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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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durch sein unruhiges individuelles Eingreifen in der buntscheckigen Länder¬
masse der östreichischen Monarchie nicht; er brachte die Elemente des alten
Staatswesens in Gährung, aber er konnte die vis inertin." nicht überwinden,
welche in Ungarn, in den Niederlanden sogar in offenen Aufstand ausbrach,
in den Erbländer sich passiv doch um so zäher dem aufoctroyirten Fortschritt
widersetzte. Inmitten dieser Zersetzung des Bestehenden starb der Kaiser
1790; sein Fehler war, wie Friedrich der Große treffend bemerkte, daß er
den zweiten Schritt vor dem ersten machen wollte; kaum hatte er die Augen
geschlossen als seine Reformen in wichtigen Punkten rückgängig gemacht
wurden -- freilich unbedingt konnte das Alte auch nicht hergestellt werden.
In diesem Zustande trat Oestreich in das Zeitalter der Revolution und in
den Kampf mit ihr.

Während neuer Kämpfe und Verwickelungen in der Revolutionszeit verloren
die inneren Verhältnisse von der Wichtigkeit, die sie unter Joseph gehabt. Man
stellte das Alte wieder her, wo die Neuerungen zu große Unzufriedenheit
hervorgerufen hatten, behauptete aber im Wesentlichen die Allmacht der Re¬
gierung, welche der Kaiser begründet. Die ganze Kraft des Reiches ward
durch fünfundzwanzig Jahre in Anspruch genommen um seine europäische
Stellung zu behaupten. Freilich auch Maria Theresia hatte um dieselbe
schwere Kämpfe bestanden und hatte schließlich die Eroberung Schlesiens
anerkennen müssen, aber der siebenjährige Krieg blieb doch ein Cabinetskrieg,
man kämpfte mit gleichen Waffen. Anders gestaltete sich der Conflict mit
der neuen Macht, die sich in Frankreich nach dem Sturz des Königthums
erhoben. In Deutschland freilich blieben zunächst wesentlich die Verhältnisse
geltend, durch welche bis dahin Oestreichs Stellung bedingt gewesen war.
Aus dem Reiche war es so gut wie ausgeschieden, der römische Kaiser deut¬
scher Nation war nur noch dem Namen nach das Haupt einer Conföderation
von Territorien, in die sich das Reich zersplitterte; der Herrscher der Erd¬
taube figurirte zwar in der Reichsmatrikel für jedes einzelne Land, indeß
seine Stellung war eine überwiegend europäische, nicht deutsche. Der Kaiser
bestrebte sich nur den Besitzstand nicht zu seinen Ungunsten ändern zu lassen,
aber besann sich nicht Lothringen gegen die toseanische Secundogenitur zu
vertauschen; selbst Joseph's Absichten auf Baiern waren rein östreichische
Arrondirungspläne und gingen nicht darauf aus eine andere Stellung im
Reiche zu gewinnen. Nothwendig mußte sich so der Gegensatz zu der aufstreben,
den preußischen Macht immer mehr ausbilden, Oestreich wollte die Herrschaft über
die deutschen Kräfte, welche es noch besaß, nicht aufgeben, Preußen einen
politischen Einfluß gewinnen, den es nicht besessen hatte. Ebenso scharf war
der Gegensatz auf geistigem Gebiete: Oestreichs Princip war der Katholicismus
und auch Joseph blickte mit tiefem Widerwillen auf die Thatsache der


durch sein unruhiges individuelles Eingreifen in der buntscheckigen Länder¬
masse der östreichischen Monarchie nicht; er brachte die Elemente des alten
Staatswesens in Gährung, aber er konnte die vis inertin.« nicht überwinden,
welche in Ungarn, in den Niederlanden sogar in offenen Aufstand ausbrach,
in den Erbländer sich passiv doch um so zäher dem aufoctroyirten Fortschritt
widersetzte. Inmitten dieser Zersetzung des Bestehenden starb der Kaiser
1790; sein Fehler war, wie Friedrich der Große treffend bemerkte, daß er
den zweiten Schritt vor dem ersten machen wollte; kaum hatte er die Augen
geschlossen als seine Reformen in wichtigen Punkten rückgängig gemacht
wurden — freilich unbedingt konnte das Alte auch nicht hergestellt werden.
In diesem Zustande trat Oestreich in das Zeitalter der Revolution und in
den Kampf mit ihr.

Während neuer Kämpfe und Verwickelungen in der Revolutionszeit verloren
die inneren Verhältnisse von der Wichtigkeit, die sie unter Joseph gehabt. Man
stellte das Alte wieder her, wo die Neuerungen zu große Unzufriedenheit
hervorgerufen hatten, behauptete aber im Wesentlichen die Allmacht der Re¬
gierung, welche der Kaiser begründet. Die ganze Kraft des Reiches ward
durch fünfundzwanzig Jahre in Anspruch genommen um seine europäische
Stellung zu behaupten. Freilich auch Maria Theresia hatte um dieselbe
schwere Kämpfe bestanden und hatte schließlich die Eroberung Schlesiens
anerkennen müssen, aber der siebenjährige Krieg blieb doch ein Cabinetskrieg,
man kämpfte mit gleichen Waffen. Anders gestaltete sich der Conflict mit
der neuen Macht, die sich in Frankreich nach dem Sturz des Königthums
erhoben. In Deutschland freilich blieben zunächst wesentlich die Verhältnisse
geltend, durch welche bis dahin Oestreichs Stellung bedingt gewesen war.
Aus dem Reiche war es so gut wie ausgeschieden, der römische Kaiser deut¬
scher Nation war nur noch dem Namen nach das Haupt einer Conföderation
von Territorien, in die sich das Reich zersplitterte; der Herrscher der Erd¬
taube figurirte zwar in der Reichsmatrikel für jedes einzelne Land, indeß
seine Stellung war eine überwiegend europäische, nicht deutsche. Der Kaiser
bestrebte sich nur den Besitzstand nicht zu seinen Ungunsten ändern zu lassen,
aber besann sich nicht Lothringen gegen die toseanische Secundogenitur zu
vertauschen; selbst Joseph's Absichten auf Baiern waren rein östreichische
Arrondirungspläne und gingen nicht darauf aus eine andere Stellung im
Reiche zu gewinnen. Nothwendig mußte sich so der Gegensatz zu der aufstreben,
den preußischen Macht immer mehr ausbilden, Oestreich wollte die Herrschaft über
die deutschen Kräfte, welche es noch besaß, nicht aufgeben, Preußen einen
politischen Einfluß gewinnen, den es nicht besessen hatte. Ebenso scharf war
der Gegensatz auf geistigem Gebiete: Oestreichs Princip war der Katholicismus
und auch Joseph blickte mit tiefem Widerwillen auf die Thatsache der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/143>, abgerufen am 28.09.2024.