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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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uns freilich entgegenhalten, die Majorität im Abgeordnetenhause sei ja die
alte geblieben und in ihr ruhe ja die Stärke des Ministeriums. Wir wünsch¬
ten, dem wäre so. Seitdem aber Giskra, Herbst, Berger, Brestel auf der
Ministerbank sitzen, hat die Majorität ihr Salz, ihre Kraft verloren. Leute
wie Schindler fühlen sich und maßen sich die Führerschaft an. Stimmen
kann die Majorität für die Regierung, aber nicht mehr für sie sprechen, durch
die Zahl, nicht durch das Gewicht der Stimmen sie unterstützen. Dazu
kommt das durchaus unzuverlässige Element der Galizier in der Majorität,
die Beusts Leichtsinn zu maßlosen Forderungen verlockt hat, die gänzliche
Unbedeutendheit der Minorität, die eigentlich nur durch den Staberl in der
Kutte repräsentirt wird und der Umstand, daß die eigentliche Opposition --
die slavisch-föderalistische Partei außerhalb des Parlaments bekämpft werden
muß. Das Ausbleiben der Czechen hat sich an diesen sattsam gerächt; für
das Zustandekommen der Grundgesetze war es gut, daß sie das Haus vor
dem Schottenthor flohen; jetzt aber muß die Regierung alles aufbieten, daß
sie diese widerhaarige Partei regelrecht mit parlamentarischen Waffen zu be¬
kämpfen in Stand gesetzt werde. Denn ernste Verlegenheiten bereitet dieselbe
nur, wenn sie auf Volksagitation angewiesen ist. In den untern Schichten
der Bevölkerung besitzen die Czechen und Slaven überhaupt ihren größten
Anhang, in ihrer Bearbeitung das beste Geschick. Die neuen liberalen In¬
stitutionen, die wirklich fast unbegrenzte Preßfreiheit, das erweiterte Versamm¬
lungsrecht schärfen ihre Waffen und begünstigen ihre Tendenz, in den slavi¬
schen Provinzen die Währung und Unzufriedenheit dauernd zu erhalten.

In dem Kampf gegen das Concordat wird zwar das Ministerium von
ihnen nichts zu fürchten haben, -- in dieser Frage sind die Czechen getheilt,
-- desto unbequemer können sie seiner Finanzpolitik, die alle Gegner zu ge¬
meinsamen Schritten vereinigen wird, werden. Der Sieg aber über das Con¬
cordat und die Durchführung einer gründlichen Finanzreform, das sind die
beiden nächsten und wichtigsten Aufgaben der liberalen Regierung.

Die Wiener, sonst wahrlich nicht grübelnder Natur, zum Jubiliren
leicht geneigt und einer sanguinischen Auffassung der Dinge gern zugethan,
haben richtig eingesehen, daß sie in der berühmten Coneordatsdebatte wohl
den Feind glänzend besiegt, aber noch nicht aus dem Lande getrieben und
zum Frieden gezwungen haben. Die Einführung der Nothcivilehe, die Auf¬
hebung der geistlichen Ehegerichte hat eine größere prinzipielle als thatsächliche
Bedeutung. Der Reichstag und das Ministerium erklären, daß sie sich an
die Bestimmungen des Coneordats nicht gebunden halten, dieser Vertrag keine
Rechtskraft besitze. Daher der Jubel in den Kreisen der Bevölkerung, die
nun einmal in dem Concordat die Quelle alles Unheils erblickte, sich gede¬
müthigt fühlte bei dem Anhören des bloßen Namens und von dem Augen-


uns freilich entgegenhalten, die Majorität im Abgeordnetenhause sei ja die
alte geblieben und in ihr ruhe ja die Stärke des Ministeriums. Wir wünsch¬
ten, dem wäre so. Seitdem aber Giskra, Herbst, Berger, Brestel auf der
Ministerbank sitzen, hat die Majorität ihr Salz, ihre Kraft verloren. Leute
wie Schindler fühlen sich und maßen sich die Führerschaft an. Stimmen
kann die Majorität für die Regierung, aber nicht mehr für sie sprechen, durch
die Zahl, nicht durch das Gewicht der Stimmen sie unterstützen. Dazu
kommt das durchaus unzuverlässige Element der Galizier in der Majorität,
die Beusts Leichtsinn zu maßlosen Forderungen verlockt hat, die gänzliche
Unbedeutendheit der Minorität, die eigentlich nur durch den Staberl in der
Kutte repräsentirt wird und der Umstand, daß die eigentliche Opposition —
die slavisch-föderalistische Partei außerhalb des Parlaments bekämpft werden
muß. Das Ausbleiben der Czechen hat sich an diesen sattsam gerächt; für
das Zustandekommen der Grundgesetze war es gut, daß sie das Haus vor
dem Schottenthor flohen; jetzt aber muß die Regierung alles aufbieten, daß
sie diese widerhaarige Partei regelrecht mit parlamentarischen Waffen zu be¬
kämpfen in Stand gesetzt werde. Denn ernste Verlegenheiten bereitet dieselbe
nur, wenn sie auf Volksagitation angewiesen ist. In den untern Schichten
der Bevölkerung besitzen die Czechen und Slaven überhaupt ihren größten
Anhang, in ihrer Bearbeitung das beste Geschick. Die neuen liberalen In¬
stitutionen, die wirklich fast unbegrenzte Preßfreiheit, das erweiterte Versamm¬
lungsrecht schärfen ihre Waffen und begünstigen ihre Tendenz, in den slavi¬
schen Provinzen die Währung und Unzufriedenheit dauernd zu erhalten.

In dem Kampf gegen das Concordat wird zwar das Ministerium von
ihnen nichts zu fürchten haben, — in dieser Frage sind die Czechen getheilt,
— desto unbequemer können sie seiner Finanzpolitik, die alle Gegner zu ge¬
meinsamen Schritten vereinigen wird, werden. Der Sieg aber über das Con¬
cordat und die Durchführung einer gründlichen Finanzreform, das sind die
beiden nächsten und wichtigsten Aufgaben der liberalen Regierung.

Die Wiener, sonst wahrlich nicht grübelnder Natur, zum Jubiliren
leicht geneigt und einer sanguinischen Auffassung der Dinge gern zugethan,
haben richtig eingesehen, daß sie in der berühmten Coneordatsdebatte wohl
den Feind glänzend besiegt, aber noch nicht aus dem Lande getrieben und
zum Frieden gezwungen haben. Die Einführung der Nothcivilehe, die Auf¬
hebung der geistlichen Ehegerichte hat eine größere prinzipielle als thatsächliche
Bedeutung. Der Reichstag und das Ministerium erklären, daß sie sich an
die Bestimmungen des Coneordats nicht gebunden halten, dieser Vertrag keine
Rechtskraft besitze. Daher der Jubel in den Kreisen der Bevölkerung, die
nun einmal in dem Concordat die Quelle alles Unheils erblickte, sich gede¬
müthigt fühlte bei dem Anhören des bloßen Namens und von dem Augen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/79>, abgerufen am 15.01.2025.