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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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gab keine landesfürstlichen Geschäfte, welche nicht auch von den Ständen,
keine ständischen, welche nicht auch von dem Landesfürsten abhängig gewesen
wären. So wurde Nichts mehr geschaffen: Alles blieb wie es beim Tode Fer¬
dinand's II. gewesen.

Die Erdtaube waren auch nach der pragmatischen Sanction eigentlich nur
durch Personalunion mit einander verbunden; nicht einmal ein gemeinsamer
amtlicher Ausdruck für die Gesammtheit der Besitzungen bestand, man sagte
entweder: die Erdtaube, oder zählte sie einzeln auf -- die Habsburger fühlten
sich allerdings schon lange als Kaiser von Oesterreich nannten sich aber erst
1806 so. Ebensowenig war von einer wirklichen Centralbehörde. einem
Ministerium die Rede, die sogenannte Conferenz, ein schwerfälliger Körper,
war mehr eine Art Staatsrath, eine gemeinsame Gesetzgebung ward nicht
einmal versucht, die Rechtspflege war in jedem einzelnen Lande anders und
ward überall durch die Sonderrechte der Geistlichkeit so durchkreuzt, wie die
Finanzwirthschaft durch deren Steuerfreiheit. Einzelne gemeinsame Abgaben
bestanden allerdings, aber ihr Betrag war so gering, daß zu Karl's VI, Zeiten
die Einkünfte Gesammtöstreichs auf etwa l4 Mill. si. angeschlagen wurden,
aber nicht 4 Mill. betrugen, und daß Prinz Eugen erklärte, es könnten nicht
50,000 si. aufgebracht werden, wenn es sich um die Rettung der Monarchie
handle. Nur das Heer hatte einen einheitlicheren Charakter, obwohl, wie
Perthes treffend bemerkt, niemals ein großer Fürst wie in Preußen ihm
seinen Stempel aufgeprägt hatte; es bestand zwar auch hier noch eine bunt¬
scheckige Zusammensetzung von Gewordenen und Ausgehobenen, es fehlte an
einem gemeinsamen Erercierreglement, die Friedensquartiere waren länderweise
abgeschlossen, Soldzahlung und Verpflegung hingen in lästiger Weise von
den Behörden der einzelnen Provinzen ab. Aber dennoch war die Armee eine
gesammtöstreichische Institution durch ihre ruhmreiche Geschichte, namentlich
seit Eugen Oestreich als ein mächtiges Reich gezeigt hatte. Demgemäß traten
auch fortan in allen äußern Beziehungen und diplomatischen Verhandlungen
die Habsburger als Vertreter Gesammtöstreichs auf.

Es kann nicht befremden, daß bei so losem Zusammenhang nach dem
Tode des letzten männlichen Habsburgers begehrliche Augen trotz der prag¬
matischen Sanction sich auf das reiche Erbe richteten. Baiern strebte nach
dem Erzherzogthum, Böhmen, Tyrol und Breisgau, Sachsen nach Mähren
und Oberschlesien, Preußen erhob seine alten Ansprüche auf Niederschlesien,
Spanien verlangte Mailand, Parma und Trecul, Frankreich Luxemburg und
die östreichischen Niederlande. Im Innern nahm nicht blos Ungarn eine an
Unabhängigkeit grenzende Stellung in Anspruch, auch die Erdtaube waren
zweifelhaft, in Schlesien ward Friedrich der Große von den gedrückten Pro¬
testanten mit offnen Armen aufgenommen, in Prag und Linz huldigten die


gab keine landesfürstlichen Geschäfte, welche nicht auch von den Ständen,
keine ständischen, welche nicht auch von dem Landesfürsten abhängig gewesen
wären. So wurde Nichts mehr geschaffen: Alles blieb wie es beim Tode Fer¬
dinand's II. gewesen.

Die Erdtaube waren auch nach der pragmatischen Sanction eigentlich nur
durch Personalunion mit einander verbunden; nicht einmal ein gemeinsamer
amtlicher Ausdruck für die Gesammtheit der Besitzungen bestand, man sagte
entweder: die Erdtaube, oder zählte sie einzeln auf — die Habsburger fühlten
sich allerdings schon lange als Kaiser von Oesterreich nannten sich aber erst
1806 so. Ebensowenig war von einer wirklichen Centralbehörde. einem
Ministerium die Rede, die sogenannte Conferenz, ein schwerfälliger Körper,
war mehr eine Art Staatsrath, eine gemeinsame Gesetzgebung ward nicht
einmal versucht, die Rechtspflege war in jedem einzelnen Lande anders und
ward überall durch die Sonderrechte der Geistlichkeit so durchkreuzt, wie die
Finanzwirthschaft durch deren Steuerfreiheit. Einzelne gemeinsame Abgaben
bestanden allerdings, aber ihr Betrag war so gering, daß zu Karl's VI, Zeiten
die Einkünfte Gesammtöstreichs auf etwa l4 Mill. si. angeschlagen wurden,
aber nicht 4 Mill. betrugen, und daß Prinz Eugen erklärte, es könnten nicht
50,000 si. aufgebracht werden, wenn es sich um die Rettung der Monarchie
handle. Nur das Heer hatte einen einheitlicheren Charakter, obwohl, wie
Perthes treffend bemerkt, niemals ein großer Fürst wie in Preußen ihm
seinen Stempel aufgeprägt hatte; es bestand zwar auch hier noch eine bunt¬
scheckige Zusammensetzung von Gewordenen und Ausgehobenen, es fehlte an
einem gemeinsamen Erercierreglement, die Friedensquartiere waren länderweise
abgeschlossen, Soldzahlung und Verpflegung hingen in lästiger Weise von
den Behörden der einzelnen Provinzen ab. Aber dennoch war die Armee eine
gesammtöstreichische Institution durch ihre ruhmreiche Geschichte, namentlich
seit Eugen Oestreich als ein mächtiges Reich gezeigt hatte. Demgemäß traten
auch fortan in allen äußern Beziehungen und diplomatischen Verhandlungen
die Habsburger als Vertreter Gesammtöstreichs auf.

Es kann nicht befremden, daß bei so losem Zusammenhang nach dem
Tode des letzten männlichen Habsburgers begehrliche Augen trotz der prag¬
matischen Sanction sich auf das reiche Erbe richteten. Baiern strebte nach
dem Erzherzogthum, Böhmen, Tyrol und Breisgau, Sachsen nach Mähren
und Oberschlesien, Preußen erhob seine alten Ansprüche auf Niederschlesien,
Spanien verlangte Mailand, Parma und Trecul, Frankreich Luxemburg und
die östreichischen Niederlande. Im Innern nahm nicht blos Ungarn eine an
Unabhängigkeit grenzende Stellung in Anspruch, auch die Erdtaube waren
zweifelhaft, in Schlesien ward Friedrich der Große von den gedrückten Pro¬
testanten mit offnen Armen aufgenommen, in Prag und Linz huldigten die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/137>, abgerufen am 28.09.2024.