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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band.

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sei auch an die Vorliebe erinnert, mit welcher die auf ihr gebildeten hessischen
Schulmänner überall gesucht werden.

Die Interessen aller gebildeten Einwohner des ehemaligen Kurfürsten-
thums sind auf das Mannigfaltigste an Marburg geknüpft. Auf hundertfache
Weise sendet die Universitätsstadt die Strahlen eines nicht näher zu detail-
lirenden Einflusses durch das an hervorragenden Städten arme Land aus;
seiner Jugend erleichtern zahlreiche Studienstiftungen die Existenz in derselben;
gewöhnlich tragen auch alte Familienbeziehungen dazu bei, derselben diese ange¬
nehm zu machen und ihr während ihrer Studienzeit einen Halt zu geben. Wollte
die preußische Regierung alle diese Fäden gewaltsam zerstören oder künstlich
nach einem andern Punkte zu leiten versuchen, so würde uns das höchst ge¬
wagt erscheinen; vielmehr halten wir es für ihre Aufgabe den Wirkungs¬
kreis des vorhandenen Mittelpunktes so zu erweitern, daß er in keiner Weise
zum Herde eines Geistes provineteller Abgeschlossenheit werden kann.

Es ist wohl gesagt worden, daß Marburg, weil am AbHange eines
Berges gelegen, nicht hinreichend vergrößert werden könne; allein unter diesem
Berge dehnt sich ein stattliches Thal aus, das der Baulust Spielraum in
Menge bietet. Am wenigsten kann der geringe Unternehmungsgeist der mar¬
burger Bürgerschaft hierbei ein Hinderniß bilden. Sollte diese, durch die zu
große Leichtigkeit, mit der ihr so lange Zeit der Verdienst zugeflossen ist,
verweichlicht, die Vortheile der neuen Verhältnisse nicht zu benutzen verstehen,
so würde sich bald von selbst das natürliche Gesetz des Verkehrs geltend
machen, d. h. es würden unternehmende auswärtige Kräfte die fehlenden ein¬
heimischen ersetzen. Dagegen ist die schöne Naturumgebung Marburgs ein
wahrlich nicht zu unterschätzender Factor, wo es sich um den bildenden Ein¬
fluß der Universität auf die studirende Jugend handelt.

Würde die marburger Universität nach Frankfurt verlegt, so müßte sie
selbstverständlich das ihre Existenz zunächst bedingende Vermögen, ihre
Studienstiftungen und das Inventar ihrer Institute wie namentlich ihre für
eine kleine Universität gut versehene Bibliothek mit sich führen, so daß auch
bei beträchtlicher Erweiterung der Lehrmittel der historische Ruhm der Grün¬
dung nicht den Hohenzollern, sondern den hessischen Landgrafen Philipp dem
Großmüthigen und Wilhelm VI. zufallen würde: knüpft sich dieser Ruhm doch
schon jetzt vielmehr an den Ersteren als an den Letzteren. Es will uns be-
dünken, als ob es des preußischen Königshauses, das jetzt in den ehemaligen
Fürsten der neu gewonnenen Länder auch seine Vorfahren zu erblicken hat,
würdiger wäre der Stiftung Philipp's des Großmüthigen neuen Glanz zu
geben als den Schein zu erwecken, es wolle es sein Andenken verdunkeln und
die ihm gebührenden historischen Ehren auf sich überleiten. Der öfter aus¬
gesprochene Gedanke, daß die neue politische Gestaltung Deutschlands auch


sei auch an die Vorliebe erinnert, mit welcher die auf ihr gebildeten hessischen
Schulmänner überall gesucht werden.

Die Interessen aller gebildeten Einwohner des ehemaligen Kurfürsten-
thums sind auf das Mannigfaltigste an Marburg geknüpft. Auf hundertfache
Weise sendet die Universitätsstadt die Strahlen eines nicht näher zu detail-
lirenden Einflusses durch das an hervorragenden Städten arme Land aus;
seiner Jugend erleichtern zahlreiche Studienstiftungen die Existenz in derselben;
gewöhnlich tragen auch alte Familienbeziehungen dazu bei, derselben diese ange¬
nehm zu machen und ihr während ihrer Studienzeit einen Halt zu geben. Wollte
die preußische Regierung alle diese Fäden gewaltsam zerstören oder künstlich
nach einem andern Punkte zu leiten versuchen, so würde uns das höchst ge¬
wagt erscheinen; vielmehr halten wir es für ihre Aufgabe den Wirkungs¬
kreis des vorhandenen Mittelpunktes so zu erweitern, daß er in keiner Weise
zum Herde eines Geistes provineteller Abgeschlossenheit werden kann.

Es ist wohl gesagt worden, daß Marburg, weil am AbHange eines
Berges gelegen, nicht hinreichend vergrößert werden könne; allein unter diesem
Berge dehnt sich ein stattliches Thal aus, das der Baulust Spielraum in
Menge bietet. Am wenigsten kann der geringe Unternehmungsgeist der mar¬
burger Bürgerschaft hierbei ein Hinderniß bilden. Sollte diese, durch die zu
große Leichtigkeit, mit der ihr so lange Zeit der Verdienst zugeflossen ist,
verweichlicht, die Vortheile der neuen Verhältnisse nicht zu benutzen verstehen,
so würde sich bald von selbst das natürliche Gesetz des Verkehrs geltend
machen, d. h. es würden unternehmende auswärtige Kräfte die fehlenden ein¬
heimischen ersetzen. Dagegen ist die schöne Naturumgebung Marburgs ein
wahrlich nicht zu unterschätzender Factor, wo es sich um den bildenden Ein¬
fluß der Universität auf die studirende Jugend handelt.

Würde die marburger Universität nach Frankfurt verlegt, so müßte sie
selbstverständlich das ihre Existenz zunächst bedingende Vermögen, ihre
Studienstiftungen und das Inventar ihrer Institute wie namentlich ihre für
eine kleine Universität gut versehene Bibliothek mit sich führen, so daß auch
bei beträchtlicher Erweiterung der Lehrmittel der historische Ruhm der Grün¬
dung nicht den Hohenzollern, sondern den hessischen Landgrafen Philipp dem
Großmüthigen und Wilhelm VI. zufallen würde: knüpft sich dieser Ruhm doch
schon jetzt vielmehr an den Ersteren als an den Letzteren. Es will uns be-
dünken, als ob es des preußischen Königshauses, das jetzt in den ehemaligen
Fürsten der neu gewonnenen Länder auch seine Vorfahren zu erblicken hat,
würdiger wäre der Stiftung Philipp's des Großmüthigen neuen Glanz zu
geben als den Schein zu erwecken, es wolle es sein Andenken verdunkeln und
die ihm gebührenden historischen Ehren auf sich überleiten. Der öfter aus¬
gesprochene Gedanke, daß die neue politische Gestaltung Deutschlands auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120192/109>, abgerufen am 28.09.2024.