Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.seinem Urtheil über die einzelnen maßgebenden Personen wenigstens zu Zeiten "Blätter aus der preußischen Geschichte" sind die 433 S. des dritten Grenzboten I. 1869. 35
seinem Urtheil über die einzelnen maßgebenden Personen wenigstens zu Zeiten „Blätter aus der preußischen Geschichte" sind die 433 S. des dritten Grenzboten I. 1869. 35
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0285" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120474"/> <p xml:id="ID_811" prev="#ID_810"> seinem Urtheil über die einzelnen maßgebenden Personen wenigstens zu Zeiten<lb/> und für Zeiten davon abhängig, wie dieselben sich zu ihm stellen und was<lb/> er von ihnen zu erwarten hat. In der Regel geht er zwar nicht so weit,<lb/> unfähige Vertreter des überlebten Systems der alten Staatsweisheit gelten<lb/> zu lassen, weil sie ihm wohlwollen — aber es kommt nicht selten vor, daß<lb/> Männer, welche in dem damaligen Preußen entschieden die Sache des Fort¬<lb/> schritts vertraten, bemäkelt werden, weil sie sich um den frondirenden Geheimen<lb/> Legationsrath auf Wartegeld nicht kümmern oder ihm abgeneigt sind. Be¬<lb/> sonders deutlich tritt das in Bezug auf Wilhelm von Humboldt hervor;<lb/> keine Gelegenheit, ihm und den Personen seiner nächsten Umgebung am Zeuge<lb/> zu pflücken, wird unbenutzt gelassen. Selbst über Stein erfahren wir mehr<lb/> Ungünstiges als Günstiges, die Oberpräsidenten v. Schön und v. Vincke<lb/> werden nicht besonders gut behandelt und was Varnhagen von Nagler be¬<lb/> richtet, bezieht sich nicht sowohl auf den verdienstvollen Begründer des preu¬<lb/> ßischen Postwesens, als auf den haltungslosen Bundestagsgesandter. Von<lb/> Altenstein's hohen Verdiensten um die Sache der Bildung und Wissenschaft<lb/> in Preußen ist mit keinem Wort die Rede, er wird nur gescholten und ge¬<lb/> lästert. Die Art und Weise, in der das geschieht, muß doppelt unangenehm<lb/> berühren, denn sie läßt darauf schließen, daß Varnhagen seine Notizen mit<lb/> entschiedener Rücksicht auf die künftigen Leser niederschrieb und sich gegen<lb/> diese zu decken suchte. Gewöhnlich sagt er in solchen, wie in vielen andern<lb/> Fällen nämlich nicht, was er selbst von den betreffenden Personen oder deren<lb/> Handlungen hält, sondern er registrirt mit kaum verhohlener, hämischer<lb/> Schadenfreude die ungünstigen Urtheile Dritter. Irgend ein X oder U. über<lb/> dessen Nichtigkeit und Hohlheit der Verfasser uns eben noch alle Zweifel be¬<lb/> nommen, hat das und das gesagt; nun folgt der betreffende Ausspruch so<lb/> ausführlich und breit, als habe ein Orakel gesprochen. Unwillkürlich hat<lb/> man den Eindruck, es sei dem Memoirenschreiber daran gelegen gewesen,<lb/> wenn auch nur beiläufig auf das Urtheil des Lesers zu wirken und mit<lb/> der Brauchbarkeit des „-zizwpör aliguici Kg-fret" eine Probe anzustellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_812" next="#ID_813"> „Blätter aus der preußischen Geschichte" sind die 433 S. des dritten<lb/> Bandes nicht zu nennen, drei Viertheil von ihnen hat es nicht mit Geschichte,<lb/> sondern mit Geschichten und Geschichtchen zu thun. Mittheilungen über das<lb/> Verhältniß des Königs und der Prinzen zu den einzelnen Herren und Damen<lb/> ihrer Umgebung, Beiträge zur Geschichte der demagogischen Umtriebe und<lb/> ihrer Untersuchung, Notizen über Bücher, Zeitungsartikel und Theaterstücke,<lb/> welche Sensation machten oder zu Machen schienen, im günstigsten Fall In¬<lb/> diskretionen über das G/triebe der diplomatischen Welt, das ist im Grunde<lb/> Alles was wir erfahren. Die großen Themata sind die Personalverände¬<lb/> rungen zu Neujahr und zu Königs Geburtstag und die einzelnen Phasen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1869. 35</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0285]
seinem Urtheil über die einzelnen maßgebenden Personen wenigstens zu Zeiten
und für Zeiten davon abhängig, wie dieselben sich zu ihm stellen und was
er von ihnen zu erwarten hat. In der Regel geht er zwar nicht so weit,
unfähige Vertreter des überlebten Systems der alten Staatsweisheit gelten
zu lassen, weil sie ihm wohlwollen — aber es kommt nicht selten vor, daß
Männer, welche in dem damaligen Preußen entschieden die Sache des Fort¬
schritts vertraten, bemäkelt werden, weil sie sich um den frondirenden Geheimen
Legationsrath auf Wartegeld nicht kümmern oder ihm abgeneigt sind. Be¬
sonders deutlich tritt das in Bezug auf Wilhelm von Humboldt hervor;
keine Gelegenheit, ihm und den Personen seiner nächsten Umgebung am Zeuge
zu pflücken, wird unbenutzt gelassen. Selbst über Stein erfahren wir mehr
Ungünstiges als Günstiges, die Oberpräsidenten v. Schön und v. Vincke
werden nicht besonders gut behandelt und was Varnhagen von Nagler be¬
richtet, bezieht sich nicht sowohl auf den verdienstvollen Begründer des preu¬
ßischen Postwesens, als auf den haltungslosen Bundestagsgesandter. Von
Altenstein's hohen Verdiensten um die Sache der Bildung und Wissenschaft
in Preußen ist mit keinem Wort die Rede, er wird nur gescholten und ge¬
lästert. Die Art und Weise, in der das geschieht, muß doppelt unangenehm
berühren, denn sie läßt darauf schließen, daß Varnhagen seine Notizen mit
entschiedener Rücksicht auf die künftigen Leser niederschrieb und sich gegen
diese zu decken suchte. Gewöhnlich sagt er in solchen, wie in vielen andern
Fällen nämlich nicht, was er selbst von den betreffenden Personen oder deren
Handlungen hält, sondern er registrirt mit kaum verhohlener, hämischer
Schadenfreude die ungünstigen Urtheile Dritter. Irgend ein X oder U. über
dessen Nichtigkeit und Hohlheit der Verfasser uns eben noch alle Zweifel be¬
nommen, hat das und das gesagt; nun folgt der betreffende Ausspruch so
ausführlich und breit, als habe ein Orakel gesprochen. Unwillkürlich hat
man den Eindruck, es sei dem Memoirenschreiber daran gelegen gewesen,
wenn auch nur beiläufig auf das Urtheil des Lesers zu wirken und mit
der Brauchbarkeit des „-zizwpör aliguici Kg-fret" eine Probe anzustellen.
„Blätter aus der preußischen Geschichte" sind die 433 S. des dritten
Bandes nicht zu nennen, drei Viertheil von ihnen hat es nicht mit Geschichte,
sondern mit Geschichten und Geschichtchen zu thun. Mittheilungen über das
Verhältniß des Königs und der Prinzen zu den einzelnen Herren und Damen
ihrer Umgebung, Beiträge zur Geschichte der demagogischen Umtriebe und
ihrer Untersuchung, Notizen über Bücher, Zeitungsartikel und Theaterstücke,
welche Sensation machten oder zu Machen schienen, im günstigsten Fall In¬
diskretionen über das G/triebe der diplomatischen Welt, das ist im Grunde
Alles was wir erfahren. Die großen Themata sind die Personalverände¬
rungen zu Neujahr und zu Königs Geburtstag und die einzelnen Phasen
Grenzboten I. 1869. 35
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |