Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.der formalen Hermeneutik und der Sprachkunde erfahren hat, dargestellt. Er Wir glauben dem großen Gegenstande, mit dem eine Geschichtschreibung der formalen Hermeneutik und der Sprachkunde erfahren hat, dargestellt. Er Wir glauben dem großen Gegenstande, mit dem eine Geschichtschreibung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120373"/> <p xml:id="ID_528" prev="#ID_527"> der formalen Hermeneutik und der Sprachkunde erfahren hat, dargestellt. Er<lb/> verweilt mit Vorliebe bei Bengel's Gnomon; da, wo die gegen die Schrift<lb/> eingetretene kritische Bewegung nach Semler's Vorgang ernst wird, vernimmt<lb/> man vom Gang derselben nichts Rechtes mehr und lernt man kaum den<lb/> Namen des Altmeisters aller biblischen Kritik kennen, bis zuletzt Strauß und<lb/> die tübinger Schule, wie wenn sie die einzigen Schuldigen wären, zu einem<lb/> förmlichen Jnquisitionsproceß mit reichlichen Suggestionen herhalten müssen.<lb/> Dem Verf. hätte besser gelassen, einen kurzen objectiven Ueberblick über die<lb/> Einleitungen ins A. u. N. T., über die Untersuchungen über die Abfassungs¬<lb/> zeit und die Authenticität der namhafterer biblischen Schriften, die Er¬<lb/> klärungsweise der Wundererzählungen zu geben: mit der bloßen Darstellung<lb/> des Sachverhalts bekennt der Geschichtschreiber sich ja noch nicht zu einer be¬<lb/> stimmten individuellen Ueberzeugung.</p><lb/> <p xml:id="ID_529" next="#ID_530"> Wir glauben dem großen Gegenstande, mit dem eine Geschichtschreibung<lb/> des Protestantismus zu thun hat, zu dienen, wenn wir aus Anlaß der<lb/> Dörner'schen Periodisirung, die von ihrem Urheber — Dank ihrer subjectiven<lb/> Entstehung und Haltung — nirgends näher begründet ist, eine eigene versuchen.<lb/> Der Protestantismus — darin stimmen wir mit dem Herrn Verf. überein —<lb/> hat drei Perioden durchlaufen, die wir mit ihm im Allgemeinen ungefähr<lb/> gleich ansehen, wenn wir in ihnen Thesis, Antithesis, Synthesis erblicken, wie<lb/> sich dieses an der Ueberschrift seiner dritten Periode: „Regeneration der evan¬<lb/> gelischen Theologie", bei uns etwa „Regeneration des evangelischen Ethos",<lb/> zeigen mag. Was uns aber von Herrn Dörner unterscheidet, das ist unser<lb/> Rückgang von den sogenannten Principien der Reformation zurück auf das<lb/> Bewußtsein, das dieselben aufstellte. So ist für uns die erste Periode,<lb/> die der Verf. blos formal als Urzeit des Protestantismus bestimmt und mit der<lb/> Concordienformel und der Synode von Dortrecht abschließt, die der Selbst¬<lb/> gewißheit des naivreligiösen Subjects und hört dieselbe für uns erst<lb/> mit der völligen Ausbildung der kirchlichen Glaubenssysteme auf. Unser Gegner<lb/> wendet von seinem Standpunkt aus ein, daß mit der Orthodoxie, wie er es<lb/> in der Fixirung seiner zweiten Periode angibt, die Wiederauflösung der Ein¬<lb/> heit des reformatorischen Princips, besser der Principien, eingetreten sei. Er<lb/> sucht nachzuweisen, daß dort das formale Princip in der Ausbildung und<lb/> bekannten Uebertreibung der Lehren von Schriftinspiration, bindenden Sym¬<lb/> bolen, magisch wirkenden Sacramenten, geistlicher Amtsgnade vollständig<lb/> das Materials überwuchert habe, wie denn von nun an die Lehre von der<lb/> Rechtfertigung durch den Glauben kein Centraldogma geblieben, sondern eben<lb/> ein Dogma neben andern geworden sei. Gut; aber ist darum das anthro¬<lb/> pologische Element der Rechtfertigung, die Form des Bewußtseins, der Ha¬<lb/> bitus desselben ein anderer, sein Selbstgefühl und sein Gott- und Selbst-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0184]
der formalen Hermeneutik und der Sprachkunde erfahren hat, dargestellt. Er
verweilt mit Vorliebe bei Bengel's Gnomon; da, wo die gegen die Schrift
eingetretene kritische Bewegung nach Semler's Vorgang ernst wird, vernimmt
man vom Gang derselben nichts Rechtes mehr und lernt man kaum den
Namen des Altmeisters aller biblischen Kritik kennen, bis zuletzt Strauß und
die tübinger Schule, wie wenn sie die einzigen Schuldigen wären, zu einem
förmlichen Jnquisitionsproceß mit reichlichen Suggestionen herhalten müssen.
Dem Verf. hätte besser gelassen, einen kurzen objectiven Ueberblick über die
Einleitungen ins A. u. N. T., über die Untersuchungen über die Abfassungs¬
zeit und die Authenticität der namhafterer biblischen Schriften, die Er¬
klärungsweise der Wundererzählungen zu geben: mit der bloßen Darstellung
des Sachverhalts bekennt der Geschichtschreiber sich ja noch nicht zu einer be¬
stimmten individuellen Ueberzeugung.
Wir glauben dem großen Gegenstande, mit dem eine Geschichtschreibung
des Protestantismus zu thun hat, zu dienen, wenn wir aus Anlaß der
Dörner'schen Periodisirung, die von ihrem Urheber — Dank ihrer subjectiven
Entstehung und Haltung — nirgends näher begründet ist, eine eigene versuchen.
Der Protestantismus — darin stimmen wir mit dem Herrn Verf. überein —
hat drei Perioden durchlaufen, die wir mit ihm im Allgemeinen ungefähr
gleich ansehen, wenn wir in ihnen Thesis, Antithesis, Synthesis erblicken, wie
sich dieses an der Ueberschrift seiner dritten Periode: „Regeneration der evan¬
gelischen Theologie", bei uns etwa „Regeneration des evangelischen Ethos",
zeigen mag. Was uns aber von Herrn Dörner unterscheidet, das ist unser
Rückgang von den sogenannten Principien der Reformation zurück auf das
Bewußtsein, das dieselben aufstellte. So ist für uns die erste Periode,
die der Verf. blos formal als Urzeit des Protestantismus bestimmt und mit der
Concordienformel und der Synode von Dortrecht abschließt, die der Selbst¬
gewißheit des naivreligiösen Subjects und hört dieselbe für uns erst
mit der völligen Ausbildung der kirchlichen Glaubenssysteme auf. Unser Gegner
wendet von seinem Standpunkt aus ein, daß mit der Orthodoxie, wie er es
in der Fixirung seiner zweiten Periode angibt, die Wiederauflösung der Ein¬
heit des reformatorischen Princips, besser der Principien, eingetreten sei. Er
sucht nachzuweisen, daß dort das formale Princip in der Ausbildung und
bekannten Uebertreibung der Lehren von Schriftinspiration, bindenden Sym¬
bolen, magisch wirkenden Sacramenten, geistlicher Amtsgnade vollständig
das Materials überwuchert habe, wie denn von nun an die Lehre von der
Rechtfertigung durch den Glauben kein Centraldogma geblieben, sondern eben
ein Dogma neben andern geworden sei. Gut; aber ist darum das anthro¬
pologische Element der Rechtfertigung, die Form des Bewußtseins, der Ha¬
bitus desselben ein anderer, sein Selbstgefühl und sein Gott- und Selbst-
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