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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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rede beschenken. Kann es auch einen lockenderen Anlaß geben, als die religiöse
Osterfeier und die politische Auferstehung Oestreichs jubelnd zu begrüßen
und den alten Glauben an das unversehrte Glück des Kaiserstaats, an seine
Phönixnatur wieder zu beleben? Eines allein kann befremden, daß die Kir¬
chenfürsten in ihrem Kampf gegen die Ungläubigen nicht auch aus der wun¬
derbaren Rettung und Erhöhung Oestreichs eine Waffe schmieden, und wie
der augenscheinliche Erfolg für die Wahrheit des katholischen Wunderglaubens
und was drum und daran hängt, spricht, einleuchtend darlegen. Denn Wunder
fürwahr sind geschehen. Vor achtzehn Monaten erschien Oestreich unrettbar
dem Verfall und Verderben preisgegeben. Wer die Meinung bescheiden kundgab,
ein'alter Staat sei langlebig, zum Sterben brauche eine einmal sest eingebür¬
gerte Ordnung mindestens ebenso vieler Jahrhunderte wie zu ihrer Entwicke¬
lung, der wurde in Oestreich selbst von vielen als idealer Schwärmer ver¬
spottet. Und jetzt strahlt das ^. I. 0. v. in neuem Glänze. Alles ge¬
lingt, alles, auch das schwierigste wendet sich zu Oestreichs Gunsten. Man
hielt den Ausgleich mit Ungarn für überaus mühevoll, wenn er überhaupt
durchgeführt werden kann. Und er ist leicht und rasch zu Stande gekommen.
Man erklärte die Delegationen für ein Unding. Und sie functioniren zweck¬
entsprechend. Man konnte nicht glauben an eine wirkliche Umkehr und Ein¬
kehr des Hofes. Und der östreichische Kaiser ist ein constitutioneller Muster¬
fürst, der keine persönlichen Antipathien kennt, dem ausgesprochenen Willen
der parlamentarischen Majorität sich unbedingt sügt. Man dachte nicht an
die Möglichkeit einer gesetzlichen Beseitigung des Concordats. Und ruhig
wird ein Paragraph nach dem anderen aus demselben gestrichen. Man sah
in dem Herrenhause den ewigen Hemmschuh des verfassungsmäßigen Lebens.
Und das Herrenhaus ist das volksthümlichste Institut, das Oestreich besitzt,
es wird von den Liberalen auf den Händen getragen und von der reactio-
nären und clericalen Partei am meisten gehaßt.

Der Einfluß Oestreichs in Deutschland, seine Machtstellung-in Europa
schienen die eine vollständig gebrochen, die andere auf das geringste Maß
zurückgesetzt. Und jetzt wetteifern Franzosen und Engländer im Preise des
wieder erstarkten Kaiserreichs und kein schlechterer Mann als Schulze-Delitzsch
im norddeutschen Parlament erklärt, daß sich die Sympathien der deutschen
Nation von Berlin ab wieder nach Wien gewendet haben.

Die östreichischen Zeitungen, welche, wie billig, alle diese Fortschritte
und glänzenden Wandlungen fleißig einzeichnen, schließen gewöhnlich die Auf-
Zahlung der neu erworbenen Tugenden des Staates mit der zornigen Frage:
Was sagen denn die Herrn Preußen dazu? Sie leben ziemlich der zuversicht¬
lichen Ueberzeugung, daß jeder Preuße auf den Untergang Oestreichs speculire
und als eine persönliche Beleidigung es ansehen würde, wenn Oestreich sich


rede beschenken. Kann es auch einen lockenderen Anlaß geben, als die religiöse
Osterfeier und die politische Auferstehung Oestreichs jubelnd zu begrüßen
und den alten Glauben an das unversehrte Glück des Kaiserstaats, an seine
Phönixnatur wieder zu beleben? Eines allein kann befremden, daß die Kir¬
chenfürsten in ihrem Kampf gegen die Ungläubigen nicht auch aus der wun¬
derbaren Rettung und Erhöhung Oestreichs eine Waffe schmieden, und wie
der augenscheinliche Erfolg für die Wahrheit des katholischen Wunderglaubens
und was drum und daran hängt, spricht, einleuchtend darlegen. Denn Wunder
fürwahr sind geschehen. Vor achtzehn Monaten erschien Oestreich unrettbar
dem Verfall und Verderben preisgegeben. Wer die Meinung bescheiden kundgab,
ein'alter Staat sei langlebig, zum Sterben brauche eine einmal sest eingebür¬
gerte Ordnung mindestens ebenso vieler Jahrhunderte wie zu ihrer Entwicke¬
lung, der wurde in Oestreich selbst von vielen als idealer Schwärmer ver¬
spottet. Und jetzt strahlt das ^. I. 0. v. in neuem Glänze. Alles ge¬
lingt, alles, auch das schwierigste wendet sich zu Oestreichs Gunsten. Man
hielt den Ausgleich mit Ungarn für überaus mühevoll, wenn er überhaupt
durchgeführt werden kann. Und er ist leicht und rasch zu Stande gekommen.
Man erklärte die Delegationen für ein Unding. Und sie functioniren zweck¬
entsprechend. Man konnte nicht glauben an eine wirkliche Umkehr und Ein¬
kehr des Hofes. Und der östreichische Kaiser ist ein constitutioneller Muster¬
fürst, der keine persönlichen Antipathien kennt, dem ausgesprochenen Willen
der parlamentarischen Majorität sich unbedingt sügt. Man dachte nicht an
die Möglichkeit einer gesetzlichen Beseitigung des Concordats. Und ruhig
wird ein Paragraph nach dem anderen aus demselben gestrichen. Man sah
in dem Herrenhause den ewigen Hemmschuh des verfassungsmäßigen Lebens.
Und das Herrenhaus ist das volksthümlichste Institut, das Oestreich besitzt,
es wird von den Liberalen auf den Händen getragen und von der reactio-
nären und clericalen Partei am meisten gehaßt.

Der Einfluß Oestreichs in Deutschland, seine Machtstellung-in Europa
schienen die eine vollständig gebrochen, die andere auf das geringste Maß
zurückgesetzt. Und jetzt wetteifern Franzosen und Engländer im Preise des
wieder erstarkten Kaiserreichs und kein schlechterer Mann als Schulze-Delitzsch
im norddeutschen Parlament erklärt, daß sich die Sympathien der deutschen
Nation von Berlin ab wieder nach Wien gewendet haben.

Die östreichischen Zeitungen, welche, wie billig, alle diese Fortschritte
und glänzenden Wandlungen fleißig einzeichnen, schließen gewöhnlich die Auf-
Zahlung der neu erworbenen Tugenden des Staates mit der zornigen Frage:
Was sagen denn die Herrn Preußen dazu? Sie leben ziemlich der zuversicht¬
lichen Ueberzeugung, daß jeder Preuße auf den Untergang Oestreichs speculire
und als eine persönliche Beleidigung es ansehen würde, wenn Oestreich sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/75>, abgerufen am 15.01.2025.