Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.wäre in der Bevölkerung politischer Gemeinsinn und politische Kraft vor¬ Es ist auch bei gutem Willen keineswegs leicht, rasch zur richtigen Grenzboten II. 1868. 16
wäre in der Bevölkerung politischer Gemeinsinn und politische Kraft vor¬ Es ist auch bei gutem Willen keineswegs leicht, rasch zur richtigen Grenzboten II. 1868. 16
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/117609"/> <p xml:id="ID_256" prev="#ID_255"> wäre in der Bevölkerung politischer Gemeinsinn und politische Kraft vor¬<lb/> handen gewesen, sicher hätte sie dann die Wahrung der innern Wohlfahrt<lb/> auch den Herrschern als Richtschnur ihres Handelns aufgezwungen und der<lb/> leidigen Cabinetspolitik einen starken Widerstand entgegengesetzt. Von allen<lb/> Nationen, die Oestreich bewohnen, thaten es nur-^ die Ungarn, weil diese<lb/> allein politische, wenn auch vielfach verkümmerte und bestrittene Rechte be¬<lb/> saßen, diese allein sich eines wirklichen Staatsbewußtseins, das Opfer und<lb/> Pflichten abwägt, rühmen konnten. Wir sind des guten Glaubens, daß die<lb/> innere Stärkung Oestreichs den Bruch mit der veralteten römisch-deutschen<lb/> Reichspolitik nur beschleunigen kann, daß jeder Fortschritt im liberalen Sinne<lb/> zur Aussöhnung mit der nationalen Entwicklung Deutschlands führen wird<lb/> und namentlich den Frieden sichert. Denn alle Errungenschaften der Frei¬<lb/> heit würde die erste Kriegswoche, namentlich die erste siegreiche Kriegswoche<lb/> verwehen. Dagegen ist ein reactionäres concordatliches Oestreich nach unserm<lb/> Urtheile niemals so schwach, daß es nicht in Verbindung mit andern Feinden<lb/> Deutschlands uns gefährlich werden könnte. Wir haben daher alle Ursache,<lb/> mit den Ereignissen der letzten Monate in Oestreich, soweit sie einen wirk¬<lb/> lichen innern, liberalen Fortschritt bedeuten, zufrieden zu sein. Aber freilich<lb/> weil eine Täuschung uns die bittersten Früchte bringen würde, müssen wir<lb/> genau zusehen, was Gold, was blos glänzende Schale an denselben ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_257" next="#ID_258"> Es ist auch bei gutem Willen keineswegs leicht, rasch zur richtigen<lb/> Schätzung der Thatsachen zu gelangen. Sie folgten mit merkwürdiger Schnel¬<lb/> ligkeit auseinander, vieles muß auf die zufällige Gunst des Augenblickes ge¬<lb/> schrieben werden, die nicht immer wiederkehrt, sich auch in das Gegen¬<lb/> theil verwandeln kann, sie bieten endlich so manche auffallende Anomalien,<lb/> mit welchen man sich erst auseinandersetzen muß, um die Ereignisse vollkom¬<lb/> men würdigen zu können. Der Ausgleich mit Ungarn gelang, weil Herrn<lb/> von Veust kein Preis so hoch war, daß er ihn nicht angeboten hätte. Der¬<lb/> selbe hat in finanzieller Hinsicht Oestreich geschädigt, den nicht ungarischen<lb/> Reichstheilen Lasten aufgebürdet, die sie auf die Dauer nicht tragen können.<lb/> Er gefährdet den Staat auch in merkantilischer und militärischer Beziehung.<lb/> Diese letzten Gefahren, eine kleine Honvedaufwallung abgerechnet, kamen bis-<lb/> jetzt nicht zum offenen Ausbruch, und insofern kann man wohl von dem sprich-<lb/> Wörtlichen Glücke Oestreichs reden. Der riesige Ernteertrag in Ungarn, der<lb/> alle Erwartungen übertreffende Getreideerport macht die Ungarn zum ersten¬<lb/> mal seit Jahrzehnten zu willigen Steuerzahlern, die auf Ungarn entfallende<lb/> Quote kommt voll und rechtzeitig ein, die Befürchtung, daß vielleicht auch<lb/> diese, so unzureichend sie ist, von den cisleithanischen (sit venis, verbo) Pro-<lb/> vinzen müsse aufgebracht werden, trifft in diesem Jahre nicht zu. Mit ge-<lb/> füllter Geldtasche ist man auch für politische Agitationen weniger zugänglich</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1868. 16</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
wäre in der Bevölkerung politischer Gemeinsinn und politische Kraft vor¬
handen gewesen, sicher hätte sie dann die Wahrung der innern Wohlfahrt
auch den Herrschern als Richtschnur ihres Handelns aufgezwungen und der
leidigen Cabinetspolitik einen starken Widerstand entgegengesetzt. Von allen
Nationen, die Oestreich bewohnen, thaten es nur-^ die Ungarn, weil diese
allein politische, wenn auch vielfach verkümmerte und bestrittene Rechte be¬
saßen, diese allein sich eines wirklichen Staatsbewußtseins, das Opfer und
Pflichten abwägt, rühmen konnten. Wir sind des guten Glaubens, daß die
innere Stärkung Oestreichs den Bruch mit der veralteten römisch-deutschen
Reichspolitik nur beschleunigen kann, daß jeder Fortschritt im liberalen Sinne
zur Aussöhnung mit der nationalen Entwicklung Deutschlands führen wird
und namentlich den Frieden sichert. Denn alle Errungenschaften der Frei¬
heit würde die erste Kriegswoche, namentlich die erste siegreiche Kriegswoche
verwehen. Dagegen ist ein reactionäres concordatliches Oestreich nach unserm
Urtheile niemals so schwach, daß es nicht in Verbindung mit andern Feinden
Deutschlands uns gefährlich werden könnte. Wir haben daher alle Ursache,
mit den Ereignissen der letzten Monate in Oestreich, soweit sie einen wirk¬
lichen innern, liberalen Fortschritt bedeuten, zufrieden zu sein. Aber freilich
weil eine Täuschung uns die bittersten Früchte bringen würde, müssen wir
genau zusehen, was Gold, was blos glänzende Schale an denselben ist.
Es ist auch bei gutem Willen keineswegs leicht, rasch zur richtigen
Schätzung der Thatsachen zu gelangen. Sie folgten mit merkwürdiger Schnel¬
ligkeit auseinander, vieles muß auf die zufällige Gunst des Augenblickes ge¬
schrieben werden, die nicht immer wiederkehrt, sich auch in das Gegen¬
theil verwandeln kann, sie bieten endlich so manche auffallende Anomalien,
mit welchen man sich erst auseinandersetzen muß, um die Ereignisse vollkom¬
men würdigen zu können. Der Ausgleich mit Ungarn gelang, weil Herrn
von Veust kein Preis so hoch war, daß er ihn nicht angeboten hätte. Der¬
selbe hat in finanzieller Hinsicht Oestreich geschädigt, den nicht ungarischen
Reichstheilen Lasten aufgebürdet, die sie auf die Dauer nicht tragen können.
Er gefährdet den Staat auch in merkantilischer und militärischer Beziehung.
Diese letzten Gefahren, eine kleine Honvedaufwallung abgerechnet, kamen bis-
jetzt nicht zum offenen Ausbruch, und insofern kann man wohl von dem sprich-
Wörtlichen Glücke Oestreichs reden. Der riesige Ernteertrag in Ungarn, der
alle Erwartungen übertreffende Getreideerport macht die Ungarn zum ersten¬
mal seit Jahrzehnten zu willigen Steuerzahlern, die auf Ungarn entfallende
Quote kommt voll und rechtzeitig ein, die Befürchtung, daß vielleicht auch
diese, so unzureichend sie ist, von den cisleithanischen (sit venis, verbo) Pro-
vinzen müsse aufgebracht werden, trifft in diesem Jahre nicht zu. Mit ge-
füllter Geldtasche ist man auch für politische Agitationen weniger zugänglich
Grenzboten II. 1868. 16
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |