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Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band.

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gleichberechtigter Stämme festzuhalten, übersteigt jede Vorstellung, die man sich
von der Voreingenommenheit im übrigen zurechnungsfähiger Männer machen
kann! Was soll vollends von diesen Männern gedacht werden, wenn sie
nach vorläufiger Beseitigung der ihren zuchtlosen Gelüsten drohenden Ge¬
fahr sofort die Bande lösen, von denen sie zusammengehalten wurden, um
sich in lächerlichen Wortgefechten gegenseitig zu zerfleischen? Das von der
Beobachterpartei aufgestellte Programm eines aus monarchischen Staaten
zu bildenden republikanischen Bundes gehört ohne Frage zu den größten Thor¬
heiten unseres Jahrhunderts. -- daß es als Programm einer ganzen Par¬
tei möglich und bedeutungsvoll genug gewesen, um von dem officiellen Or-
gan der Stuttgarter Negierung bekämpft zu werden, wird im nächsten Jahrhundert
kaum mehr geglaubt werden. Ist doch der Glaube an die Umdrehung der
Sonne um die Erde für politische Menschen immer noch erklärlicher wie der
Glaube an die Durchführkeit der Utopien, welche der süddeutsche Radikalis¬
mus als Zielpunkte seiner patriotischen Thätigkeit bezeichnet und mit denen
die Particularisten ihr patriotisches Gewissen beruhigen, wenn dasselbe zu
schlagen anfängt.

Der gute Glaube an die Durchführbarkeit eines Programms, dessen
Bankerotte ebenso zahlreich sind wie die Jahre seiner Existenz, stellt
denen, die an ihm festhalten, ein ebenso übles Zeugniß aus wie denen,
die mit ihm absichtlich ein falsches Spiel spielen. Wo die Thoren aufhören
und die bewußten Verräther anfangen, läßt sich eigentlich gar nicht mehr
feststellen. Die Enthüllungen, welche die Nordd. Allg. Zeitung vor einigen
Tagen über die Unitriebe des Grafen Platen brachte, bestätigen unnnder-
sprechlich. daß die gelbweißen Royalisten an demselben Strang ziehen, an
den sich die rothen Republikaner gespannt haben. Von der famosen Lehre,
daß eine französische Kriegserklärung gegen Preußen noch nicht eine Knegser-
Klärung gegen Deutschland zu bedeuten brauche, läßt sich bereits nicht mehr
sagen, ob sie legitimistischen oder republikanischen Ursprungs ist. und das
alte Sprichwort, nach welchem Herodes und Pilatus jedesmal handelseinig sind,
wenn es den Messias zu kreuzigen gilt, hat sich wiederum neu bewahrheitet^-
Das Vertrauen in die Belehrbarkeit derer, welche ihren vorgefaßten Met¬
nungen jedes Opfer auch das der Unabhängigkeit des ganzen Deurschland
M bringen bereit sind, ist uns zu gründlich abhanden gekommen als daß
wir hoffen könnten, die Unterwerfung der Länder, welche außerhalb des
neuen Bundes geblieben sind, werde (Baden ausgenommen) anders w,e durch
Beugung unter das Gebot der Nothwendigkeit zu Stande kommen.

Die Wochen, welche zwischen dem Schluß des Zollparlaments und der
Schließung des norddeutschen Reichstages liegen, sind für die Mitglieder des


Grenzboten II. 18K8.

gleichberechtigter Stämme festzuhalten, übersteigt jede Vorstellung, die man sich
von der Voreingenommenheit im übrigen zurechnungsfähiger Männer machen
kann! Was soll vollends von diesen Männern gedacht werden, wenn sie
nach vorläufiger Beseitigung der ihren zuchtlosen Gelüsten drohenden Ge¬
fahr sofort die Bande lösen, von denen sie zusammengehalten wurden, um
sich in lächerlichen Wortgefechten gegenseitig zu zerfleischen? Das von der
Beobachterpartei aufgestellte Programm eines aus monarchischen Staaten
zu bildenden republikanischen Bundes gehört ohne Frage zu den größten Thor¬
heiten unseres Jahrhunderts. — daß es als Programm einer ganzen Par¬
tei möglich und bedeutungsvoll genug gewesen, um von dem officiellen Or-
gan der Stuttgarter Negierung bekämpft zu werden, wird im nächsten Jahrhundert
kaum mehr geglaubt werden. Ist doch der Glaube an die Umdrehung der
Sonne um die Erde für politische Menschen immer noch erklärlicher wie der
Glaube an die Durchführkeit der Utopien, welche der süddeutsche Radikalis¬
mus als Zielpunkte seiner patriotischen Thätigkeit bezeichnet und mit denen
die Particularisten ihr patriotisches Gewissen beruhigen, wenn dasselbe zu
schlagen anfängt.

Der gute Glaube an die Durchführbarkeit eines Programms, dessen
Bankerotte ebenso zahlreich sind wie die Jahre seiner Existenz, stellt
denen, die an ihm festhalten, ein ebenso übles Zeugniß aus wie denen,
die mit ihm absichtlich ein falsches Spiel spielen. Wo die Thoren aufhören
und die bewußten Verräther anfangen, läßt sich eigentlich gar nicht mehr
feststellen. Die Enthüllungen, welche die Nordd. Allg. Zeitung vor einigen
Tagen über die Unitriebe des Grafen Platen brachte, bestätigen unnnder-
sprechlich. daß die gelbweißen Royalisten an demselben Strang ziehen, an
den sich die rothen Republikaner gespannt haben. Von der famosen Lehre,
daß eine französische Kriegserklärung gegen Preußen noch nicht eine Knegser-
Klärung gegen Deutschland zu bedeuten brauche, läßt sich bereits nicht mehr
sagen, ob sie legitimistischen oder republikanischen Ursprungs ist. und das
alte Sprichwort, nach welchem Herodes und Pilatus jedesmal handelseinig sind,
wenn es den Messias zu kreuzigen gilt, hat sich wiederum neu bewahrheitet^-
Das Vertrauen in die Belehrbarkeit derer, welche ihren vorgefaßten Met¬
nungen jedes Opfer auch das der Unabhängigkeit des ganzen Deurschland
M bringen bereit sind, ist uns zu gründlich abhanden gekommen als daß
wir hoffen könnten, die Unterwerfung der Länder, welche außerhalb des
neuen Bundes geblieben sind, werde (Baden ausgenommen) anders w,e durch
Beugung unter das Gebot der Nothwendigkeit zu Stande kommen.

Die Wochen, welche zwischen dem Schluß des Zollparlaments und der
Schließung des norddeutschen Reichstages liegen, sind für die Mitglieder des


Grenzboten II. 18K8.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 27, 1868, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341807_362043/517>, abgerufen am 15.01.2025.