflüsse aller Art herabsetzt.

Unmittelbarer nachweisen lassen sich die Schäden, welche aus nicht ge¬
nügender Helle der Schulzimmer und ungeeigneter Construction von Tischen
und Sitzen hervorgehen. Da haben wir auf der einen Seite die Kurzsichtig¬
keit, auf der anderen die Rückgratsverkrümmungen. Die Ueberzahl kurz-
sichtiger Knaben, die Zunahme dieses Fehlers mit der Zahl der in der Schule
verbrachten Jahre ist Lehrern, Aerzten und sonstigen Beobachtern schon lange


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/290>, abgerufen am 28.09.2024.