Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine größere Kunst der Rede erworben, sondern er hat auch das Mittel ge¬
funden, ein gleichgiltiges, verderbtes Geschlecht an seine Rede zu fesseln. Er
kommt als Prophet wieder. Wie sonst erhebt er den Ruf zur Buße, aber
er weiß ihm jetzt ganz anderen Nachdruck zu geben, indem er der Phantasie
seiner Zuhörer die Dinge vor Augen rückt, die unmittelbar über sie herein¬
brechen werden. Er weiß, daß ihm besondere übernatürliche Gaben verliehen
sind, in schrecklichen Traumgesichten redet die Gottheit zu ihm und diese Ge¬
sichte wirft er mit furchtbarer Deutlichkeit ausgemalt unter die entsetzte Menge.

Und dies war allerdings ein Mittel, auch den Spott der Florentiner
zu überwinden. Denn eng mit dem herrschenden Heidenthum hing zugleich
jene abergläubische Furcht zusammen, die wie eine unheimliche Wolke über
der Festfreude der Medicäerstadt schwebte. Das war die Kehrseite der
humanistischen Aufklärung, die sich so sicher auf Platon und Aristoteles ge¬
gründet wähnte. Die Gebildetsten glaubten an Geister und Traumgesichte,
an den Einfluß der Gestirne, an die verborgenen Kräfte der Steine und
der Thiere. Ein Vorgefühl großer Veränderungen und schwerer Unglücks¬
fälle hatte sich verbreitet, Prophezeiungen waren im Umlauf, daß der Re¬
ligion selbst eine große Umwandlung bevorstehe. Auf diesem Boden fanden
sich die Anknüpfungspunkte für die Predigt des Dominicaners. Alle Ge¬
schichtschreiber bezeugen, daß es die Ankündigung der furchtbaren Straf¬
gerichte Gottes war, was dem Prediger Ruf, Zulauf und schließlich enthu¬
siastische Verehrung verschaffte. Damit war der ganze Charakter seiner
Predigt, vielleicht sein Schicksal entschieden.

In den Fastenpredigten zu San Geminiano hatte er zuerst seine be¬
rühmten drei Sätze verkündigt: die Kirche wird gezüchtigt werden -- dann
erneuert -- und dies wird bald geschehen. Das bildet von nun an den
Kern seiner Predigt, das Ziel seiner krausen, mystischen oder allegorischen
Bibelauslegung. Seine höchste Beredtsamkeit entfaltet sich, wenn er den
Zuhörern vorhält, daß das Strafgericht nahe sei, und indem er seine Ge¬
sichte auslegt, treten die Schicksale, die er ankündigt, in deutliche, greifbare
Scenen auseinander, er prophezeit nicht blos allgemein die Katastrophe, sondern,
indem er sie ausmalt, prophezeit er Dieses und Jenes. Den Tod Lorenzo's
kündigt er an, den Tod des Papstes, den Tod des Königs von Neapel, kurz
bevor diese Ereignisse wirklich nach einander eintreffen. Schon bildet sich eine
Partei um den Mann, der so kundig der Zukunft ist, eine Partei mit ent¬
schlossen demokratischen Grundsätzen, und nun tritt infolge des Todes Lorenzo's
rasch eine Wendung in Italien ein, welche das Gefühl der Unsicherheit, die
Ahnung kommenden Unheils aufs Aeußerste steigert. Die Verderbtheit des
Volks und der Kirche sind so groß, daß das Gericht unmittelbar sein muß.
Eine dunkle Angst bemächtigt sich der Geister und zwingt sie, eng an den


Gr-nzl-vier I. 186i>. 18

eine größere Kunst der Rede erworben, sondern er hat auch das Mittel ge¬
funden, ein gleichgiltiges, verderbtes Geschlecht an seine Rede zu fesseln. Er
kommt als Prophet wieder. Wie sonst erhebt er den Ruf zur Buße, aber
er weiß ihm jetzt ganz anderen Nachdruck zu geben, indem er der Phantasie
seiner Zuhörer die Dinge vor Augen rückt, die unmittelbar über sie herein¬
brechen werden. Er weiß, daß ihm besondere übernatürliche Gaben verliehen
sind, in schrecklichen Traumgesichten redet die Gottheit zu ihm und diese Ge¬
sichte wirft er mit furchtbarer Deutlichkeit ausgemalt unter die entsetzte Menge.

Und dies war allerdings ein Mittel, auch den Spott der Florentiner
zu überwinden. Denn eng mit dem herrschenden Heidenthum hing zugleich
jene abergläubische Furcht zusammen, die wie eine unheimliche Wolke über
der Festfreude der Medicäerstadt schwebte. Das war die Kehrseite der
humanistischen Aufklärung, die sich so sicher auf Platon und Aristoteles ge¬
gründet wähnte. Die Gebildetsten glaubten an Geister und Traumgesichte,
an den Einfluß der Gestirne, an die verborgenen Kräfte der Steine und
der Thiere. Ein Vorgefühl großer Veränderungen und schwerer Unglücks¬
fälle hatte sich verbreitet, Prophezeiungen waren im Umlauf, daß der Re¬
ligion selbst eine große Umwandlung bevorstehe. Auf diesem Boden fanden
sich die Anknüpfungspunkte für die Predigt des Dominicaners. Alle Ge¬
schichtschreiber bezeugen, daß es die Ankündigung der furchtbaren Straf¬
gerichte Gottes war, was dem Prediger Ruf, Zulauf und schließlich enthu¬
siastische Verehrung verschaffte. Damit war der ganze Charakter seiner
Predigt, vielleicht sein Schicksal entschieden.

In den Fastenpredigten zu San Geminiano hatte er zuerst seine be¬
rühmten drei Sätze verkündigt: die Kirche wird gezüchtigt werden — dann
erneuert — und dies wird bald geschehen. Das bildet von nun an den
Kern seiner Predigt, das Ziel seiner krausen, mystischen oder allegorischen
Bibelauslegung. Seine höchste Beredtsamkeit entfaltet sich, wenn er den
Zuhörern vorhält, daß das Strafgericht nahe sei, und indem er seine Ge¬
sichte auslegt, treten die Schicksale, die er ankündigt, in deutliche, greifbare
Scenen auseinander, er prophezeit nicht blos allgemein die Katastrophe, sondern,
indem er sie ausmalt, prophezeit er Dieses und Jenes. Den Tod Lorenzo's
kündigt er an, den Tod des Papstes, den Tod des Königs von Neapel, kurz
bevor diese Ereignisse wirklich nach einander eintreffen. Schon bildet sich eine
Partei um den Mann, der so kundig der Zukunft ist, eine Partei mit ent¬
schlossen demokratischen Grundsätzen, und nun tritt infolge des Todes Lorenzo's
rasch eine Wendung in Italien ein, welche das Gefühl der Unsicherheit, die
Ahnung kommenden Unheils aufs Aeußerste steigert. Die Verderbtheit des
Volks und der Kirche sind so groß, daß das Gericht unmittelbar sein muß.
Eine dunkle Angst bemächtigt sich der Geister und zwingt sie, eng an den


Gr-nzl-vier I. 186i>. 18
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120338"/>
            <p xml:id="ID_434" prev="#ID_433"> eine größere Kunst der Rede erworben, sondern er hat auch das Mittel ge¬<lb/>
funden, ein gleichgiltiges, verderbtes Geschlecht an seine Rede zu fesseln. Er<lb/>
kommt als Prophet wieder. Wie sonst erhebt er den Ruf zur Buße, aber<lb/>
er weiß ihm jetzt ganz anderen Nachdruck zu geben, indem er der Phantasie<lb/>
seiner Zuhörer die Dinge vor Augen rückt, die unmittelbar über sie herein¬<lb/>
brechen werden. Er weiß, daß ihm besondere übernatürliche Gaben verliehen<lb/>
sind, in schrecklichen Traumgesichten redet die Gottheit zu ihm und diese Ge¬<lb/>
sichte wirft er mit furchtbarer Deutlichkeit ausgemalt unter die entsetzte Menge.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_435"> Und dies war allerdings ein Mittel, auch den Spott der Florentiner<lb/>
zu überwinden. Denn eng mit dem herrschenden Heidenthum hing zugleich<lb/>
jene abergläubische Furcht zusammen, die wie eine unheimliche Wolke über<lb/>
der Festfreude der Medicäerstadt schwebte. Das war die Kehrseite der<lb/>
humanistischen Aufklärung, die sich so sicher auf Platon und Aristoteles ge¬<lb/>
gründet wähnte. Die Gebildetsten glaubten an Geister und Traumgesichte,<lb/>
an den Einfluß der Gestirne, an die verborgenen Kräfte der Steine und<lb/>
der Thiere. Ein Vorgefühl großer Veränderungen und schwerer Unglücks¬<lb/>
fälle hatte sich verbreitet, Prophezeiungen waren im Umlauf, daß der Re¬<lb/>
ligion selbst eine große Umwandlung bevorstehe. Auf diesem Boden fanden<lb/>
sich die Anknüpfungspunkte für die Predigt des Dominicaners. Alle Ge¬<lb/>
schichtschreiber bezeugen, daß es die Ankündigung der furchtbaren Straf¬<lb/>
gerichte Gottes war, was dem Prediger Ruf, Zulauf und schließlich enthu¬<lb/>
siastische Verehrung verschaffte. Damit war der ganze Charakter seiner<lb/>
Predigt, vielleicht sein Schicksal entschieden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_436" next="#ID_437"> In den Fastenpredigten zu San Geminiano hatte er zuerst seine be¬<lb/>
rühmten drei Sätze verkündigt: die Kirche wird gezüchtigt werden &#x2014; dann<lb/>
erneuert &#x2014; und dies wird bald geschehen. Das bildet von nun an den<lb/>
Kern seiner Predigt, das Ziel seiner krausen, mystischen oder allegorischen<lb/>
Bibelauslegung. Seine höchste Beredtsamkeit entfaltet sich, wenn er den<lb/>
Zuhörern vorhält, daß das Strafgericht nahe sei, und indem er seine Ge¬<lb/>
sichte auslegt, treten die Schicksale, die er ankündigt, in deutliche, greifbare<lb/>
Scenen auseinander, er prophezeit nicht blos allgemein die Katastrophe, sondern,<lb/>
indem er sie ausmalt, prophezeit er Dieses und Jenes. Den Tod Lorenzo's<lb/>
kündigt er an, den Tod des Papstes, den Tod des Königs von Neapel, kurz<lb/>
bevor diese Ereignisse wirklich nach einander eintreffen. Schon bildet sich eine<lb/>
Partei um den Mann, der so kundig der Zukunft ist, eine Partei mit ent¬<lb/>
schlossen demokratischen Grundsätzen, und nun tritt infolge des Todes Lorenzo's<lb/>
rasch eine Wendung in Italien ein, welche das Gefühl der Unsicherheit, die<lb/>
Ahnung kommenden Unheils aufs Aeußerste steigert. Die Verderbtheit des<lb/>
Volks und der Kirche sind so groß, daß das Gericht unmittelbar sein muß.<lb/>
Eine dunkle Angst bemächtigt sich der Geister und zwingt sie, eng an den</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Gr-nzl-vier I. 186i&gt;. 18</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0149] eine größere Kunst der Rede erworben, sondern er hat auch das Mittel ge¬ funden, ein gleichgiltiges, verderbtes Geschlecht an seine Rede zu fesseln. Er kommt als Prophet wieder. Wie sonst erhebt er den Ruf zur Buße, aber er weiß ihm jetzt ganz anderen Nachdruck zu geben, indem er der Phantasie seiner Zuhörer die Dinge vor Augen rückt, die unmittelbar über sie herein¬ brechen werden. Er weiß, daß ihm besondere übernatürliche Gaben verliehen sind, in schrecklichen Traumgesichten redet die Gottheit zu ihm und diese Ge¬ sichte wirft er mit furchtbarer Deutlichkeit ausgemalt unter die entsetzte Menge. Und dies war allerdings ein Mittel, auch den Spott der Florentiner zu überwinden. Denn eng mit dem herrschenden Heidenthum hing zugleich jene abergläubische Furcht zusammen, die wie eine unheimliche Wolke über der Festfreude der Medicäerstadt schwebte. Das war die Kehrseite der humanistischen Aufklärung, die sich so sicher auf Platon und Aristoteles ge¬ gründet wähnte. Die Gebildetsten glaubten an Geister und Traumgesichte, an den Einfluß der Gestirne, an die verborgenen Kräfte der Steine und der Thiere. Ein Vorgefühl großer Veränderungen und schwerer Unglücks¬ fälle hatte sich verbreitet, Prophezeiungen waren im Umlauf, daß der Re¬ ligion selbst eine große Umwandlung bevorstehe. Auf diesem Boden fanden sich die Anknüpfungspunkte für die Predigt des Dominicaners. Alle Ge¬ schichtschreiber bezeugen, daß es die Ankündigung der furchtbaren Straf¬ gerichte Gottes war, was dem Prediger Ruf, Zulauf und schließlich enthu¬ siastische Verehrung verschaffte. Damit war der ganze Charakter seiner Predigt, vielleicht sein Schicksal entschieden. In den Fastenpredigten zu San Geminiano hatte er zuerst seine be¬ rühmten drei Sätze verkündigt: die Kirche wird gezüchtigt werden — dann erneuert — und dies wird bald geschehen. Das bildet von nun an den Kern seiner Predigt, das Ziel seiner krausen, mystischen oder allegorischen Bibelauslegung. Seine höchste Beredtsamkeit entfaltet sich, wenn er den Zuhörern vorhält, daß das Strafgericht nahe sei, und indem er seine Ge¬ sichte auslegt, treten die Schicksale, die er ankündigt, in deutliche, greifbare Scenen auseinander, er prophezeit nicht blos allgemein die Katastrophe, sondern, indem er sie ausmalt, prophezeit er Dieses und Jenes. Den Tod Lorenzo's kündigt er an, den Tod des Papstes, den Tod des Königs von Neapel, kurz bevor diese Ereignisse wirklich nach einander eintreffen. Schon bildet sich eine Partei um den Mann, der so kundig der Zukunft ist, eine Partei mit ent¬ schlossen demokratischen Grundsätzen, und nun tritt infolge des Todes Lorenzo's rasch eine Wendung in Italien ein, welche das Gefühl der Unsicherheit, die Ahnung kommenden Unheils aufs Aeußerste steigert. Die Verderbtheit des Volks und der Kirche sind so groß, daß das Gericht unmittelbar sein muß. Eine dunkle Angst bemächtigt sich der Geister und zwingt sie, eng an den Gr-nzl-vier I. 186i>. 18

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/149
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/149>, abgerufen am 28.09.2024.