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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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giment der Companschen Division waren, als man in Minsk Musterung
hielt, nur noch einige hundert Mann übrig, der Rest schwärmte umher und
marodirte; ein Obrist Chlusowicz. der Zeuge dieses Auftritts war. prophe¬
zeite schon damals, "daß der Kaiser in den Fehler Karl's XII- verfallen
werde" -- Litthauen und Polen geplündert und unorganisirt hinter sich
lassen, heiße einen Zustand herbeiführen, wo der mindeste "Echee" die Armee
ins Verderben stürzen könne. -- Bei der Überschreitung des Don war die
Zahl der Nachzügler so bedeutend, daß 400 derselben allein dem Regiment
zugezählt wurden, in welchem Brandt diente und daß die "lüderliche Zucht"
in der Armee und Verwaltung bereits das öffentliche Gespräch der Officiers-
kreise war. "Fürs Erste wird Alles gut gehen", sagten die älteren Officiere.
als man in Dubrowna Rast hielt, "aber der Russe führt nur Krieg, wenn
seine Flüsse und Moräste mit Eis belegt sind. Was soll dann aus der Armee
werden, in einem Lande, das die Marodeurs ausgeplündert und gegen uns
aufgebracht haben?"

Noch schlimmer wird der Zustand von dem Tage an, da Napoleon das
eroberte Moskau der Plünderung seiner Truppen preisgegeben und damit
der wankenden Subordination den letzten Stoß ertheilt hat. Nicht nur
daß die unermeßlichen Vorräthe der russischen Hauptstadt, welche eine aus¬
reichende Neuverproviantirung möglich gemacht hätten, nutzlos verschleudert
und vernichtet wurden, von dem Augenblick an, da die Soldaten ihre Taschen
mit Raub gefüllt hatten, dachte Niemand mehr daran, daß sein eignes Heil
von dem des Ganzen und von dem Gehorsam gegen die militärische Ordnung
bedingt sei, Jeder war nur auf die Rettung seiner Beute bedacht und ein
großer Theil der intact gebliebenen Regimenter löste sich gerade in Moskau,
wo man Ruhe finden und sich sammeln sollte, in Marodeur-Banden auf-
Während Alles noch im Genuß der geraubten Schätze schwelgte und von
einem Friedensschluß träumte, sagte Obrist Malszewski. ein Pole, der mit
der russischen Geschichte und Kriegsführung genau bekannt war. dem Ver¬
fasser, er sei überzeugt, daß die Armee so gut wie verloren sei. "Wir haben
die Spur der Russen vollständig verloren. Moskau mit seinen Hilfsmitteln
ist hin, die Armee demoralisirt, die Cavallerie ruinirt -- überrascht uns
setzt der Winter, so ist bei allem Genie des Kaisers eine Katastrophe un¬
vermeidlich.....Als vor 200 Jahren die Polen den Kreml besetzten, lei-
teten die Russen von Tula und Kaluga her die Befreiung ihres Vater¬
landes ein."

Während die Hauptarmee noch in Moskau stand, wurde Brandt in einem
Vorpostengesecht am Fußgelenk so schwer verwundet, daß er den ganzen Ruck,
zug als Invalide mitmachen mußte. Mit einem Krankentransport wurde er


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giment der Companschen Division waren, als man in Minsk Musterung
hielt, nur noch einige hundert Mann übrig, der Rest schwärmte umher und
marodirte; ein Obrist Chlusowicz. der Zeuge dieses Auftritts war. prophe¬
zeite schon damals, „daß der Kaiser in den Fehler Karl's XII- verfallen
werde" — Litthauen und Polen geplündert und unorganisirt hinter sich
lassen, heiße einen Zustand herbeiführen, wo der mindeste „Echee" die Armee
ins Verderben stürzen könne. — Bei der Überschreitung des Don war die
Zahl der Nachzügler so bedeutend, daß 400 derselben allein dem Regiment
zugezählt wurden, in welchem Brandt diente und daß die „lüderliche Zucht"
in der Armee und Verwaltung bereits das öffentliche Gespräch der Officiers-
kreise war. „Fürs Erste wird Alles gut gehen", sagten die älteren Officiere.
als man in Dubrowna Rast hielt, „aber der Russe führt nur Krieg, wenn
seine Flüsse und Moräste mit Eis belegt sind. Was soll dann aus der Armee
werden, in einem Lande, das die Marodeurs ausgeplündert und gegen uns
aufgebracht haben?"

Noch schlimmer wird der Zustand von dem Tage an, da Napoleon das
eroberte Moskau der Plünderung seiner Truppen preisgegeben und damit
der wankenden Subordination den letzten Stoß ertheilt hat. Nicht nur
daß die unermeßlichen Vorräthe der russischen Hauptstadt, welche eine aus¬
reichende Neuverproviantirung möglich gemacht hätten, nutzlos verschleudert
und vernichtet wurden, von dem Augenblick an, da die Soldaten ihre Taschen
mit Raub gefüllt hatten, dachte Niemand mehr daran, daß sein eignes Heil
von dem des Ganzen und von dem Gehorsam gegen die militärische Ordnung
bedingt sei, Jeder war nur auf die Rettung seiner Beute bedacht und ein
großer Theil der intact gebliebenen Regimenter löste sich gerade in Moskau,
wo man Ruhe finden und sich sammeln sollte, in Marodeur-Banden auf-
Während Alles noch im Genuß der geraubten Schätze schwelgte und von
einem Friedensschluß träumte, sagte Obrist Malszewski. ein Pole, der mit
der russischen Geschichte und Kriegsführung genau bekannt war. dem Ver¬
fasser, er sei überzeugt, daß die Armee so gut wie verloren sei. „Wir haben
die Spur der Russen vollständig verloren. Moskau mit seinen Hilfsmitteln
ist hin, die Armee demoralisirt, die Cavallerie ruinirt — überrascht uns
setzt der Winter, so ist bei allem Genie des Kaisers eine Katastrophe un¬
vermeidlich.....Als vor 200 Jahren die Polen den Kreml besetzten, lei-
teten die Russen von Tula und Kaluga her die Befreiung ihres Vater¬
landes ein."

Während die Hauptarmee noch in Moskau stand, wurde Brandt in einem
Vorpostengesecht am Fußgelenk so schwer verwundet, daß er den ganzen Ruck,
zug als Invalide mitmachen mußte. Mit einem Krankentransport wurde er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/247>, abgerufen am 28.09.2024.