Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.veranschaulicht an den großen Erfahrungen eines einzigen Hauses, in dem Ebenso ernsten Charakter, wiewohl immer in jener Sanftheit, an welche Besonders häufig wird der Tod geschildert, der den Heroen widerfährt, Wie die Verfasser prosaischer und metrischer Grabinschriften nach der 32*
veranschaulicht an den großen Erfahrungen eines einzigen Hauses, in dem Ebenso ernsten Charakter, wiewohl immer in jener Sanftheit, an welche Besonders häufig wird der Tod geschildert, der den Heroen widerfährt, Wie die Verfasser prosaischer und metrischer Grabinschriften nach der 32*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0263" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120452"/> <p xml:id="ID_751" prev="#ID_750"> veranschaulicht an den großen Erfahrungen eines einzigen Hauses, in dem<lb/> leidvollen Leben des Oedipus oder dem wechselvollen Geschick der Familie<lb/> des Agamemnon, von der Tödtung des Aegisth und der Klytämnestra durch<lb/> Orest an bis zur Sühnung des Hauses durch die allein reine Iphigenie.</p><lb/> <p xml:id="ID_752"> Ebenso ernsten Charakter, wiewohl immer in jener Sanftheit, an welche<lb/> sich der griechische Schönheitssinn gebunden fühlte, tragen dann die Dar¬<lb/> stellungen, die sich auf den Tod selbst beziehen. Hieher gehören die Er¬<lb/> zählungen von Liebesverhältnissen der Götter zu den Sterblichen. Wenn<lb/> Kora von Pluton hinweggeraubt wird und Demeter sie vergebens sucht,<lb/> wenn der schöne Hylas von den auftauchenden Nymphen hinab in die Quellen<lb/> gezogen, Ganymedes vom Adler in die Höhe gehoben wird, so tritt neben<lb/> dem poetischen Eindrucke dieser euphemistischen Umschreibungen des Sterbens<lb/> der religiöse Gedanke entgegen, daß es die Liebe der Götter ist, die den<lb/> Sterblichen aus der gegenwärtigen Welt hinwegnimmt, ein Gedanke, der in<lb/> mancherlei Formen durch das ganze Alterthum hindurchsptelt> von dem be¬<lb/> rühmten Chor im sophokleischen Oedipus auf Kolonos an: „Nie geboren zu<lb/> sein, o Mensch, ist das höchste, das größte Glück, aber dafern Du das Licht<lb/> erblickt, acht' als bestes, dahin zu gehn wieder, von wannen du kamst,<lb/> mit Eilschritt!"</p><lb/> <p xml:id="ID_753"> Besonders häufig wird der Tod geschildert, der den Heroen widerfährt,<lb/> offenbar als Trost, daß er allgemeines Loos auch der Besten ist. So schaut<lb/> Narkissos todesmüde sein eignes Bild in der Quelle, worin er sein Ende<lb/> finden wird; Herakles ruht auf dem lodernden Scheiterhaufen, um nach der<lb/> Arbeit seines Lebens der Unsterblichkeit theilhaftig zu werden; Ntobe steht<lb/> geängstet und hilflos unter der Schaar ihrer Kinder, welche die Pfeile der<lb/> erzürnten Götter treffen; Hector wird von den Seinen todt vom Schlacht¬<lb/> felde hinweggetragen und Andromache stürzt mit ausgebreiteten Armen auf<lb/> ihn zu. hervor aus dem Thore von Ilion. — Unter den Darstellungen, die<lb/> sich mit größerer oder geringerer Bestimmtheit auf den Zustand nach dem<lb/> Tode beziehen, kommen selten Schilderungen vor, welche die Schrecken des<lb/> Tartaros vorführen oder daran erinnern, wie etwa die durch Frevel an der<lb/> Gottheit verschuldeten Leiden eines Marsyas oder Aktäon.</p><lb/> <p xml:id="ID_754" next="#ID_755"> Wie die Verfasser prosaischer und metrischer Grabinschriften nach der<lb/> Weise der Dichter nicht müde werden, den Tod mit dem Schlafe, das Sterben<lb/> mit dem Einschlummern, die Todten mit Ermüdeten zu vergleichen, so lassen<lb/> die Sarkophagarbeiter sich kaum eine Gelegenheit entgehen, Schlafende dar¬<lb/> zustellen. Eros vor allem schläft, ausgestreckt auf seiner Löwenhaut, sitzend<lb/> aufs Knie geneigt, oder er lehnt stehend das müde Haupt auf die Schulter<lb/> Besonders häufig kehrt die Figur einer Nymphe wieder, die über dem Rieseln<lb/> der Quelle, die aus ihrer Urne strömt, in Schlummer gesunken ist. Und mit</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0263]
veranschaulicht an den großen Erfahrungen eines einzigen Hauses, in dem
leidvollen Leben des Oedipus oder dem wechselvollen Geschick der Familie
des Agamemnon, von der Tödtung des Aegisth und der Klytämnestra durch
Orest an bis zur Sühnung des Hauses durch die allein reine Iphigenie.
Ebenso ernsten Charakter, wiewohl immer in jener Sanftheit, an welche
sich der griechische Schönheitssinn gebunden fühlte, tragen dann die Dar¬
stellungen, die sich auf den Tod selbst beziehen. Hieher gehören die Er¬
zählungen von Liebesverhältnissen der Götter zu den Sterblichen. Wenn
Kora von Pluton hinweggeraubt wird und Demeter sie vergebens sucht,
wenn der schöne Hylas von den auftauchenden Nymphen hinab in die Quellen
gezogen, Ganymedes vom Adler in die Höhe gehoben wird, so tritt neben
dem poetischen Eindrucke dieser euphemistischen Umschreibungen des Sterbens
der religiöse Gedanke entgegen, daß es die Liebe der Götter ist, die den
Sterblichen aus der gegenwärtigen Welt hinwegnimmt, ein Gedanke, der in
mancherlei Formen durch das ganze Alterthum hindurchsptelt> von dem be¬
rühmten Chor im sophokleischen Oedipus auf Kolonos an: „Nie geboren zu
sein, o Mensch, ist das höchste, das größte Glück, aber dafern Du das Licht
erblickt, acht' als bestes, dahin zu gehn wieder, von wannen du kamst,
mit Eilschritt!"
Besonders häufig wird der Tod geschildert, der den Heroen widerfährt,
offenbar als Trost, daß er allgemeines Loos auch der Besten ist. So schaut
Narkissos todesmüde sein eignes Bild in der Quelle, worin er sein Ende
finden wird; Herakles ruht auf dem lodernden Scheiterhaufen, um nach der
Arbeit seines Lebens der Unsterblichkeit theilhaftig zu werden; Ntobe steht
geängstet und hilflos unter der Schaar ihrer Kinder, welche die Pfeile der
erzürnten Götter treffen; Hector wird von den Seinen todt vom Schlacht¬
felde hinweggetragen und Andromache stürzt mit ausgebreiteten Armen auf
ihn zu. hervor aus dem Thore von Ilion. — Unter den Darstellungen, die
sich mit größerer oder geringerer Bestimmtheit auf den Zustand nach dem
Tode beziehen, kommen selten Schilderungen vor, welche die Schrecken des
Tartaros vorführen oder daran erinnern, wie etwa die durch Frevel an der
Gottheit verschuldeten Leiden eines Marsyas oder Aktäon.
Wie die Verfasser prosaischer und metrischer Grabinschriften nach der
Weise der Dichter nicht müde werden, den Tod mit dem Schlafe, das Sterben
mit dem Einschlummern, die Todten mit Ermüdeten zu vergleichen, so lassen
die Sarkophagarbeiter sich kaum eine Gelegenheit entgehen, Schlafende dar¬
zustellen. Eros vor allem schläft, ausgestreckt auf seiner Löwenhaut, sitzend
aufs Knie geneigt, oder er lehnt stehend das müde Haupt auf die Schulter
Besonders häufig kehrt die Figur einer Nymphe wieder, die über dem Rieseln
der Quelle, die aus ihrer Urne strömt, in Schlummer gesunken ist. Und mit
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