Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.herträgt, erwiesen; eine anmuthige, zur Verzierung eines Brunnens Wohl Andere Statuen rufen Unsicherheit anderer Art hervor. Ein in sich zu- Durch diese Beobachtungen ist aber der Stand der Frage ein ganz Wenn also von den in der Nähe des Lateran gefundenen Statuen ein Grenzboten II. 1868. 12
herträgt, erwiesen; eine anmuthige, zur Verzierung eines Brunnens Wohl Andere Statuen rufen Unsicherheit anderer Art hervor. Ein in sich zu- Durch diese Beobachtungen ist aber der Stand der Frage ein ganz Wenn also von den in der Nähe des Lateran gefundenen Statuen ein Grenzboten II. 1868. 12
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117625"/> <p xml:id="ID_300" prev="#ID_299"> herträgt, erwiesen; eine anmuthige, zur Verzierung eines Brunnens Wohl<lb/> geeignete Figur, die aber mit den Niobiden nichts zu schaffen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_301"> Andere Statuen rufen Unsicherheit anderer Art hervor. Ein in sich zu-<lb/> sammengeschmiegtes junges Mädchen, das ängstlich in die Höhe blickt und<lb/> beide Hände wie zur Abwehr erhebt, paßt allerdings vortrefflich in die Reihe<lb/> der Niobetöchter und drückt die Situation treffend aus. Aber genau dieselbe<lb/> Figur hat in anderen Wiederholungen Schmetterlingsflügel oder doch die<lb/> deutlichen Ansätze derselben, stellt also die von Amor gequälte Psyche vor,<lb/> und es läßt sich nicht läugnen, daß auch diese Situation in derselben charak¬<lb/> teristisch wiedergegeben ist. Hier hat also eine Entlehnung jedenfalls statt¬<lb/> gefunden; allein ob eine Niobide zur Psyche umgestaltet, oder die ursprüng¬<lb/> lich als Psyche gedachte Figur später einer Niobidengruppe eingereiht worden<lb/> sei, das dürfte, so lange nicht äußere Momente der Entscheidung geltend<lb/> gemacht werden können, schwer zu sagen sein. Eine andere, ruhig stehende,<lb/> weibliche Gestalt scheint von der leidenschaftlichen Bewegung, welche die ganze<lb/> Gruppe durchzieht, so weit entfernt und zeigt eine so große Verwandtschaft<lb/> mit ähnlichen Figuren, welche dem Musenkreis angehören, daß auch ihr<lb/> Anrecht auf einen Platz unter den Niobiden sehr zweifelhaft wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_302"> Durch diese Beobachtungen ist aber der Stand der Frage ein ganz<lb/> anderer geworden. Die Sicherheit, die in Rom zusammen gefundenen Statuen<lb/> als Bestandtheile der berühmten Niobegruppe, wenn auch nur in Copieen,<lb/> zu betrachten und zur Reconstruction derselben zu verwenden, beruhte auf<lb/> der Voraussetzung, daß alle an jenem Ort gefundenen Figuren einer und<lb/> derselben Gruppe angehörten. War dies nicht der Fall, sind einzelne Statuen,<lb/> wie wir gesehen haben, als diesem Verbände fremd auszuscheiden, so verliert<lb/> der gemeinsame Fundort alle Beweiskraft für die ursprüngliche Zusammen¬<lb/> gehörigkeit. Jede dieser Statuen muß nun vielmehr als in die Gruppe der<lb/> Niobiden überhaupt passend und durch Auffassung und Behandlung der sicher<lb/> erwiesenen verwandt erst nachgewiesen werden, ehe sie als ein Glied der¬<lb/> selben angesehen werden darf. Wir sind also von dem Boden der äußeren,<lb/> sicher überlieferten Tradition, auf dem wir uns zu befinden glaubten, auf<lb/> den der Beweisführung aus inneren Gründen versetzt, die nicht mehr als wahr¬<lb/> scheinliche Resultate verspricht.</p><lb/> <p xml:id="ID_303" next="#ID_304"> Wenn also von den in der Nähe des Lateran gefundenen Statuen ein<lb/> Theil sicher, ein Theil sehr wahrscheinlich nicht ursprünglich zur Niobiden¬<lb/> gruppe gehörte, und die, welche als derselben angehörig gelten, nur deshalb<lb/> so angesehen werden, weil sie mehr oder weniger entschieden zu derselben<lb/> Passen; so verbietet nichts, anzunehmen, daß auch außerdem Statuen er¬<lb/> halten sind, welche ebenso gut in die Gruppe passen, iyld daher ebenso ge¬<lb/> rechten Anspruch machen, derselben zugesprochen zu werden. In der That</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1868. 12</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
herträgt, erwiesen; eine anmuthige, zur Verzierung eines Brunnens Wohl
geeignete Figur, die aber mit den Niobiden nichts zu schaffen hat.
Andere Statuen rufen Unsicherheit anderer Art hervor. Ein in sich zu-
sammengeschmiegtes junges Mädchen, das ängstlich in die Höhe blickt und
beide Hände wie zur Abwehr erhebt, paßt allerdings vortrefflich in die Reihe
der Niobetöchter und drückt die Situation treffend aus. Aber genau dieselbe
Figur hat in anderen Wiederholungen Schmetterlingsflügel oder doch die
deutlichen Ansätze derselben, stellt also die von Amor gequälte Psyche vor,
und es läßt sich nicht läugnen, daß auch diese Situation in derselben charak¬
teristisch wiedergegeben ist. Hier hat also eine Entlehnung jedenfalls statt¬
gefunden; allein ob eine Niobide zur Psyche umgestaltet, oder die ursprüng¬
lich als Psyche gedachte Figur später einer Niobidengruppe eingereiht worden
sei, das dürfte, so lange nicht äußere Momente der Entscheidung geltend
gemacht werden können, schwer zu sagen sein. Eine andere, ruhig stehende,
weibliche Gestalt scheint von der leidenschaftlichen Bewegung, welche die ganze
Gruppe durchzieht, so weit entfernt und zeigt eine so große Verwandtschaft
mit ähnlichen Figuren, welche dem Musenkreis angehören, daß auch ihr
Anrecht auf einen Platz unter den Niobiden sehr zweifelhaft wird.
Durch diese Beobachtungen ist aber der Stand der Frage ein ganz
anderer geworden. Die Sicherheit, die in Rom zusammen gefundenen Statuen
als Bestandtheile der berühmten Niobegruppe, wenn auch nur in Copieen,
zu betrachten und zur Reconstruction derselben zu verwenden, beruhte auf
der Voraussetzung, daß alle an jenem Ort gefundenen Figuren einer und
derselben Gruppe angehörten. War dies nicht der Fall, sind einzelne Statuen,
wie wir gesehen haben, als diesem Verbände fremd auszuscheiden, so verliert
der gemeinsame Fundort alle Beweiskraft für die ursprüngliche Zusammen¬
gehörigkeit. Jede dieser Statuen muß nun vielmehr als in die Gruppe der
Niobiden überhaupt passend und durch Auffassung und Behandlung der sicher
erwiesenen verwandt erst nachgewiesen werden, ehe sie als ein Glied der¬
selben angesehen werden darf. Wir sind also von dem Boden der äußeren,
sicher überlieferten Tradition, auf dem wir uns zu befinden glaubten, auf
den der Beweisführung aus inneren Gründen versetzt, die nicht mehr als wahr¬
scheinliche Resultate verspricht.
Wenn also von den in der Nähe des Lateran gefundenen Statuen ein
Theil sicher, ein Theil sehr wahrscheinlich nicht ursprünglich zur Niobiden¬
gruppe gehörte, und die, welche als derselben angehörig gelten, nur deshalb
so angesehen werden, weil sie mehr oder weniger entschieden zu derselben
Passen; so verbietet nichts, anzunehmen, daß auch außerdem Statuen er¬
halten sind, welche ebenso gut in die Gruppe passen, iyld daher ebenso ge¬
rechten Anspruch machen, derselben zugesprochen zu werden. In der That
Grenzboten II. 1868. 12
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