Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Hauptsache aber ist, daß der Staat bei der Verfassung der katholischen
Kirche nur unvollständige Mittel besitzt, das gesammte bewegliche Vermögen
der geistlichen Stiftungen in seine Hand zu bekommen. Die moderne Ent¬
wickelung des Geldverkehrs und des Effectenhandels ist nicht am wenigsten
den geistlichen Corporationen zu Gute gekommen. Durch ganz Europa ziehen
sich in unübersehbarem Netzgeflecht die Geldoperationen und Bankgeschäfte
der frommen Herrn: über Oestreich hinaus, sogar in das protestantische
Leipzig, wo sie die stillen Unternehmer und Capitalien einer Bank sind, nach
den Niederlanden und Belgien, ihrem Hauptsitz, von da nach Paris und
soaar in die Bank von England. So lange die Zuwendungen und Erspar¬
nisse einer geistlichen Corporation in liegenden Gründen und Hypotheken
angelegt wurden, waren sie leicht zu übersehen; jetzt hütet sich die Geistlichkeit
vor solchen Anlagen, Vieles geht nach dem Ausland unter fingirten Namen,
unter Aussicht treuer Verwalter, durch die kluge Benutzung der raffinirtesten
Mittel modernen Geldverkehrs jeder Controle enthoben. Der National¬
ökonom und der Staatsmann werden vielleicht in diesem Sachverhältniß einen
neuen zwingenden Grund finden, ferneren Zuwendungen an die todte Hand zu
steuern und alle Corporationen aufzuheben, deren Princip und Organisation
eine geheime Aufsammlung von Werthmassen und eine Verwendung derselben
zu socialen und politischen Zwecken möglich macht, welche sich jeder staatlichen
Beaufsichtigung entziehen. In Oestreich sind übrigens nur einige Stifter in
der Lage große Capitalien anzulegen.

Endlich aber wäre ja der Erlös aus unsern säcularisirten Stiftern nicht
einmal reiner Gewinn. Denn offenbar müßte aus demselben Vieles geleistet
werden, was bisher von den Stiftern bestritten worden ist. Der Staat
müßte zunächst auf Rechnung dieses Erlosch die jetzt von den Stiftern
unterhaltenen Is Gymnasien und 4 Realschulen übernehmen. Angenommen
ein Gymnasium koste Alles in Allem 10.000 Gulden, so würde schon dadurch ein
Aufwand von 200.000 Gulden jährlich entstehen. Dann sind die 452 Pfarreien
und 410 anderen Seelsorgstationen, welche der Staat dann gleichfalls über¬
nehmen müßte. Aligesehen davon, daß man den jetzt in den Stiftern lebenden
Sustentationsmittel, wenn auch noch so geringe, nicht verweigern könnte?
Ob die Zinsen des Erlosch aus dem Stiftsvermögen wohl hinreichen würden,
die Lasten, welche man zugleich mit in den Kauf nehmen müßte, zu com-
pensiren?

Endlich müßte der Staat die gegenwärtigen Mitglieder der geistlichen
Corporationen ernähren. Sie würden ihm wahrscheinlich mehr kosten, als
jetzt den Orden, falls man sie nicht, wie Joseph II.. zu Proletariern machte.
Denn jetzt vermindert allerdings die mönchische Hausordnung und das Zu¬
sammenleben die Kosten. Die Kleidung der Mitglieder ist einfach, die Ein-


Die Hauptsache aber ist, daß der Staat bei der Verfassung der katholischen
Kirche nur unvollständige Mittel besitzt, das gesammte bewegliche Vermögen
der geistlichen Stiftungen in seine Hand zu bekommen. Die moderne Ent¬
wickelung des Geldverkehrs und des Effectenhandels ist nicht am wenigsten
den geistlichen Corporationen zu Gute gekommen. Durch ganz Europa ziehen
sich in unübersehbarem Netzgeflecht die Geldoperationen und Bankgeschäfte
der frommen Herrn: über Oestreich hinaus, sogar in das protestantische
Leipzig, wo sie die stillen Unternehmer und Capitalien einer Bank sind, nach
den Niederlanden und Belgien, ihrem Hauptsitz, von da nach Paris und
soaar in die Bank von England. So lange die Zuwendungen und Erspar¬
nisse einer geistlichen Corporation in liegenden Gründen und Hypotheken
angelegt wurden, waren sie leicht zu übersehen; jetzt hütet sich die Geistlichkeit
vor solchen Anlagen, Vieles geht nach dem Ausland unter fingirten Namen,
unter Aussicht treuer Verwalter, durch die kluge Benutzung der raffinirtesten
Mittel modernen Geldverkehrs jeder Controle enthoben. Der National¬
ökonom und der Staatsmann werden vielleicht in diesem Sachverhältniß einen
neuen zwingenden Grund finden, ferneren Zuwendungen an die todte Hand zu
steuern und alle Corporationen aufzuheben, deren Princip und Organisation
eine geheime Aufsammlung von Werthmassen und eine Verwendung derselben
zu socialen und politischen Zwecken möglich macht, welche sich jeder staatlichen
Beaufsichtigung entziehen. In Oestreich sind übrigens nur einige Stifter in
der Lage große Capitalien anzulegen.

Endlich aber wäre ja der Erlös aus unsern säcularisirten Stiftern nicht
einmal reiner Gewinn. Denn offenbar müßte aus demselben Vieles geleistet
werden, was bisher von den Stiftern bestritten worden ist. Der Staat
müßte zunächst auf Rechnung dieses Erlosch die jetzt von den Stiftern
unterhaltenen Is Gymnasien und 4 Realschulen übernehmen. Angenommen
ein Gymnasium koste Alles in Allem 10.000 Gulden, so würde schon dadurch ein
Aufwand von 200.000 Gulden jährlich entstehen. Dann sind die 452 Pfarreien
und 410 anderen Seelsorgstationen, welche der Staat dann gleichfalls über¬
nehmen müßte. Aligesehen davon, daß man den jetzt in den Stiftern lebenden
Sustentationsmittel, wenn auch noch so geringe, nicht verweigern könnte?
Ob die Zinsen des Erlosch aus dem Stiftsvermögen wohl hinreichen würden,
die Lasten, welche man zugleich mit in den Kauf nehmen müßte, zu com-
pensiren?

Endlich müßte der Staat die gegenwärtigen Mitglieder der geistlichen
Corporationen ernähren. Sie würden ihm wahrscheinlich mehr kosten, als
jetzt den Orden, falls man sie nicht, wie Joseph II.. zu Proletariern machte.
Denn jetzt vermindert allerdings die mönchische Hausordnung und das Zu¬
sammenleben die Kosten. Die Kleidung der Mitglieder ist einfach, die Ein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120391"/>
          <p xml:id="ID_587"> Die Hauptsache aber ist, daß der Staat bei der Verfassung der katholischen<lb/>
Kirche nur unvollständige Mittel besitzt, das gesammte bewegliche Vermögen<lb/>
der geistlichen Stiftungen in seine Hand zu bekommen. Die moderne Ent¬<lb/>
wickelung des Geldverkehrs und des Effectenhandels ist nicht am wenigsten<lb/>
den geistlichen Corporationen zu Gute gekommen. Durch ganz Europa ziehen<lb/>
sich in unübersehbarem Netzgeflecht die Geldoperationen und Bankgeschäfte<lb/>
der frommen Herrn: über Oestreich hinaus, sogar in das protestantische<lb/>
Leipzig, wo sie die stillen Unternehmer und Capitalien einer Bank sind, nach<lb/>
den Niederlanden und Belgien, ihrem Hauptsitz, von da nach Paris und<lb/>
soaar in die Bank von England. So lange die Zuwendungen und Erspar¬<lb/>
nisse einer geistlichen Corporation in liegenden Gründen und Hypotheken<lb/>
angelegt wurden, waren sie leicht zu übersehen; jetzt hütet sich die Geistlichkeit<lb/>
vor solchen Anlagen, Vieles geht nach dem Ausland unter fingirten Namen,<lb/>
unter Aussicht treuer Verwalter, durch die kluge Benutzung der raffinirtesten<lb/>
Mittel modernen Geldverkehrs jeder Controle enthoben. Der National¬<lb/>
ökonom und der Staatsmann werden vielleicht in diesem Sachverhältniß einen<lb/>
neuen zwingenden Grund finden, ferneren Zuwendungen an die todte Hand zu<lb/>
steuern und alle Corporationen aufzuheben, deren Princip und Organisation<lb/>
eine geheime Aufsammlung von Werthmassen und eine Verwendung derselben<lb/>
zu socialen und politischen Zwecken möglich macht, welche sich jeder staatlichen<lb/>
Beaufsichtigung entziehen. In Oestreich sind übrigens nur einige Stifter in<lb/>
der Lage große Capitalien anzulegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_588"> Endlich aber wäre ja der Erlös aus unsern säcularisirten Stiftern nicht<lb/>
einmal reiner Gewinn. Denn offenbar müßte aus demselben Vieles geleistet<lb/>
werden, was bisher von den Stiftern bestritten worden ist. Der Staat<lb/>
müßte zunächst auf Rechnung dieses Erlosch die jetzt von den Stiftern<lb/>
unterhaltenen Is Gymnasien und 4 Realschulen übernehmen. Angenommen<lb/>
ein Gymnasium koste Alles in Allem 10.000 Gulden, so würde schon dadurch ein<lb/>
Aufwand von 200.000 Gulden jährlich entstehen. Dann sind die 452 Pfarreien<lb/>
und 410 anderen Seelsorgstationen, welche der Staat dann gleichfalls über¬<lb/>
nehmen müßte. Aligesehen davon, daß man den jetzt in den Stiftern lebenden<lb/>
Sustentationsmittel, wenn auch noch so geringe, nicht verweigern könnte?<lb/>
Ob die Zinsen des Erlosch aus dem Stiftsvermögen wohl hinreichen würden,<lb/>
die Lasten, welche man zugleich mit in den Kauf nehmen müßte, zu com-<lb/>
pensiren?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_589" next="#ID_590"> Endlich müßte der Staat die gegenwärtigen Mitglieder der geistlichen<lb/>
Corporationen ernähren. Sie würden ihm wahrscheinlich mehr kosten, als<lb/>
jetzt den Orden, falls man sie nicht, wie Joseph II.. zu Proletariern machte.<lb/>
Denn jetzt vermindert allerdings die mönchische Hausordnung und das Zu¬<lb/>
sammenleben die Kosten.  Die Kleidung der Mitglieder ist einfach, die Ein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Die Hauptsache aber ist, daß der Staat bei der Verfassung der katholischen Kirche nur unvollständige Mittel besitzt, das gesammte bewegliche Vermögen der geistlichen Stiftungen in seine Hand zu bekommen. Die moderne Ent¬ wickelung des Geldverkehrs und des Effectenhandels ist nicht am wenigsten den geistlichen Corporationen zu Gute gekommen. Durch ganz Europa ziehen sich in unübersehbarem Netzgeflecht die Geldoperationen und Bankgeschäfte der frommen Herrn: über Oestreich hinaus, sogar in das protestantische Leipzig, wo sie die stillen Unternehmer und Capitalien einer Bank sind, nach den Niederlanden und Belgien, ihrem Hauptsitz, von da nach Paris und soaar in die Bank von England. So lange die Zuwendungen und Erspar¬ nisse einer geistlichen Corporation in liegenden Gründen und Hypotheken angelegt wurden, waren sie leicht zu übersehen; jetzt hütet sich die Geistlichkeit vor solchen Anlagen, Vieles geht nach dem Ausland unter fingirten Namen, unter Aussicht treuer Verwalter, durch die kluge Benutzung der raffinirtesten Mittel modernen Geldverkehrs jeder Controle enthoben. Der National¬ ökonom und der Staatsmann werden vielleicht in diesem Sachverhältniß einen neuen zwingenden Grund finden, ferneren Zuwendungen an die todte Hand zu steuern und alle Corporationen aufzuheben, deren Princip und Organisation eine geheime Aufsammlung von Werthmassen und eine Verwendung derselben zu socialen und politischen Zwecken möglich macht, welche sich jeder staatlichen Beaufsichtigung entziehen. In Oestreich sind übrigens nur einige Stifter in der Lage große Capitalien anzulegen. Endlich aber wäre ja der Erlös aus unsern säcularisirten Stiftern nicht einmal reiner Gewinn. Denn offenbar müßte aus demselben Vieles geleistet werden, was bisher von den Stiftern bestritten worden ist. Der Staat müßte zunächst auf Rechnung dieses Erlosch die jetzt von den Stiftern unterhaltenen Is Gymnasien und 4 Realschulen übernehmen. Angenommen ein Gymnasium koste Alles in Allem 10.000 Gulden, so würde schon dadurch ein Aufwand von 200.000 Gulden jährlich entstehen. Dann sind die 452 Pfarreien und 410 anderen Seelsorgstationen, welche der Staat dann gleichfalls über¬ nehmen müßte. Aligesehen davon, daß man den jetzt in den Stiftern lebenden Sustentationsmittel, wenn auch noch so geringe, nicht verweigern könnte? Ob die Zinsen des Erlosch aus dem Stiftsvermögen wohl hinreichen würden, die Lasten, welche man zugleich mit in den Kauf nehmen müßte, zu com- pensiren? Endlich müßte der Staat die gegenwärtigen Mitglieder der geistlichen Corporationen ernähren. Sie würden ihm wahrscheinlich mehr kosten, als jetzt den Orden, falls man sie nicht, wie Joseph II.. zu Proletariern machte. Denn jetzt vermindert allerdings die mönchische Hausordnung und das Zu¬ sammenleben die Kosten. Die Kleidung der Mitglieder ist einfach, die Ein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/202>, abgerufen am 28.09.2024.